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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

wie: Diesen Winter viel getanzt, meine Gnädigste? – Casinobälle hier hübsch arrangiert? – Viele Schlittenpartien unternommen? – Kameraden von den Dragonern verkehrten wohl häufig bei Ihnen im Hause? – Schneidige Waffe, meine Gnädige, nicht wahr? –“

Und Annie antwortete immer kürzer, immer knapper, oft nur durch ein Nicken oder Kopfschütteln, und horchte immer eifriger auf das Gespräch Theklas mit den zwei andern Herren, … ihr war dieser langweilige Rittmeister zugefallen, natürlich! Sie fand ihn geradezu unausstehlich mit seinen hervorquellenden Augen, seinem rothen Gesicht und der heisern Baßstimme, – merkte es denn der eingebildete Gesell gar nicht, wie erbarmungslos sie ihn abfallen ließ? –

Immer schräger blickten die Sonnenstrahlen zum Fenster herein, – der Frühlingstag ging zur Neige, – wie hatte sie ihn herbeigewünscht, – was hatte er ihr gebracht! Auch Conventius schien ihr heute seltsam, sein beredter Blick, sein feuriger Handkuß beunruhigte sie; wer weiß … am Ende könnte Delmont gar denken, – nein, unmöglich! Und doch, – er war mißtrauisch und reizbar, das wußte sie nun schon von ihm!

Das Gespräch, mühsam aufrecht erhalten, stockte endlich ganz. Die drei Männer sahen einander an, – sie wußten es ja genau, was jeder von ihnen hier wollte. Ging jetzt der eine, so ließ er den andern den Weg frei, – gingen gar zwei, behielt der dritte den Vortheil allein in der Hand, … das durfte nicht sein! Sie blieben also. Thekla Gerold fühlte eine lähmende Müdigkeit über sich kommen, es kostete sie Ueberwindung, den Mund aufzuthun. Annie kämpfte immer schwächer gegen die bittere Enttäuschung an, die ihr zärtliches Herz überfluthete. Die Sonne war fort, graue Schatten lagerten in den Ecken.

Wie es Thekla in den Sinn gekommen war, Professor Delmont zu fragen, ob er Musik treibe und ob er vielleicht einmal ihren Konzertflügel, den Annie leider so selten benutze, probieren wolle, das hatte sie selbst später nicht zu sagen gewußt. Es war ein merkwürdiges Ansinnen bei einem ersten Besuche. Annie hatte Furcht, Delmont könnte die Frage schroff verneinen, und sah etwas ängstlich zu ihm hinüber, aber er verneigte sich zustimmend vor der älteren Schwester, lächelte der jüngeren zu und schritt zum Flügel.

„Es ist empörend, nun ist dieser Farbenreiber auch noch musikalisch, und sie scheint das zu lieben,“ grollte der Rittmeister innerlich, „der Mensch hat entschieden die meisten Chancen von uns dreien, aber noch ist nichts verloren. Nur nicht locker lassen!“

(Fortsetzung folgt.)



Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Die Meininger

Mit Abbildungen von C. W. Allers.[1]


Ludwig Chronegk.
Nach einer Photographie.

In der todten Jahreszeit der deutschen Bühnen kam plötzlich die überraschende Nachricht, daß die „Meininger“ von jetzt ab ihre Gastspielreisen aufgeben würden. Es liefen zwar schon im letzten Jahre seit des Intendanten Chronegk Erkrankung ähnliche Gerüchte um, doch sie verstummten wieder, und die große Reise der Meininger Truppe nach Rußland zeugte noch von dem Unternehmungsgeist, der sie beseelte. Ging doch der Zug diesmal nicht bloß bis nach dem Herzen Altrußlands, der Stadt des Kreml, sondern auch bis an das Schwarze Meer, bis nach Odessa, die weiteste Reise der wandernden Künstler; denn jenseit des Oceans, nach Amerika, dem Dorado der einzelnen Gastspieler, hatten sie sich doch nicht hinübergewagt, obschon ein deutsches Schauspiel dort ganz andern Anklang gefunden hätte als in Rußland; doch der Voranschlag der Kosten ließ das Unternehmen als ein bedenkliches Wagniß erscheinen; der Leiter der Hofbühne, Chronegk, der selbst übers Meer gegangen war, um die dortigen Theaterzustände zu prüfen, rieth zum Verzicht.

Jene Gerüchte hatten sich damals als unglaubwürdig erwiesen; jetzt stehen wir vor der vollendeten Thatsache. Das interessante und ruhmvolle Kapitel der neuen Theatergeschichte, welches den Meiningern gehört, hat einen plötzlichen Abschluß erreicht. Die deutschen Hauptstädte, welche so oft ihr Spiel bewundert haben, werden sie nicht wiedersehen. So sehr schien ihre Wiederkehr gesichert, daß mancher Säumige es auf die nächste Saison verschob, sich an diesen vielgepriesenen Vorführungen zu erfreuen. Andern war es zur „süßen Gewohnheit“ geworden, diese Kunstgenüsse soweit als irgend möglich zu erschöpfen. Und jetzt ist der Vorhang der Wanderbühne für immer gefallen, die Säumigen haben unwiederbringlich einen in seiner Art einzigen Kunstgenuß verloren, die andern werden schmerzlich vermissen, was in ihnen so oft eine in den Tempeln Thaliens seltene Begeisterung wachrief.

Die Meininger hatten eine künstlerische Sendung, und sie haben dieselbe erfüllt. Es war begreiflich, daß ihnen anfangs öfters der Widerspruch auch der berufenen Kritik entgegentrat; denn ihre Stärke hing ja mit einer gewissen Einseitigkeit zusammen, der sie ihre Erfolge verdanken. Man fürchtete, daß die Sorgfalt und der Glanz, womit das archäologische Beiwerk behandelt wurde, demselben eine zu große selbständige Bedeutung verschaffen und den Blick von der eigentlichen dramatischen Handlung ablenken könnte; man fürchtete nicht minder, daß die peinliche Schulung des Zusammenspiels die Freiheit des künstlerischen Schaffens beeinträchtigen müsse. Beide Befürchtungen wurden durch die begeisternde Wirkung der Aufführungen widerlegt, eine Wirkung, welche weder durch Aeußerlichkeiten, noch durch ein bloß dressirtes Zusammenspiel hervorgerufen werden konnte, sondern nur durch das Zusammenwirken aller berechtigten künstlerischen Faktoren. Der Nachdruck, den die Meininger aber auf einzelne derselben legten, kam der ganzen deutschen Schauspielkunst zugute. Man brauchte ihnen nicht zu folgen in der Treue des geschichtlichen Kostüms, besonders dort nicht, wo dasselbe mit den Anforderungen des Schönen in Widerspruch trat; aber die Direktionen gewöhnten sich daran, sinnlose Willkürlichkeiten auszuschließen und mehr als früher den Gesammteindruck der Vorstellungen sowohl durch entsprechende Kostüme, als auch durch die Ausstattungsmittel der Bühne, durch stimmungsvolle Dekorationen und Beleuchtungseffekte zu heben, was bisher nur in der Oper geschah und dem ernsteren Drama versagt blieb. Es ist zwar neuerdings der Widerspruch gegen solche Ausstattung der tragischen Dichtungen erhoben und die Rückkehr zu einer einfachen Bühne gepredigt worden, auf welcher allein das dichterische Wort und das Mienen- und Gebärdenspiel der Darsteller zur Geltung kommen soll; doch die Entwicklung unseres ganzen Bühnenwesens hat sich in der entgegengesetzten Richtung vollzogen und das Schauspiel würde immer das Aschenbrödel des Theaters bleiben, wenn es nach dieser Seite hin nicht Zugeständnisse machte. Auch ist nicht abzusehen, warum die Wirkung einer Dichtung Einbuße erleiden sollte, wenn sie noch durch die Poesie der Scene verstärkt wird. Diese vermag von Hause aus die rechte Stimmung, das rechte Kolorit zu geben, handle es sich nun um ein italienisches Liebesdrama wie „Romeo und Julie“ oder


  1. Aus dem im Verlage von Friedrich Conrad in Leipzig erschienenen Werke „Die Meininger“. Von C. W. Allers. Prachtmappe mit 40 Zeichnungen in Lichtdruck.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil’s Nachfolger, 1890, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_717.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2022)