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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


„Nun, Martha?“ frage ich, „hast Du mich verstanden? Du brauchst nicht aufzutreten; wir haben es ganz in der Hand.“

Sie senkt den Kopf und windet die Hände ineinander.

„Tante,“ klingt es kaum vernehmlich an mein Ohr, „verzeihe, daß ich Dich bemühte – ich habe es mir anders überlegt, ich werde spielen.“

„Du willst spielen, Martha? Woher kommt diese rasche Sinnesänderung?“

Ihre blassen Lippen bewegen sich, aber sie bringt kein Wort hervor.

Ich wende mich kurz zum Gehen, da hält sie mich am Kleide fest und kniet vor mir nieder. „Tante, geh nicht so – geh nicht so – ich muß spielen; frage mich nicht – ich muß!“ Ganz verzweifelt ruft sie es, und mir nachrutschend auf den Knieen, fährt sie athemlos fort: „Ach, verdamme mich doch nicht, ich kann ja nicht anders, ich muß spielen. Es war so unrecht, daß ich mich weigerte, sie müssen es ja alle sehen, daß ich nicht in abenteuerlicher Lust davongelaufen bin, daß ich meinen Beruf ernst nehme. ‚Ganz ober gar nicht‘ meinte der Vater immer. Ach Gott, was soll ich nur noch sagen, damit Du mir vergiebst!“

„Besinne Dich, Martha; Du schenktest mir ja immer Vertrauen.“

Wieder fliegt ein dunkles Roth über das thränenfeuchte Gesicht. Sie senkt den Kopf und zieht, als schäme sie sich, eine von den goldigen Strähnen ihres Haares gleich einem Schleier vor das Antlitz.

„Nun, Martha, hast Du, außer der Liebe zur Kunst, keinen andern Grund für die ungeheure Kränkung, die Du Deinen Pflegeeltern anthun willst?“

Sie bleibt unbeweglich. „Nein!“ flüstert sie endlich.

„So leb’ wohl, Kind!“ –

Ich mache mich los von ihr, hastig los, und die Thür entschlüpft meinen Händen, daß sie unsanft zuschlägt und die Wände des Flurs widerhallen. Ich höre, wie sie drinnen noch einmal ruft: „Tante, ach Tante!“ Aber ich bin so aufgeregt, daß mir der wehe Klang nicht mehr zum Herzen dringt. Drunten setze ich mich sofort an den Schreibtisch und theile dem Direktor mit, daß ich bedaure, auf seine Vorschläge nicht eingehen zu können, da Fräulein Tosca von Korinska nunmehr fest entschlossen sei, morgen abend aufzutreten.

(Schluß folgt.)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Friedrich Rückert.

Wieder zahlt unser deutsches Volk eine Ehrenschuld an einen seiner hervorragendsten Dichter: das Rückertdenkmal in Schweinfurt ist ein Zeugniß solcher Dankbarkeit für geistige Schätze, welche aus der Fülle seines Denkens, Empfindens und Schaffens heraus ein hochbegabter Meister poetischer Form seiner Nation gespendet hat.

Friedrich Rückerts Leben und Wirken ist in eingehenden Biographien, in geistvollen Würdigungen von berufener Feder oft genug dargestellt worden; auch die „Gartenlaube“ hat den gedankenreichen Dichter nicht nur pietätvoll auf seinen letzten Lebenswegen begleitet; sie hat sein Bild unserem Volke näher gerückt, die Freude an allem, was er geschaffen, zu beleben gesucht durch verständnißvolle Erläuterung. Der Sohn des phantasiereichen Frankenlandes, der im gemüthswarmen Thüringen eine zweite Heimath gefunden, stand ja von Hause aus der „Gartenlaube“ nahe, die in jenen mitteldeutschen Berggegenden die ersten, starken Wurzeln ihrer Kraft fand.

Nicht oft Gesagtes zu wiederholen ist der Zweck dieser Zeilen; doch am Ehrentage des Dichters wollen wir noch einmal einen Blick auf sein Gesammtbild werfen und festzustellen suchen, worin seine bleibende Bedeutung besteht. In unserer Litteraturgeschichte erhebt sich sein Denkmal dauernder als Erz, und alle seine Werke ohne Ausnahme sind sinnvolle Reliefs, die es schmücken; der Geschichtschreiber und Litteraturforscher wird ihnen allen ohne Ausnahme gleichmäßig gerecht werden müssen; anders steht es mit dem Volke, dem großen Lesepublikum. So groß ist die Zahl der werthvollen geistigen Erzeugnisse, daß die Zeit selbst bei den größten Dichtern einen Scheidungsprozeß zwischen dem Bleibenden und Vergänglichen vollziehen muß; denn nicht unerschöpflich ist die Genußfähigkeit der sich ablösenden Geschlechter, und von dem einen zum andern mindert sich das Erbe, nicht des Dichterruhms, der ein bleibender ist, sondern jener geistigen Hinterlassenschaft, die man selbst „erwirbt, um sie zu besitzen“.

Friedrich Rückert war ein überaus fruchtbarer Dichter; es giebt zwar feindlich gesinnte Beurtheiler, welche über seine sämmtlichen Werke den Konkurs eröffnen möchten, indem sie seine ganze Dichtweise verdammen; doch diese sind vielleicht gerade durch seine Fruchtbarkeit, durch die Fülle des von ihm Gebotenen verwirrt gemacht worden und haben bei blindem Zugreifen in dieselbe nicht das Rechte herausgefunden. Allerdings werden diejenigen, welche so einseitig sind, von dem Dichter nur die Weihe der Empfindung und die Gabe der Gestaltung zu verlangen, Rückert leicht neben andern Dichtern von geringerer Bedeutung herabsetzen; sie vergessen dabei, daß der Dichter auch einen priesterlichen Beruf hat und ein Lehrer der Menschheit sein soll, und daß er dies in um so höherem Maße ist, je mehr es ihm gelingt, für solche Lehren das unvergeßliche treffende Wort zu finden, das sich dem Gedächtniß des Volkes einprägt und dort tiefe Wurzeln schlägt, Wahrheit im unvergänglichen Gewande des dichterisch Schönen … Rückert hat sie verkündet, und er steht in dieser Hinsicht dicht neben dem Altmeister Goethe, der ja auch mit voller Hand leuchtende Gedankenperlen ausstreute.

Einen solchen Schatz von Spruchwahrheiten in schlaghafter Fassung und von tiefem Sinn, wie Rückert in der „Weisheit des Brahmanen“ uns hinterließ, hat keine andere Nation aufzuweisen. In dieser Fülle liegt etwas Märchenhaftes, als besäße der Poet die Zauberlampe Aladins, kehrte aus der Wundergrotte zurück und schüttete ganze Säcke mit Perlen und Juwelen vor uns aus; denn es ist in der That ein unermeßlicher geistiger Reichthum, der ihm zur Verfügung steht. Und dabei nichts von wohlfeiler Alltäglichkeit, alles aus dem Ganzen und Vollen gestaltet, aus der Tiefe stammend, in die Höhe strebend, nicht geistreich im gewöhnlichen Sinn, obschon auch mancher leuchtende Blitz des Witzes darüber hinstreift, sondern tiefsinnig, indem der Poet seine Blicke stets auf das All richtet. Ueber Gott und Welt, Tod und Leben finden sich hier kurzgefaßte, aber schwerwiegende Gedanken; reizende Naturbilder, denen irgend ein sinniger Gehalt abgewonnen ist, sind mit hereingewoben; über das Wesen der Dichtung finden sich eingehende Betrachtungen; ein ganzes Buch mit manchem schlagenden Kernspruch der Schönheitslehre ist ihr geweiht. Am reichhaltigsten vertreten sind die Sprüche der Lebensweisheit über das Gute und Schlechte, Arbeit und Recht, häusliches Glück, den Unterschied der Lebensalter, oft anknüpfend an kleine Begegnisse des Lebens, aber auch die neuesten Richtungen der Zeit mit dem Lichte östlicher Weisheit beleuchtend.

Wenn irgend ein Werk Rückerts Anspruch auf Dauer hat, so ist es diese „Weisheit des Brahmanen“. Eine sechsbändige Spruchsammlung ist freilich kein Gegenstand zusammenhängenden Lesens; nicht bloß die Phantasie, auch das sinnige Nachdenken würde zuletzt von diesem Sprühfeuer einzelner Gedankenfunken ermüdet werden; aber es ist eine Hauspostille, in die man von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr hineinblicken kann, und immer wird man mit hoher Genugthuung eine bedeutsame Anregung daraus schöpfen.

Rückert ist der sprachgewaltigste Vermittler zwischen der Poesie des Ostens und des Westens, und seine „Weisheit des Brahmanen“ ist als westöstliche Bibel dem geistigen Hausschatz unserer Nation anzueignen. Zunächst würden dann seine „Oestlichen Rosen“ als eine Liebespoesie von feuriger Gluth und trunkener Andacht auf diesem Gebiete stehen; diese Gedichte haben einen hinreißenden Schwung, und die Weltanschauung, die sie verherrlichen, die Feier des All-Einen, ist in abendländischer Dichtung nie mit so berauschender Weihe ausgesprochen worden.

Indem in Rückerts Werken alle asiatischen Musen, die chinesische, indische, arabische, persische der deutschen Besuch abstatten, wird er zu einem Förderer der deutschen Sprache, der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_735.jpg&oldid=- (Version vom 19.6.2023)