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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


an der oberen. Die Haut zeigt in großer Zahl punktförmige Vertiefungen, aus deren Grunde sehr feine Härchen entspringen. An der Anheftungsstelle ist diese Stützfeder mit vielen einzelnen Borsten umgeben, welche 2 bis 3 mm lang sind.

n. Hinterleibsschuppe des Weibchens (35fach vergrößert).

o. Flügelschuppe (35fach vergrößert).

p. Eiernester (nat. Größe).

Der Leib beider Schmetterlinge ist rostbraun. Das Männchen trägt am spitzen Hinterleibsende ein Büschel einfacher Haare. Das Endglied des weiblichen Hinterleibes erscheint breit und kohlschwarz, mit ganz feinen und kurzen Querstrichen durchzogen. Bei näherer Untersuchung findet man, daß dasselbe aus mehreren Tausend dicht aneinander gepreßter Schuppen (n) besteht, deren allgemeine Gestalt derjenigen, der Flügelschuppen (o) vollkommen gleicht, diese aber an Größe ganz bedeutend übertrifft. Die eirunden Hinterleibsschuppen haben einen tiefschwarzen, schmalen und fein gezähnelten Rand, welchem sich ein breiter, ganz weißer Streifen anschließt. Der mittlere Theil der Schuppen ist nahe an diesem Streifen schwarzbraun und wird nach der Mitte hellbraun, nach den Seiten sogar wasserhell. Am hellbraunen Grunde sitzt ein ebenso gefärbter Nagel. Diese Schuppen haben eine höchst eigenthümliche Verwendung. Wenn das Weibchen die Puppe verläßt, bringt es schon die reifen Eier mit zur Welt und macht sich, sobald es den Gebrauch der Flügel erlernt hat, an die Erfüllung seiner Lebensaufgabe, an das Eierlegen. Da sein Flug schwerfällig ist, können wir es leicht beobachten, und so bemerken wir, daß es an niedrigen Baumzweigen oder an alleinstehenden sog. „Kusseln“ in Mannshöhe die Eier an ein Nadelpaar eines frischen Triebes ablegt (p). Dabei fängt es an dem unteren Theil der Nadeln an und erklimmt, indem es in dicht gedrängten Windungen dieselben umklettert, allmählich deren Spitze. Die mohnsamengroßen, kugelrunden und weißen Eier werden dabei sogleich verdeckt, und zwar mit einem schuppigen, hellbronzefarbenen Ueberzuge, der aus jenen oben beschriebenen Hinterleibsschuppen kunstvoll gebildet wird. Da aus zahlreichen Beobachtungen hervorgeht, daß der Falter am Grunde der Nadeln, oberhalb der häutigen Scheide derselben, mit dem Eierlegen beginnt und oft schon vorher einige Schuppen ablegt, diese aber am Hinterleibe mit dem Nagel anhaften und mit dem schwarzen Rande nach hinten gerichtet sind, so werden sie in derselben Lage beim Nestbau verwendet, ohne umgedreht zu werden. Nun sind an dem fertigen Nest die braunen Spitzen nach oben gerichtet, während die schwarzen Ränder nach innen liegen und verdeckt sind. Es werden also die Schuppen dachziegelförmig nicht übereinander gelegt, sondern untereinander geschoben! Oft reicht der Vorrath an Schuppen nicht aus, alle Eier zu bedecken, dann sind die letzten, nach den Nadelspitzen hin, unbedeckt. Die andern Eier aber überwintern unter ihrer Schutzdecke bis zum nächsten Frühjahr, wo des Lenzes Sonne sie zu neuem Leben erweckt.


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Auf schwankem Boden.

Von W. Heimburg.
 (Schluß.)

Noch lange wandere ich im Zimmer umher und sage mir immer nur das eine: Martha ist verloren! Ich male mir aus, wie sie den Geliebten heirathen wird, wie sie von einem Ort zum andern mit ihm zieht in Hunger und Elend, wie die Leidenschaft für die Kunst mit Eintritt der Noth und Sorge entflieht und ihre künstlich aufgestachelte Begeisterung so bald, ach so bald, in Asche sinkt; wie sie vor Sehnsucht nach dem friedvollen Leben ihrer Kindheit krankt an Leib und Seele. Ganz furchtbare Bilder sind’s, die mich verfolgen. – Und dann sehe ich sie wiederum, wie sie lacht trotz der Traurigkeit dieses Lebens; sie hat abgestreift, was Gutes und Reines an ihr war, sie nimmt das Leben, wie’s nun einmal ist, mit allem Schmutz und aller Verkommenheit, sie ist geworden wie ihre Mutter. – Unerträglicher Gedanke!

Giebt es denn keinen Ausweg? Könnte sie nicht wirklich eine Künstlerin werden, eine große, gottbegnadete? Sind nicht einige unserer ersten Künstler aus der Unscheinbarkeit, aus der Schule der Wandertruppe hervorgegangen?

Ich nehme mir vor, sie morgen spielen zu sehen; ich will ihr, wenn sie auch nur einen Funken von Talent hat, den Weg ebnen helfen. Ich erinnere mich plötzlich mit großer Freude der Bekanntschaft des ersten Intendanten am Königlichen Theater zu D. und beschließe, ihm die Kleine vorzustellen; ich will alles für sie thun, will freundlich zu ihr sein. Habe ich denn ein Recht, ihr süßestes Geheimniß kennen zu wollen? Ist es etwas Unerhörtes, daß solch ein schönes feuriges Mädchen liebt? Darf ich diesem armen Kinde einen Weg erschweren, der ohnehin wahrlich voll Nesseln und Dornen liegt?

Ich schelte mich tüchtig aus und frage mich: „Anna, war das vorhin Deine von Dir so sehr betonte Duldsamkeit, als Du das arme Ding im Zorn verlassen hast?“ Und das Bild tritt so deutlich jetzt vor meine Augen – das kleine Dachstübchen, das schöne Geschöpf, von dem mächtigen Goldhaar umfluthet, auf dem Rande des schmalen Bettes; ich sehe die irren angstvollen Blicke, die Thränen auf den erglühten Wangen; ich sehe den verwelkten Lorbeerkranz an der getünchten Wand der Mansarde und die breite rothe Schleife darunter. Wie ein Kapitel aus einem Roman ist dieses Bild. Und schon halb im Schlummer flüstere ich Worte wie: „Du armes Kind, warte nur, ich helfe Dir; ich spreche auch beim Oberpfarrer für Dich, er soll Dir vergeben in seinem Herzen; des Vaters Segen baut auch Dir vielleicht ein Glück.“

Dann werde ich wach. Des Direktors Worte klingen mir in die Ohren: „Keinen Funken von Talent hat sie!“ – Bah! Dieser Ehrenmann spricht ihr das Talent nur ab, weil sie von seiner Truppe scheiden will. – Ach Himmel! Das unglückliche Engagement am fürstlichen Hoftheater!

Jetzt bin ich ganz wach. Ich werde mit dem Bräutigam sprechen. „Dahin darf sie nicht!“ sage ich halblaut und bestimmt, und dann verliere ich mich wieder in Zukunftsplänen für das Kind und endlich schlafe ich ein.

Am andern Morgen, ziemlich spät, erwache ich. Neben meinem Bette auf dem Tische duftet ein thaufrischer Maiblumenstrauß – sicher war Martha im Zimmer.

Als ich die Vorhänge aufziehe, sehe ich trüben, regnerischen Himmel, die Berge jenseits in Nebel gehüllt. Ich schreibe, noch bevor ich mich fertig ankleide, einen Brief an den Oberpfarrer, schicke ihn eilig fort, und wie ich zum Kirchgang gerüstet bin, kommt die Antwort, nachmittags wolle er mich aufsuchen; Elisabeth habe heute einen ihrer ungünstigsten Tage und möchte über mein Erscheinen erschrecken.

Ich gehe mit Regenschirm und Regenmantel zur Kirche, und als der Oberpfarrer die Kanzel betritt, habe ich Mühe, in diesen vergrämten Zügen das alte Antlitz wiederzufinden; auch die Stimme klingt anders. Es ist keine echte Pfingstpredigt, die der Gemeinde dargebracht wird. Die Textesworte sind: „Ich will den Vater bitten, er soll euch einen Tröster geben, der bei euch bleibe ewiglich.“ – Er schildert, wie finster und trübe es auf Erden aussieht, schildert die Zustände der Völker, die Verhältnisse der Menschen; ein trostloses Bild rollt sich auf, ein Versunkensein in Elend und Schmutz, mit packenden Farben ausgemalt. Die Treulosigkeit, die Lieblosigkeit, die Undankbarkeit der Menschheit betont er. In dem überfüllten Gotteshause regt sich kaum ein Athem.

„Der heilige Geist aber, der Tröster unserer Zeit,“ heißt es weiter, „müsse, bevor er trösten könne, strafen die Welt um ihre Sünden, ihr die Wahrheit sagen. Aber Wahrheit höre sie nicht gern, sie lasse sich belügen, sie trinke sich toll am Taumelbecher der Verführung.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_764.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2023)