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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Wort bei ihm miteinander eingehen. So voll und edel der Ton ist, so deutlich und durchdacht ist der Vortrag des Wortes.

Rechnet man hiezu noch die gediegene allgemeine musikalische Bildung, die Vogl besitzt, so überrascht es nicht mehr, daß derselbe als Konzertsänger nicht minder geschätzt ist wie auf der Bühne. Man weiß, daß der Konzertsaal für das Können jedes Sängers eine wahre Feuerprobe bedeutet; Vogl hat dieselbe nicht nur stets bestanden, sondern viele schätzen ihn sogar als Lieder- und Oratoriensänger noch höher wie als Opernsänger.

Neugierig, welche Rolle bei einem solchen Umfang künstlerischen Schaffens dem Sänger mit der Zeit wohl am liebsten geworden wäre, hat der Schreiber dieser Zeilen einmal danach gefragt. „Herrgott, das ist schwer zu sagen!“ antwortete Vogl, „ich singe gerne den Tamino, Adolar, Pylades, Achilles, den Evangelisten in der ‚Schöpfung‘, den Judas Maccabäus; ich singe leidenschaftlich gern schöne Lieder und den ganzen Wagner und hasse den Ritter Hugo in ‚Undine‘ und dergleichen Zeug. Was ich am liebsten singe? Ich weiß es nicht; alles, was ich kann.“

Und doch giebt es etwas, was der berühmte „Wagnersänger“ mindestens ebenso hoch stellt wie seine Bühnenerfolge – seine Oekonomie. Opernsänger und Oekonomie sind sonst Begriffe, die sich selten zusammenfinden, ja wohl meist gegenseitig ausschließen. Der kgl. Kammer- und Hofopernsänger Heinrich Vogl ist, fast möchte ich sagen, vor allem Landwirth. Im Jahre 1878 erwarb er das etwa eine Stunde oberhalb Tutzing am Starnberger See, der Heimath seiner Gattin, gelegene Landgut Deixlfurt mit 176 Tagwerk (etwa 60 ha) und 8 Stück Vieh. Heute ist das Gut auf etwa 1000 bayerische Tagwerk (340 ha) abgerundet und beherbergt 110 Stück Hornvieh, 12 Pferde etc. 500 Tagwerk sind 5 Fuß tief drainirt, eine Spiritusbrennerei von 1450 Hektolitern Kontingent ist eingerichtet, 350 Tagwerk umfaßt das Ackerland, eine rationelle Milchwirthschaft und gute Fischzucht hat er eingeführt; Jagd, Wiesen und Wald, alles findet bei dem bayerischen Opernsänger die liebevollste Pflege; denn Vogl läßt dies alles nicht etwa durch andere bewirthschaften, sondern lebt fast das ganze Jahr hier auf seinem selbstgeschaffenen Besitzthum, und fährt nur zu den Proben und den Aufführungen nach der Stadt in sein Absteigequartier in der Maximilianstraße. Er leitet alles selbst, fährt selbst auf die Viehmärkte, bewirbt sich um Preise auf landwirthschaftlichen Ausstellungen etc. Wenn man ihn an der Seite seiner Gattin und der blühenden Kinder durch sein ausgedehntes Besitzthum schreiten sieht, lernt man es fast verstehen, daß er auf diese bleibenden Spuren einer langjährigen gesegneten landwirthschaftlichen Thätigkeit noch stolzer ist als auf den schnell verwelkenden Lorbeer eines gottbegnadeten Künstlerthums, und man glaubt an das köstliche Wort, das er nach Vollendung einer „wagnerischen“ Gastrolle gesagt haben soll: „Heut’ hab’ ich mir einen Ochsen ersungen!“ –

Heinrich Vogl steht heute noch ungebrochen in der Vollkraft seiner Jahre und seiner Stimme, deren Metall und Ausbildung ihm noch Bürgschaft für eine Dauer von vielen Jahren geben. Er wird seiner Heimathbühne als Tenor das sein, was der Zeuge seines Probesingens, August Kindermann, als Bariton gewesen ist, bis ins hohe Alter – ein unvergänglicher Sänger! Alfred v. Mensi.     


Blätter und Blüthen.

Adolf Diesterweg. (Mit Bildniß.) Wir sehen ihn vor uns, den Mann mit dem scharf geschnittenen Gesicht; gewaltige Brauen beschatten die Augen, aus denen noch bis ins Greisenalter hinein das Feuer der Jugend leuchtete. Bis in die letzten Tage seines Lebens – er wurde am 7. Juli 1866 zu Berlin ein Opfer der Cholera – trat er mit jugendlicher Begeisterung für die Ideen ein, deren Verwirklichung er sich zum Ziel gesetzt und für die er auch gelitten hatte. Ja, gelitten! Der herbe Zug um seinen Mund läßt die Bitternisse ahnen, die ihm auf seinem Lebenswege beschieden waren, aber widrige Winde konnten ihn nicht von seinem Wege abbringen. Kühnen Wagemuth spiegelt sein Antlitz wieder, und es ist, als ob der fest geschlossene Mund sich zu dem von seinen Lippen so oft vernommenen Zuruf öffnen wollte: „Durch!“ Freilich hat er sich einen großen Theil der Gegner durch die herbe Art seines Auftretens selbst geschaffen. Wo er im Volks-, insbesondere im Schulleben Mißstände entdeckte, deren Beseitigung ihm dringend zu sein däuchte, da kannte er keine Rücksichten. Von den Sachen glitt er leicht auf die Personen hinüber, und mit diesen verfuhr er nicht sehr glimpflich.

Das Leben Diesterwegs, der am 29. Oktober 1790, also vor nunmehr hundert Jahren, geboren wurde, ist in der „Gartenlaube“ wiederholt geschildert worden. Es führte ihn durch verschiedene Lehrerstellungen in Mannheim, Worms, Frankfurt a. M, Elberfeld und Mörs 1832 an die Spitze des Berliner Lehrerseminars für Stadtschulen, wo seinem Eifer, für eine Verbesserung und Veredlung des Volksunterrichts zu wirken, das weiteste Feld erwuchs. Mit hoher Begeisterung für den Erzieherberuf erfüllt, wußte er seine Zöglinge zu idealer Auffassung ihres künftigen Lebensberufs zu führen und sie mit der Kunst, geistweckend zu unterrichten, vertraut zu machen. Auch auf die bereits im Amte stehenden Lehrer wirkte er in gleichem Sinne ein. Ihren Blick lenkte er nicht bloß auf die Vorgänge in der Schulstube; er schärfte ihn auch für die Vorkommnisse draußen im Volksleben; er wußte sie zu Volkspädagogen zu erheben. Für einen Lehrerstand mit zeitgemäßer wissenschaftlicher und beruflicher Bildung beanspruchte er aber auch eine bessere amtliche und gesellschaftliche Stellung. Die Schule wollte er neben, nicht unter die Kirche, die Lehrer nicht unter, sondern neben den Geistlichen gestellt sehen. Seine Forderung, Schule und Lehrer müßten durch Fachmänner beaufsichtigt werden, harrt in Deutschland heute noch fast überall der Erfüllung. Sie war es, die neben seinem leidenschaftlichen Eintreten gegen den dogmatischen Religionsunterricht in den Volksschulen das Mißtrauen einzelner Kreise gegen ihn wachrief.

Adolf Diesterweg.

Als in den vierziger Jahren aus den höheren Regionen herab andere Winde als unter dem verstorbenen Könige Friedrich Wilhelm III. wehten, Diesterweg aber seinen Mantel nach diesem Winde zu drehen nicht gewillt war – persönliche Gegensätze zu seinem nächsten Vorgesetzten, dem Schulrath O. Schulz, kamen hinzu – da war er (1847) genöthigt, einen „längeren Urlaub“ zu nehmen, dem 1850 seine Pensionirung folgte. Aber er gab es nicht auf, für seine Ideen weiter zu wirken. Die berüchtigten preußischen Schulregulative vom Jahre 1854, welche die Bildung der Lehrer ganz gewaltig herabdrückten und durch Ueberbürdnng der Volksschule mit Gedächtnißstoff einen bildenden Unterricht zur Unmöglichkeit machten, fanden in ihm ihren erbittertsten Gegner. Ihre Beseitigung, die er bereits am Anfange der sechziger Jahre nahe wähnte, sollte er nicht mehr erleben. Aber durch sein Wort, welches seit 1858 von der Tribüne des preußischen Abgeordnetenhauses herab erscholl, desgleichen durch seine Schriften hat er viel dazu beigetragen, daß die Regulative mehrfach geändert oder wenigstens in zeitgemäßer Weise ausgelegt wurden.

Wie hoch nun auch Diesterweg die durch die Volksschule zu vermittelnde Bildung anschlug, so war er doch weit entfernt von dem Glauben, daß durch die Schule allein die Welt verbessert werden könnte. Stets betonte er, daß zur Hebung der sozialen Schäden noch manch anderes Mittel versucht werden müsse. Er stand schon dem Gedanken nahe, dem später Schulze-Delitzsch durch Einrichtung des Genossenschaftswesens Leben und Gestalt verlieh. Alle freiwilligen Bemühungen der Begüterten, das Los der Armen erträglicher zu gestalten, konnten seiner Unterstützung sicher sein. Auch hier zeigte er sich als echter Pestalozzianer, „Humanität“ hatte er auf seine Fahne geschrieben.

Allerwärts hat sich die deutsche Lehrerschaft gerüstet, den hundertsten Geburtstag Ad. Diesterwegs festlich zu begehen. Sie feiert in ihm nicht einen Mann, der tiefsinnige pädagogische Systeme erfunden hat, sondern einen gottbegnadeten Erzieher, der für die geistigen und leiblichen Bedürfnisse des Volkes ein warmes Herz gehabt, seine eigene ideale Begeisterung für seinen Beruf in die Kreise der Lehrer getragen hat und in Charakterfestigkeit, Berufstreue und praktischem Geschick ein Vorbild für alle Volksbildner gewesen ist.

Auf der Studienreise. (Mit Abbildung S. 745.) Wenn doch die Häuser keine Fenster hätten! Oder wenigstens keine rückwärtigen, zu denen die Mutter aber auch grad’ in dem Augenblick ’reinschauen muß, wo der Herr Maler, der bildsaubere nette Mensch, eine Pause im eifrigen Studium macht und dem blonden Resei ein ganz unschuldiges kleines Busserl auf seine frischen rothen Backen drückt, weil es gar so schön still gesessen ist beim Abzeichnen. Und jetzt deswegen einen solchen Mordsspektakel! Die alte Huberin kennt sich nicht vor Zorn, ein „grantiges Leut“ ist sie schon ohnedem immer, aber jetzt schimpft sie das arme Resei ganz ausbündig herunter, und das um so ärger, weil sie, die Huberin, über sich selbst auch einen Zorn hat. Nämlich, daß sie sich so hat einthun lassen von dem Schmierlappen, dem hinterhältigen, der ihr mit lauter Heiligenbildern daher gekommen ist und sich so recht brav und gottesfürchtig angestellt hat. Und grad’ dem hat sie trauen müssen, wo sie doch sonst keinem Menschen traut – springgiftig möcht’ sie werden vor Zorn darüber!

„Han, Resel,“ keift ihr scharfer Diskant, „daß di gar net schamst, und di abbusseln laßt von an solchen herg’laafenen Spitzbuben, von so an – “ er kann die folgende Steigerung seiner Ehrentitel mit eigenen Ohren anhören in der schützenden Truhe, die als einzige Zufluchtsstätte sich seinen Augen darbot, als draußen die knöchernen Finger der Huberin an die Scheiben pochten und ihr schneller Lauf nach der Thür ein Entrinnen durch dieselbe unmöglich machte. Aber es ist ein verdammt unbequemer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_770.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2023)