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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


bequemer Aufenthalt in dem Holzkasten, ganz abgesehen von der wenig glänzenden Lage für das hervorragende Mitglied der Münchener Schule. Niemals ist das berühmte Wort „Aussi möcht’ i!“ aus so gepreßtem Herzen aufgestiegen, als in diesem Augenblick. –

Das Resei, noch Neuling in solchen Scenen, steht da, die hübschen braunen Augen seitwärts gewandt, den Finger an die Lippen gedrückt, in rathloser Verlegenheit und Angst. Scheinbar demüthig dem strafenden Gepolter lauschend, hat sie doch keinen andern Gedanken als die Rettung des Jünglings in der Truhe. Leicht setzt sich die Mutter am Ende noch drauf, wenn sie verschnaufen muß, und druckt ihm eine Hand ab oder gar das Genick! … „O heilige Katharina,“ betet Resei in Gedanken zu dem hinter ihr hängenden, so schön gemalten Bild, „heilige Katharina, thu’ ein Wunder und hilf uns aus dieser Noth!“

Und siehe, die Heilige erbarmt sich und thut ein Zeichen. Im nächsten Augenblick knarrt der leise gehobene Truhendeckel ganz vernehmlich, die Huberin fährt herum – und Reseis Bitte ist erfüllt: der Maler feiert seine Auferstehung bei lebendigem Leibe. Wie freilich, davon schweigt er, heimgekehrt, den Kameraden gegenüber hartnäckig, so viel Rühmens er auch außerdem von dem blonden Resei macht.

Woher ich nun das alles weiß? … Ja, es giebt eben Bilder, die zu leben anfangen, wenn man sie betrachtet, weil der Künstler sie aus dem vollen Leben heraus gemalt hat. Das ist die Art des Meisters Mathias Schmid, der die Wahrheit sieht, ohne die Schönheit zu verachten, und deshalb uns so viel herzerfreuende Bilder geschenkt hat. Eins der anziehendsten darunter ist sicher das, welches wir heute unsern Lesern vorlegen.

Der letzte Berliner Pfahlbau. (Mit Abbildung S. 741.) Alte Gebäude umweht oft ein eigener Zauber, und nur ungern trennt man sich heute von Erinnerungen aus früheren Jahrhunderten; man sucht im Gegentheil alten Häusern aufzuhelfen und sie als Denkmäler einer vergangenen Zeit zu erhalten, sofern nicht aus zwingenden Gründen ihre Abtragung erforderlich ist.

Auf den ersten Anblick glaubt man wohl in dem „letzten Berliner Pfahlbau“, den unser Zeichner hier anschaulich wiedergiebt, ein Hamburger Bild vor sich zu sehen. Hamburg war einst gerade an Gebäuden solchen Stils reich, und es schien oft unbegreiflich, daß nicht der Sturm über Nacht einmal einem derartigen Jahrhunderte alten Mauerwerk den Todesstoß versetzte. Aber die Architekten jener Epochen bauten fest und kernig, und so hat auch bisher der „letzte Berliner Pfahlbau“ die Zeiten überstanden, bis nun – das Haus liegt an der Fischerbrücke und trägt die Nummer 28 – auch sein Ende durch Abbruch herangekommen ist.

Das mehrstöckige Gebäude den „letzten Pfahlbau“ zu nennen, ist man berechtigt, da es auf Pfählen steht, welche in das Wasser eingestampft sind. Eigentlich hat nur die Hinterfront etwas Anmuthiges, das Auge Fesselndes; Veranden ziehen sich die ganze Breitseite der Stockwerke entlang. Die Säulengeländer sind von Holz, und wilder Wein schlingt im Sommer seine grünen Arme um die Brüstungen. Aber auch allerlei Gethier hatte sich eingenistet, Tauben und Krähen ließen sich darauf nieder und in dunkler Nacht huschte auch mal ein Kätzlein mit behende gesetzten Pfoten hier und dort hin, aber nicht in mörderischer Absicht, sondern als Kamerad der Vögel und Hunde, welche die Veranden bevölkerten. –

Eine Fahne, welche die Aufschrift trägt: „Es lebe die Schiffahrt“, deutet auf den Wasserverkehr hin, und ebenso verleiht ein Laden mit dem Wappen der Elbstadt Hamburg dem Hause das Gepräge eines Fischerhauses. Wenn unseren Leser diese Zeilen vor Augen kommen, ist der alte Bau schon weggeräumt, aber er hat doch für die Erinnerung hier bildlich ein Unterkommen gefunden. – h –     

Martin Behaims Denkmal in Nürnberg, (Mit Abbildung S. 749.) Der Geograph Martin Behaim, der Verfertiger des ersten Globus, wird stets mit Ehren genannt, wenn die bedeutenden Männer aus der ehemals Freien Reichsstadt Nürnberg aufgezählt werden. Zwar hat das Alterthum bereits Darstellungen der Erde in Kugelgestalt gekannt; aber Martin Behaim hat diese verlorene Kunst aufs neue gefunden und damit die geographische Wissenschaft seiner Zeit bedeutend gefördert. Dies ist jedoch nicht sein einziges Verdienst, ja nicht einmal sein größtes. Er war es, der durch Verbesserung der Steuermannskunde den Seeleuten es möglich machte, sich von der Küste weg auf die hohe See hinaus zu wagen; er durchschnitt selbst auf schwankem Schiff den Ocean und betrat als Erforscher Afrikas Gegenden, die vor ihm nie eines Europäers Auge geschaut hatte; Martin Behaim ist mit der Entdecker des heutzutage so bedeutsam gewordenen Kongostroms. Damit hat er sich für alle Zeiten unvergänglichen Ruhm erworben.

Martin Behaim, 1459 in Nürnberg geboren, erhielt in seiner Jugend, obwohl zum Kaufherrn bestimmt, von dem berühmten Astronomen Regiomontanus Unterricht in der Himmelskunde. Gar bald mußte er in die weite Welt hinaus, 1479 sehen wir ihn bereits in Antwerpen Handel treiben. Kaufmännische Reisen führten ihn nach Lissabon, und hier wurde er veranlaßt, seine astronomischen Kenntnisse für den portugiesischen Seedienst zu verwerthen. Er wurde Mitglied einer wissenschaftlichen Kommission zur Verbesserung der Steuermannskunde, und bald darauf machte er als fachmännischer Begleiter des Admirals Diogo Cão im Auftrage des Königs von Portugal eine Entdeckungsfahrt entlang der Westküste von Afrika mit, deren Haupterfolg, die Entdeckung des Kongo, wir bereits erwähnt haben.

Reiche Ehren wurden dem Heimgekehrten in Lissabon zu Theil; König Johann II. schlug ihn eigenhändig zum Ritter des Christusordens, und noch in demselben Jahre 1486, verheirathete er sich mit der Tochter des flandrischen Edelmanns Jobst von Hurter, der als portugiesischer Statthalter an der Spitze einer vlämischen Kolonie auf der Azoreninsel Fayal stand. Martin Behaim lebte von jetzt an theils auf Fayal, theils in Lissabon; nur einmal rief ihn die Ordnung von Erbschaftsangelegenheiten auf ein paar Jahre, 1491 bis 1493, nach Nürnberg zurück, wo er seinen berühmten „Erdapfel“ auf Anregung und Kosten des Rathes herstellte und der Stadt als Andenken hinterließ. Dieser Globus ist noch vorhanden und im Besitz der v. Behaimischen Familie. Martin Behaims Tod fällt höchst wahrscheinlich in das Jahr 1506 (der von seinem Sohn gestiftete Todtenschild giebt, wohl irrthümlich, 1507 an); die Kirche der Dominikaner in Lissabon nahm die irdischen Ueberreste des im deutschen Hospital Gestorbenen auf.

Der Gedanke, Martin Behaim ein Denkmal zu errichten, stammt von dem ersten Bürgermeister der Stadt Nürnberg, dem Freiherrn O. von Stromer; die Durchführung des Gedankens nahmen die städtischen Behörden in die Hand. Der Schöpfer des vorzüglich gelungenen Standbildes ist Professor Hans Rößner in Nürnberg, der Erzguß wurde ebenfalls einem Landsmanne, dem Erzgießereibesitzer Professor Lenz, übertragen. Martin Behaim ist als Ritter des Christusordens dargestellt, an seiner Seite den wohlbekannten „Erdapfel“. Zwei allegorische Figuren, Sinnbilder des Handels und der exakten Wissenschaften, schmücken den Sockel, welch letzterer nebst Piedestal nach dem Modell von Rößner von Bildhauer Joh. Suter zur Ausführung gebracht wurde. Am 17. September, einem prächtigen Herbsttage, wurde das Denkmal in feierlicher Weise enthüllt. Die weihevolle Festrede hielt Professor Günther aus München, dem wir auch ein vortreffliches Werk über Martin Behaim (Buchnersche Verlagsbuchhandlung, Bamberg) verdanken. Franz Dittmar.     

Der Apfel des Paris. (Zu dem Bilde 760 und 761.) Schönheitsrichter sein ist ein schwieriges Amt, das hat schon der alte Paris erfahren. Deshalb sitzt auch sein geistlicher Nachfolger in schwerem Bedenken und schaut starr hinüber nach den drei Grazien am Brunnen. Sie geben sich den Anschein, nicht auf die päpstliche Soldateska zu achten, die hier im Hof der Osteria ein geräuschvolles Mahl abgehalten hat, aber sie haben doch eine hübsche Zeit gebraucht, um ihre Krüge zu füllen und scheinbar unbefangen plaudernd sich in graziösen Stellungen den Herren Offizieren zu zeigen. Und diese sind so gespannt auf den köstlichen Spaß, wie sich das Pfäfflein schließlich aus der Klemme ziehen wird, daß sie, sehr gegen ihre Gewohnheit, ohne Wort und Wink den Schönen gegenüber verharren. Wer wird den Apfel erhalten? Die braune Juno mit dem stolz erhobenen Haupt, die kühl blickende Pallas zu ihrer Rechten, oder die sanftgerundete Dorfaphrodite, welche, um den Sieg zu beschleunigen, sich scheinbar zum Gehen wendet? Sie selber sind in nicht minderer Spannung als die männlichen Theilnehmer der Scene, die mit verschiedenen Graden des Interesses und Wohlgefallens herüberlugen. Ganz gleichgültig verhalten sich nur die ruhig fressenden Pferde im Hintergrunde sowie das fromme Eselein und – die alte Wirthin, welche in den unruhigen Kriegsläuften schon allzuviel derartige Kurzweil gesehen hat, um sich besonders dabei aufzuhalten. Sie ahnt nicht einmal, wie malerisch ihre alte Locanda ist, und wie reizvoll sich das ansteigende Bergnest über ihrem verwilderten Garten in den Himmel hebt. B.     

Schnellzugsgeschwindigkeit. Ein im letzten Jahre in England erschienenes Werk über englische und ausländische Schnellzüge enthält u. a. eine Vergleichung der Schnellzugsgeschwindigkeit in den verschiedenen Ländern. Hiernach würde Norddeutschland unter den europäischen Staaten den vierten Rang einnehmen, indem Großbritannien, Frankreich und Holland vorangehen, Belgien auf gleicher Höhe steht und Süddeutschland, Oesterreich-Ungarn, Dänemark, Italien, Rumänien, Schweden, Rußland und die Schweiz folgen. Mit deutscher Gründlichkeit ist nun aber unter genauer Aufführung aller Schnellzüge diese Berechnung umgestoßen und nachgewiesen worden, daß auf dem europäischen Festlande die norddeutschen Bahnen und darunter wieder die preußischen Staatsbahnen den ersten Rang einnehmen.

Diese auf Grund der Fahrpläne aufgestellte Berechnung ergiebt, daß einschließlich aller Aufenthalte in dem zum Vergleich herangezogenen Jahre 1888 auf den

preuß. Staatsbahnen 44 397,9 Schnellzugs-km in 053 453 Minuten
in Norddeutschland 46 193,5 " " " 055 867 "
"0 Holland 14 657,3 " " " 017 767 "
"0 Frankreich 84 945,0 " " " 105 495 "
"0 Belgien 10 913,2 " " " 013 705 "

täglich zurückgelegt wurden.

Dies entspricht einer stündlichen Durchschnittsgeschwindigkeit
von 49,8 km0 in Preußen,
" 49,6 " " Norddeutschland,
" 49,5 " " Holland,
" 48,3 " " Frankreich,
" 47,8 " " Belgien.

Wahrscheinlich sind auch Süddeutschland und Oesterreich-Ungarn in der englischen Berechnung zu kurz gekommen.

Arabischer Märchenerzähler. (Zu dem Bilde S. 765.) Zwei kleine Tagereisen unterhalb der weltberühmten Nilinsel Philä liegt auf hohem Ostufer des Heiligen Stromes eine einsame Tempelruine von machtvoll breiten Formen, der letzte Ueberrest einer altägyptischen Stadt, dem Reisenden bekannt als der Tempel von Kom Ombo. Der unablässig an den Uferbergen nagende Nil hat die vorgelagerten Thorbauten des Tempels längst zu sich herabgezogen, von rückwärts drängt unaufhaltsam der Wüstensand nach und schichtet sich höher und höher. Nur ein Saal mit fünfzehn gewaltigen reichverzierten Säulen ragt noch empor, Zeugniß ablegend von der Macht und dem Kunstsinn der Ptolemäerfürsten, seiner Erbauer.

Am Fuße dieser tausend Jahre alten Ruine hat sich eine malerische Gruppe gelagert. Eine Karawane ist’s, die von Assuan gen Norden zieht; sie hat in ihrer Mitte einen jener sagenkundigen Männer, denen der Orientale so gerne lauscht, wenn sie in blumenreicher Sprache und mit den lebhaftesten Gebärden ihre wundersamen Märchen erzählen, in denen der ganze phantastische Reiz des Morgenlandes mit seiner Gluth der Farben und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_771.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2023)