Seite:Die Gartenlaube (1890) 798.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Tabora.

Von Sansibar ist die erfreuliche Kunde eingetroffen, daß Emin Pascha auf seinem Zuge nach dem Viktoria-Njansa die Hauptniederlassung der Araber im Innern, Tabora, erreicht hat.

Die Grenzen von Deutsch-Ostafrika sind jetzt endgültig festgestellt. Unsere ostafrikanische Kolonie ist ein gewaltiges Stück Land, ungefähr zweimal so groß wie das Deutsche Reich, und hat eine sehr günstige bevorzugte Lage. Ihre östliche Grenze bildet die Küste mit den wichtigen Handelsstädten Bagamoyo, Dar-es-Salaam u. s. w. Im Norden umfaßt sie den grünen Sockel des schneebedeckten Kilimandscharo und stößt an den herrlichen Viktoria-Njansa oder den Ukerewe, wie die Araber den See nennen. Im Westen grenzt sie an das Gebiet des Kongostaats und verläuft längs der Ostküste des Tanganyikasees, berührt die nordöstliche Spitze des Njassasees und schließt im Süden mit dem Laufe des Rowumaflusses ab. Durch dieses Gebiet führten seit jeher die Hauptstraßen des mittelafrikanischen Handels, auf welchen das Elfenbein der Länder um den Viktoria- und Tanganyikasee nach Sansibar gebracht wurde. Hier liegen die Hauptetappen der Araber auf dem weiten Wege nach dem Kongo; die Handelsbeziehungen reichen von der Küste bis Njangwe und darüber hinaus, berühren in Uganda und Unjoro selbst die Grenzen des Reiches der Mahdisten. Die Karawanen der Händler werden nicht so bald die gewohnten Wege verlassen, um neue Bahnen einzuschlagen, und die alten Handelsstraßen entlang wird sich auch die koloniale Thätigkeit der Deutschen bewegen.

Emin ist gerade zu diesem Zwecke abgerückt. Er will die Handelsstraße über Tabora zum Viktoria-Njansa sichern und an den Gestaden des Sees selbst eine Station gründen, die zu einem Mittelpunkt der Kultur werden soll. Die erste wichtige Etappe auf diesem Wege ist nunmehr erreicht worden. Bis jetzt bildete Mpwapwa an den Grenzen Usagaras das äußerste Bollwerk der deutschen Macht, nun aber hat sich ganz Unjamwesi Emin unterworfen. Versuchen wir Land und Leute, durch welche der ruhmvolle Kulturträger im dunklen Welttheil gezogen ist, in kurzen Umrissen zu skizzieren.

Westlich von Mpwapwa dehnt sich etwa zwei starke Tagemärsche lang eine Wildniß aus, „Marenga Mkali“, „Bitterwasser“ genannt, da die Quellen und Brunnen dieses Gebietes bitter schmecken. Nachdem die Flaschen mit Trinkwasser gefüllt worden sind, zieht man in Eilmärschen vorwärts; die Karawanen marschieren geschlossen mit geladenen Gewehren, denn vom Norden bedrohen die Massai, vom Osten die Wasagaro, vom Süden die Warori und vom Westen die Wagogo kleine Karawanen und Nachzügler. Ueberfälle stehen hier auf der Tagesordnung, die schwarzen Räuber verschwinden in dem Dunkel der Nacht und die Thäter lassen sich niemals feststellen.

Jenseit Marenga Mkali dehnt sich Ugogo aus, „das häßlichste, ärmste ungastlichste Land, das ich in Afrika kennenlernte,“ sagt Wißmann von ihm. Es bildet den ersten Abfall von dem Hochplateau des äquatorialen Afrikas nach Osten, eine weite Ebene, die nur von vereinzelten nackten, mit Granitgeröll bedeckten Höhen unterbrochen wird. Wir haben hier eine Steppenlandschaft vor uns. Wenige krüppelhafte Bäume, viel dorniges Gebüsch und spärliches feines Gras entsprießt dem sandigen Boden. Sieben Monate dauert hier die Trockenzeit, und während derselben findet man nur in Lachen und künstlich aufgehaltenen Brunnen warmes, in allen Farben des Regenbogens schillerndes, schlechtes Wasser.

Rauh und ungastlich wie ihr Land sind auch die Bewohner. Viele Häuptlinge haben sich hier am Wege niedergelassen und erheben Hongo, d. h. Durchgangszoll; die Brunnen zwischen den weiten wasserlosen Strecken sind von bewaffneten Eingeborenen besetzt und die durstigen Karawanen müssen jeden Topf voll Wasser kaufen.

Der Reisende begegnet hier überall der „Tembe“, einer besonderen Art von Hütten. Sie wird aus zwei parallellaufenden Wänden gebildet, die durch Querwände in kleinere Räume getheilt und mit einem fast flachen, nur vorn etwas ansteigenden Dache bedeckt sind. Sie sind gewöhnlich in Gestalt eines Vierecks gebaut, innerhalb dessen das Vieh während der Nacht eingepfercht wird, und da überdies auch das Geflügel und die Ziegen den Aufenthalt in den Hütten theilen, so sind diese ganz fürchterlich schmutzig und alles wimmelt von Insekten. Sie gehören vielleicht zu den unbequemsten Wohnungen, die das menschliche Gehirn je ersonnen hat.

Die Quälerei des Hongozahlens war seit jeher den Arabern lästig und vor etwa 20 Jahren versuchte einer derselben sich durch Ugogo durchzuschlagen. Er hatte seine Absicht offen erklärt und rückte an der Spitze von etwa 900 Mann in das Land ein. Die Wagogo erwarteten seine Ankunft aber gar nicht, sie verschütteten die Brunnen, verbrannten ihre Häuser nebst allem, was sie nicht forttragen konnten, und zogen sich mit Weib und Kind, Vieh und allen Habseligkeiten in die Dschungeln zurück. Da wurde der tapfere, aber weniger kluge Araber durch Hunger und Durst besiegt; die wenigsten seiner Leute kehrten zu ihrem Ausgangspunkt zurück, nur zehn schlugen sich durch Ugogo durch, die meisten starben an Erschöpfung und die Zahl der Todten wurde Cameron auf 600 bis 700 Menschen angegeben.

Hinter dem ungastlichen Ugogo dehnt sich „Mgunda Mkali“ oder „das heiße Feld“ aus. Zu Beginn der großen Aera der Afrikaforschung, als Burton das Land zum ersten Male betrat, verdiente es den Namen, denn es war eine menschenleere Wildniß, ist der es an Nahrungsmitteln und Wasser fehlte. Seit jener Zeit hat sich vieles verändert. Aus der Umgegend vertriebene Stämme besiedelten das Land und Anfangs der siebziger Jahre konnten Stanley und Cameron erklären, daß der Name auf das Land nicht mehr passe. Aber die kurze Blüthezeit ging rasch vorüber. Die Häuptlinge stritten mit einander um den Besitz des Landes, wo man die Karawanen am besten ausplündern konnte, und die Folge davon war die Entvölkerung des Landes; Mgunda Mkali ist wieder eine Wildniß, in deren schattenlosen Wäldern und Dschungeln das Wild umherschweift.

Doch nach wenigen Tagen erreicht der Reisende eine Gegend, in der bebaute Felder sein Auge erfreuen, er betritt Unjamwesi, das „Mondland“, und nähert sich einem Knotenpunkt ostafrikanischer Karawanenstraßen, einer Hauptniederlassung der Araber, dem vielgenannten Tabora. Es ist eine Poststation, auf der sozusagen Pferde gewechselt werden. In Ostafrika bildet aber der Mensch noch immer das einzige Lastthier; alle Waren, Tauschmittel müssen die Neger auf ihrem Kopfe tragen, doch die Träger von der Küste gehen in der Regel nur bis Tabora, hier müssen neue gemiethet, die Karawanen frisch gebildet werden.

Die Araber haben sich an diesem Orte schon seit langer Zeit niedergelassen. Ihre Magazine sind stets wohlgefüllt und der Reisende kann hier alles, was er als Zahlungsmittel im Innern braucht, wie Zeuge, Perlen und Draht, ja auch Pulver und Kugeln, Gewürze und Apothekerwaren erhalten; sie kosten aber hier fünf Mal so viel als in Sansibar. Die Ebene, auf welcher die Kolonie liegt, ist zwar baumlos, aber fruchtbar. Reis wird überall erbaut; süße Kartoffeln, Yams, Mais, Sesam, Hirse, Felderbsen sind immer zu haben. Ja selbst Weizen und Gerste werden um die Tembes der Araber angebaut und vor ihren Häusern gedeihen Orangen, Limonen und Melonenbäume, während in den Gemüsegärten Knoblauch, Gurken, Tomaten etc. gebaut werden. Rings um Tabora giebt es gute Weideplätze, die von Vieh und Ziegenherden belebt sind, so daß in Tabora zu jeder Zeit auch Milch, Sahne und Butter zu haben sind.

Aber der Gast der Araber kann auch in anderen Genüssen schwelgen. „Wenigstens einmal im Jahre,“ schrieb Stanley in seiner anziehenden Schilderung des Lebens in Unjamjembe, „bringen ihnen ihre Sklaven von der Küste Vorräthe von Thee, Kaffee, Zucker, Gewürzen, eingemachten Säften, gewürzten Saucen, Wein, Branntwein, Zwieback, Sardinen, Lachs, feinen Tuchen und allem, was sie für ihren eigenen persönlichen Gebrauch bedürfen. Fast jeder Araber von Stande vermag einen Reichthum an persischen Teppichen, luxuriösen Betten, vollständigen Thee- und Kaffeeservicen, schön verzierten Schüsseln von verzinntem Kupfer und messingenen Waschbecken aufzuweisen. Fast alle haben Uhren und Ketten, einige solche von Gold, andere aus geringerem Material.“ Kurz die Araber leben hier wie in der „Stadt des Sieges“ und haben auch ihre Harems mit schwarzen Schönen.

Durch einen Bergrücken von Tabora getrennt, liegt in unmittelbarer Nähe eine zweite Niederlassung, Kwihara, in der Stanley und Livingstone eine Zeit lang wohnten.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_798.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)