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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Neunzig Jahre Frauenmode.

Von Cornelius Gurlitt.0 Mit Zeichnungen von O. Seyffert.


II.

Die Tage der Freiheitskriege brachen an. Die politische Welt warf die Last der französischen Uebermacht unter heißen Kämpfen von sich. Kein Land ergriff das Ringen tiefer als Deutschland. Nicht ohne Spannung durchblätterte ich die Modezeitungen von 1812 und 1813, um die Wirkungen der großen auf deutschem Boden geschlagenen Schlachten in diesen zu beobachten.

Da ist zunächst das „Journal des Dames et des Modes“, welches in Frankfurt am Main seit 1799 erschien. Es hat die besten Kupfer und schritt in der Kenntniß der Vorgänge im tonangebenden Paris den anderen Blättern entschieden voraus. Ich fand kaum eine Zeile über den Krieg. Die Modenberichte, die französischen Erzählungen und Gedichte gehen ruhig fort, ungestört vom Geschützdonner von Großbeeren, Dresden und Leipzig.

Ein zweites Blatt ist das „Journal des Luxus und der Moden“, von Bertuch und Kraus herausgegeben; es erschien in Weimar seit 1786. Der Krieg erscheint wohl in manchem seiner Berichte, aber ohne Parteinahme für die kämpfenden Völker, mehr als eine Störung im Betrieb der Modegeschäfte wie als eine nationale Sache, die alle Fasern des öffentlichen Lebens ergreift.

Gesinnungstüchtiger erweist sich die in Leipzig erscheinende „Allgemeine Modenzeitung“. Zwar die Nummer vom 19. Oktober 1813, die also gedruckt wurde, während rings um die Stadt der furchtbare Entscheidungskampf der Völkerschlacht tobte, beginnt mit einer Erzählung „Meine Schnupftabaksdose“ und fährt in alter Weise mit meist herzlich läppischen kleinen Mittheilungen fort. Aber am 2. November erscheint ein Artikel: „Was geziemt dem Manne in unseren Tagen?“, dem ähnliche voll patriotischer Begeisterung über die Pflichten der Frauen folgen. Das Modeblatt kämpft sogar dagegen, daß die Frau der Mode zu sehr, namentlich zu lang folge. Man ruft Frauenvereine auf. Man stellt in den Kupfern die Waffenkleider der siegreichen Helden dar. – Aber die Modenberichte aus Paris bleiben die alten. „Das Rosenrothe ist jetzt die herrschende Farbe!“ beginnt in dem Blatte vom 9. November der Pariser Brief. Einige Versuche, englische Modebilder zu beschaffen, werden bald wieder eingestellt. Und wenn bis 1820 der „teutsche Sinn“ der Frauen auch öfter angerufen wird, so folgt auf den Sieg der Waffen kein Sieg der Tracht. Deutschland bleibt in altgewohnter französischer Knechtschaft.

Man erfand zwar damals „teutsche Moden“. Die Burschenschafter haben sie lange getragen. Man sah auch Mädchen in einer Art Gretchenkleid, man gab sich Mühe, ein deutsches „Nationalkostüm“ zu entwerfen. Im Iahre 1848 und dann wieder 1859 wiederholten sich unter Wilhelm von Kaulbachs Leitung durch Münchener Künstler diese Bestrebungen. Aber alle endeten mit Mißerfolgen. Ein Nationalkostüm hat es eben nie gegeben und wird es bei fortschreitenden Völkern nie geben. Selbst unsere Bauerntrachten verschwinden nothwendigermeise. Das mag man vom Standpunkt der Liebe zum Eigenartigen aus beklagen, von dem des Freundes seines Volkes aus aber sollte man es nur mit Freude begrüßen. Bleibende Trachten sind Beweise des geistigen Stillstehens. Wenn erst einmal eine Geschichte des Bauernstandes geschrieben sein wird, dann wird man sehen, wie auch dieser stets mit der Mode ging, wenn er in guter Lage sich befand. Jetzt tragen die Bauern das Kleid des 16. oder 18. Jahrhunderts in mehr oder minder rein erhaltenen, meist durch Verknöcherung steif und eckig gewordenen Bildungen. Vor dem Dreißigjährigen Krieg und vor dem Verfall der alten ständischen Staatsordnungen, das heißt vor den beiden großen Zeiten der Bauernschinderei, dachte der Landmann nicht daran, sich zu tragen, wie es seine Urgroßväter gethan hatten. So ist denn ein ständiges Nationalgewand wohl möglich in China, war es bis vor kurzem vorhanden in Rußland. Aber wo die Freiheit hinkommt, wo der Fortschritt herrscht, vielgestaltiges Wollen alle Tage die Schönheitsempfindung umbildet, da leidet der Formensinn und die Formenermüdung keinen Stillstand, da schaffen beide ihr launisches Kind: die Mode!

So blieb auch das deutsche Nationalkostüm ein unerfüllter Wunsch. Unsere Frauen würden böse Augen machen, wollte man sie auf ein solches verpflichten: sie würden sich bedanken, zu tragen, was die Künstler von 1818, 1848 oder 1859 ihnen vorschreiben wollten.

Seit die napoleonische Herrschaft geendet hatte, die bourbonischen Könige wieder in Paris thronten, jene Männer wieder am Staatsruder saßen, die in schwerer Zeit der Verbannung „nichts gelernt und nichts vergessen“ hatten, verschwand nach und nach das „antike“ Kostüm. Mit vollem Bewußtsein griff man nun in der Mode wie in der Politik auf die Zeit vor der Revolution, auf die Tage der alten Königsherrlichkeit zurück.

Ein Menschenalter hindurch hatten die Frauen keine Schnürleiber oder doch nur schmale, den Körper nicht beengende Stützen der Brust getragen. Es war dies die Revolutionszeit gewesen. Seit die Freiheit durch den Kaiser eingeschränkt worden war, kam als Vorbote das corset à la Ninou auf. Seit 1820 etwa wurde es zum entscheidenden Kleidungsstück für die Mode. Wie die Männer Frankreichs ins alte Staatsrecht, so wurden die Frauen in die engen Leibchen aus der Zeit der Pompadour eingespannt. Der Rocksitz sank von der Brust langsam wieder auf die Hüften herab. Damit war die Möglichkeit gegeben, den Anzug in ein über die Schultern gezogenes jackenartiges Stück und in einen getrennten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_045.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)