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Ein windiger Handwerksgeselle.

Die Druckluft im kleinen Gewerbebetrieb.
Von A. Bürkner. Mit Abbildungen von Willy Stöwer.

Wer ein Fläschchen mit wohlriechendem Wasser zur Hand nimmt und den Gummiball daran mit Daumen und Zeigefinger preßt, um dem zierlichen Glase einen Staubregen zu entlocken, denkt wohl kaum daran, daß die Kraft, welche er spielen läßt, auch zu gewaltigen Arbeitsleistungen benutzt werden, Maschinen in Fabriken treiben und Lasten auf Schienen weiter befördern kann.

Druckluftbetrieb einer Tischlerwerkstätte.

Diesseit der Vogesen ist allerdings zur Zeit noch keine derartige Anlage von einigem Umfange in Betrieb, wohl aber in Frankreich und namentlich in Paris und dessen Umgebung; da läuft seit mehr als Jahresfrist zwischen Vincennes und Ville d’Evrard an der Marne entlang aus einer Strecke von 11 km eine Straßenbahn, welche statt durch Dampf durch Druckluft betrieben wird, während in Paris selbst, namentlich im Osten und im Centrum der Stadt, gegen zweitausend industrielle Anlagen ihren Lebensodem, die bewegende Kraft ihrer Maschinen, aus der Centraldruckluft-Anlage in der Straße St. Fargeau in Belleville beziehen. In Deutschland ist bisher die Stimmung der Errichtung von Druckluftanlagen in Städten nicht günstig gewesen; man wollte der Elektrizität die Zukunft ausschließlich vorbehalten und das Gute, welches die Druckluft schon jetzt überall zu leisten imstande ist, dem, wie man glaubt, Besseren: den künftig zu erhoffenden Leistungen der Elektrizität, opfern. So ist es zu erklären, daß augenblicklich Druckluftanlagen in Deutschland und Oesterreich noch nicht in Betrieb sind. Trotz der stark betonten Bedenken gegen die Einführung der neueren bewegenden Kraft geht man indeß nunmehr auch bei uns angesichts der augenscheinlichen und handgreiflichen Erfolge, welche der Oesterreicher Victor Popp in Paris mit dem nach ihm benannten Druckluftsystem errungen hat, daran, dasselbe von Paris zu uns herüberzuholen.

Betrieb mittels Druckluftwerkzeugen.

Fürth, das den Ruhm genießt, die erste Eisenbahn auf deutschem Boden errichtet zu haben, wird bald auch die erste Druckluftanlage in seinen Mauern sehen. Die Hauptstadt des Deutschen Reiches schien schwieriger für die Sache zu gewinnen; man wandte sich daher zunächst an den größten Vorort Berlins, nach Rixdorf.

In diesem „Dorfe“ fand sich Verständniß und Entgegenkommen für die neue Idee; die Anlage einer Centralstation und die Verlegung der die Druckluft vertheilenden und vertreibenden Röhren in die Ortsstraßen sollten genehmigt werden, falls sich die über die Pariser Erfolge gemachten Angaben an Ort und Stelle bewahrheiteten. Eine Kommission war bald gewählt, ging’s doch nach Paris, nach welchem mancher der jetzigen Gemeinderäthe im Jahre 1870/71 als Wachtposten von den Höhen von Stains oder Pierrefitte sehnsuchtsvoll ausgeblickt hatte, ohne das böse schöne Seinebabel betreten zu dürfen!

Nach Paris! Um ein Uhr Mittags geht der Zug vom Anhalter Bahnhof in Berlin ab, am nächsten Morgen um halb neun Uhr passiert der Ankömmling in Paris die Schranken am Octroi; wenn er nichts Verzollbares bei sich hat, sitzt er bald im Einspänner, der ihn durch enge Straßen mit gewaltigem Wagenverkehr seinem Gastfreunde zuführt. Daß Paris mit feinen vielen engen, oft wenig sauberen Gassen und überhohen Häusern bei dem Fremden, bevor er die Boulevards entlang gefahren ist, die Notredamekirche, das Louvre und die Stadttheile am Triumphbogen gesehen hat, eine gewisse Enttäuschung hervorruft, ist schon oft bemerkt worden. Jemehr er aber von Paris sieht, desto mehr findet er, was ihm Anerkennung abnöthigt.

Also hinaus zur Rue St. Fargeau nach Belleville. Steile Straßen mit unansehnlichen Häusern führen hinaus nach Nordost; dort, nahe der Ringmauer liegt die Erzeugungsstätte der Druckluft, mit welcher Popp ein gewaltiges Stück der Stadt da zu unseren Füßen versorgt. 4000 Pferdekräfte sind es, welche die 16 Luftpumpen vor uns in Bewegung setzen. Wie die Lungen eines Riesen der Mythologie saugen sie in der Minute so und so viel Kubikmeter Luft ein, um sie den seitlich angeordneten wagrecht lagernden Eisenkesseln der Kompressoren zuzuführen. Damit die Kehle des Riesen nicht heiß und trocken wird, sorgt ein Spritzapparat dafür, daß es jedem dieser gewaltigen Athemzüge nicht an einem guten Tropfen fehle; bescheiden nimmt der Riese mit Pariser Wasser vorlieb.

Dort oben ist dies freilich etwas knapp, und so hat sich Popp bald nach einem bequemeren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_109.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)