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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Truggeister.

Roman von Anton von Perfall.
(7. Fortsetzung.)


Als der alte Baron und Theodor nach Hause kamen, fanden sie im Empfangszimmer Stefanelly, der ihrer hier wartete. Christian fiel sofort das abfällige Urtheil Baron Anspachers ein und was er bei ihm erfahren hatte; die Zornesröthe stieg ihm ins Gesicht.

„Wie kommen Sie dazu, mich in öffentlichen Blättern als Theilnehmer an Ihrem Aktienunternehmen zu nennen? Ich hätte doch wenigstens erwartet, daß Sie zuerst meine Einwilligung dazu einholen?“

„Schon gelesen also?“ fragte Stefanelly, ohne seine Ruhe zu verlieren, mit geschmeidigem Lächeln.

„Nicht gelesen, aber gehört, und zwar von Baron Anspacher, von dem ich eben komme, der sich höchlichst darüber aufgehalten hat! – Sie gefährden damit meine ganze Stellung!“

„Das glaube ich, daß sich Baron Anspacher darüber aufgehalten hat. Der ärgert sich grün und blau, daß ich das Geschäft ohne ihn gemacht habe. Ihre Stellung gefährden? Was für eine Stellung, wenn ich fragen darf?“

„Als Mitglied der hiesigen Aristokratie, der ersten Gesellschaft!“

Stefanelly legte die Hand auf die Schulter Brennbergs. „Unsinn!“ sagte er fest, die Stirn runzelnd. „Ich komme eben, um Ihnen eine Stellung in dieser Gesellschaft zu verschaffen, die Sie noch nicht haben.“

Christian schüttelte entrüstet die Hand ab.

„Herr Stefanelly, Sie gehen weit!“

„Sehr weit! Ich biete Ihnen die Stellung eitles Aufsichtsrathes in der Bodenerwerbungsgenossenschaft. Nun, was sagen Sie jetzt?“

Christian war überrascht. Der Titel klang verführerisch, die besten Namen führten ihn; die Warnung des Bankers konnte ja auch wirklich dem Geschäftsneid entspringen. Anspacher ärgerte sich wohl, daß der unerfahrene alte Landjunker, kaum in der Stadt, ihm schon ins Handwerk pfuschte. Aber doch war Christians Vorsicht geweckt.

„Ich bin kein Geschäftsmann, verstehe nichts davon. Wie kommen Sie gerade auf mich?“ entgegnete er verwirrt.

„Sehr einfach, Sie führen einen guten Namen.“

Christian stutzte; hatte Anspacher doch recht?

„Sie können repräsentiren, und das ist die Hauptsache in dieser Stellung, das andere mache ich.“

„Das heißt, ich soll mit meinem Namen für die Sache Reklame machen!“ entgegnete Christian als gelehriger Schüler des Bankiers, mit geheimer Freude, daß er Stefanelly zeigen könne, wie er ihn durchschaue.

„Wenn Sie es so nehmen wollen, ja! Das Publikum muß immer durch Kniffe zu seinem Vortheil gezwungen werden, nur der Uebervortheilung schenkt es freiwillig Gehör. Ich weiß alles; Anspacher hat Sie gegen mich aufgehetzt, hat behauptet, ich mißbrauche Ihren Namen, das sei so die Art der kleinen Leute, die rasch zu etwas kommen wollen wie der Stefanelly – nicht wahr, so sagte er?“ Und der Unternehmer las aus Christians unverhohlenem Erstaunen, daß er fast den Wortlaut getroffen hatte; er kannte seine Leute.

„Nun, wenn Sie dem Anspacher mehr Vertrauen schenken als mir,“ fuhr Stefanelly im Tone des gekränkten Biedermanns fort, „mir auch recht, ich finde Dutzende Ihres Standes, die mit beiden Händen zugreifen. Das Unternehmen ist ein Bedürfniß, die ganze Stadt interessirt sich dafür, es wird nicht, es ist bereits ein großer Erfolg. Die Aktien werden, sobald sie an der Börse eingeführt sind, unter Hundertundvierzig nicht zu haben sein, Sie haben sie noch vor wenigen Wochen zum Nennwert gekauft. Wenn Sie die Stellung eines Aufsichtsraths annehmen, kann ich Ihnen noch hundert Stück verschaffen, die letzten. In einem Monat stehen sie schon auf Zweihundert. Allerdings, den Herrn Baron Anspacher werden Sie dadurch nicht zum Freunde gewinnen. Wenn Ihnen daran viel liegt – ich kenne Ihr Verhältniß zu ihm nicht – dann werden Sie wohl verzichten müssen, denn Anspacher, das sage ich Ihnen – wird sich zu Tode ärgern. Ich kann Ihnen die Beweise bringen, daß er selbst um jeden Preis diese Stellung anstrebte.“

„Der Baron Anspacher?“ Christian war fassungslos.

„Ja, Baron Anspacher! Hier, lesen Sie!“ Der Unternehmer überreichte ihm einen Brief.

Er enthielt wirklich ein Anerbieten des Bankiers, sich mit einer großen Summe bei dem Unternehmen zu betheiligen, unter der Bedingung, daß er in den Aufsichtsrath gewählt werde.

Christian empfand einen Augenblick ein lebhaftes Gefühl der Genugthuung: jetzt konnte er sich rächen an dem hochmüthigen verhaßten Bankier! Es war ihm nur unklar, wie Stefanelly dazu komme, ihm den Vorzug vor dem mächtigen Börsenmann einzuräumen. Er fragte danach.

„Das Unternehmen wäre verloren, wenn Anspacher hervorragend dabei betheiligt wäre,“ gab Stefanelly Auskunft. „Man mißtraut diesen Börsenfürsten, man haßt sie geradezu als die Ausbeuter des Volkes. Sie dagegen, ein Herr von Brennberg, können unmöglich in diesem Verdacht stehen. Gerade Ihre Unschuld in geschäftlicher Beziehung ist in diesem Falle Ihre Stärke.“

Christian war überzeugt, und seine Gereiztheit gegen Anspacher gab den Ausschlag. An die Stelle zu kommen, die dieser erstrebt hatte, das schien ihm ein Triumph. Er fühlte plötzlich Jugendkräfte in sich aufsteigen, die Schönauer Vergangenheit lag in grauer Ferne hinter ihm, er fühlte sich ganz im Banne dieser neuen Welt, die ihm, dem Greis, noch so verlockend winkte.

Er schlug ein.

Auf den Abend war eine Versammlung der Aktionäre anberaumt, da sollte Herr von Brennberg erscheinen, um seiner Wahl entgegenzusehen; alles sei wohl vorbereitet.

Christian drückte beim Abschiede Stefanelly die Hand – der Mann meinte es doch wirklich gut mit ihm!

„Aufsichtsrath!“

In seinem Lehnstnhl sitzend, sprach er das Wort wiederholt vor sich hin. Es klang so einschmeichelnd. Kaum zwei Monate in der Stadt, und schon glaubte er klar einzusehen, was er sein langes Leben über in diesem Schönau versäumt hatte. Allein noch war es Zeit, noch hatte er ein gutes Stück zu leben, er wollte es der hochmüthigen Gesellschaft, die jetzt wohl sich lustig machte über den ungebildeten Landjunker, schon zeigen! Aufsichtsrath! Dabei blieb man nicht stehen – man mußte aufmerksam werden auf ihn, – sein guter Name dazu – ein Finanzgenie – Finanzminister von Brennberg! „Gott, wenn ich jetzt zwanzig Jahre meines in Schönau nutzlos verträumten Lebens zurückrufen könnte!“

*      *      *

Die Versammlung der Aktionäre im „Hotel zum Kaiser“ war stark besucht, der Saal drückend voll. Entscheidende Berichterstattung, große Pläne standen auf der Tagesordnung, vor allem galt es, den Aufsichtsrath zu wählen.

Die Männer, die hier versammelt waren, trugen alle, mit wenig Ausnahmen, ein eigenthümliches Gepräge. Auf den ersten Blick erkannte man, daß sie nicht gerade dem altangesessenen Bürgerthum der Stadt angehörten, noch weniger den Finanzkreisen; es waren größtentheils Gestalten, denen man eine arbeitsvolle Vergangenheit ansah, Männer, die in ihrem ganzen Aeußern verriethen, daß sie erst im Begriffe waren, Städter zu werden, Emporkömmlinge, die eben Anstalt machten, sich zu den Kapitalisteu zu schlagen; Leute, welche das unnatürliche, hastige Aufblühen der Stadt rasch wohlhabend gemacht hatte. Sie mußten ja eigentlich einem Unternehmen Vertrauen schenken, das nur eine logische Folge ihrer neuen verbesserten Lage war.

Weinmann saß neben Margold, welchen er wider seinen Willen mitgeschleppt hatte. Ein junger Mann in auffallend moderner Kleidung ging von Tisch zu Tisch und machte, seinen erregten Armbewegungen nach, Stimmung – es war Hans Margold.

Hans hatte sich in der kurzen Zeit zu einem vortrefflichen Agenten Stefanellys ausgebildet, und dieser hatte mit dem brauchbaren jungen Manne große Pläne.

Es herrschte eine freudig erregte Stimmung. Alle waren darin einig, Stefanelly, der Gründer, müsse der Leiter der Gesellschaft werden. Er war ihr Mann, ihm, dem glücklichen Schicksalsgenossen, dem ehemaligen Arbeiter, der sich durch seinen geweckten Geist emporgeschwungen hatte, vertrauten sie unbedingt. Sie empfanden alle die stolze Genugthuung, sich „emporgearbeitet“ zu haben – daß bei den meisten das Glück, der Zufall die größte

Rolle gespielt hatte, wurde nicht beachtet. Eine förmliche Gier erfüllte sie, unter der Leitung dieses Mannes aus ihrer Mitte dem Kapital, dem sie Jahrzehnte lang dienstbar gewesen waren, auf seinem eigenen Boden, dem Boden der Spekulation, Schach zu bieten. Daß sie damit demselben System huldigten, gegen das sie einst gemurrt hatten, daß sie auf Kosten ihrer früheren, weniger glücklichen Genossen sich bereichern wollten, daran dachten sie nicht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_128.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)