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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


schwärzesten Monat des Jahres, denn zweimal in diesem Monat, und zwar beide Male am 9. Ab, ward der Tempel zu Jerusalem zerstört.

Erst neuerdings hat man daran erinnert, welch verhängnißvolle Rolle der Monat Januar in der Geschichte der belgischen Königsfamilie spielt. Als am 1. Januar 1890 der Königspalast von Laeken in Flammen stand, rief die Königin, als man ihr den Brand meldete: „Ach, der Monat Januar bringt uns immer Unglück!“ Das ist nicht unbegründet, wie aus folgenden geschichtlichen Daten hervorgeht: Im Januar 1867 wurde Kaiserin Charlotte von Mexiko, die Schwester des Königs, wahnsinnig infolge der übermäßigen Anstrengungen und Aufregungen, welchen sie sich unterzogen hatte, um den wankenden Kaiserthron ihres Gemahls zu stützen; am 23. Januar 1869 starb der einzige Sohn des Königs, der Kronprinz und Herzog von Brabant; im Januar 1881 wurde das königliche Schloß, in welchem die Kaiserin Charlotte wohnte, durch einen Brand zerstört; am 30. Januar 1889 endete im Drama von Meyerling der Schwiegersohn des Königs, Kronprinz Rudolf von Oesterreich; am 1. Januar 1890 wurde das königliche Schloß von Laeken ein Raub der Flammen, und am 23. Januar 1891, am gleichen Tage wie der frühere Kronprinz, starb der neue Kronprinz, der Neffe des Königs, Prinz Balduin.

In Bayern, im Salzburgischen, im Elsaß fürchtet man die sogenannten Schwendtage, das heißt die Unglückstage; besonders mannigfach ist die Tagewählerei bei den Russen und Finnen, Indern, Chinesen und Japanern. Wenn sich so mehrmals Schlimmes an einem und demselben Tag ereignet, so schiebt es die Menge mit dem Herzog von Friedland auf die Gestirne, auf eine himmlische „Influenza“ (das Wort bedeutet eigentlich den Einfluß der Gestirne), auf das Fatum und auf alle möglichen geheimnißvollen Mächte; der Weise aber sagt: es ist Zufall. Wenn ein einzelner Mensch vom Unglück verfolgt wird – und wer wollte das Vorhandensein außergewöhnlicher Pechvögel leugnen, die im Grase stolpern, auf den Rücken fallen und sich die Nase brechen? – so hält sich das Volk an den Stern, unter dem dieser Mensch geboren, an die blinde Fortuna und an die Vorherbestimmung. Der Weise behauptet: es ist Zufall! Warum sollte sich nicht infolge von Bedingungen, die wir nicht kennen, das Gute und das Böse, das im allgemeinen gleichmäßig vertheilt ist, einmal zusammendrängen können, daß es dicht beisammen steht und, nach einem italienischen Ausdruck, ein „Sack von Unglück“ draus wird? Als der liebe Gott die Gebirge säte, so erzählen sie in der Türkei, und er gerade über Montenegro war, bekam der Sack ein Loch – so geht’s! Wie kann man immer gleich wissen, daß der Sack ein Loch hat!

Item: auch bei den sogenannten Unglücksvögeln, von denen das Volk das Pech anderer herleitet, wird der verständige Mann nichts weiter bewundern als das Spiel des Zufalls – wohl eingedenk, daß der Aberglaube, einmal befestigt, allerdings eine wirkliche Macht wird und durch die Furcht, die er einflößt, die Befangenheit und Unsicherheit, die er erzeugt, thatsächlich Schaden bringen kann. Laßt es einmal ruchbar werden, daß die Lokomotive der Pennsylvania-Eisenbahn verhext sei, so verliert der Lokomotivführer den Kopf und ein neuer Eisenbahnunfall folgt. Und das ist eben bei Menschen das Traurige, daß, wenn sie einmal das Unglück haben, für Unglücksbringer angesehen zu werden, sie nun auch wirklich Unglück anziehen. Denn ein Unglück und ein belangloser Zufall ist es ja doch nur, was das Pferd des Sejus und das Halsband der Harmonia und die Leute mit dem bösen Blicke in Verruf gebracht hat – eines jener räthselhaften Zusammentreffen, von denen das Leben voll ist, die der gesunde Menschenverstand verachten sollte, weil sie nach den Regeln der Mathematik gelegentlich eintreten müssen, die nichtsdestoweniger den Leuten den Kopf nur allzuoft verwirren und die bedauernswerthen Unglücksvögel noch bedauernswerther machen, als sie sind. Soviel herzbrechendes Elend mit ansehen zu müssen und immer dazu zu kommen, wenn etwas Schlimmes passiert, ist an sich schon Mißgeschick genug. Es noch dazu verschulden zu sollen, hat etwas Uebermenschliches. Das Sprichwort sagt: ein Unglück kommt selten allein. Wenn es aber in Gesellschaft eines und desselben unschuldigen Menschen wiederholt kommt, was ist daran erstaunlicher, als wenn sich zwei Fußgänger auf der Oranienbrücke zu Berlin zweimal begegnen?

Man hat berechnet, daß auf derselben täglich durchschnittlich 79 932 Menschen verkehren.

Rud. Kleinpaul.


Die Blumen des Paradieses.

Von Dr. A. Nagel.0 Mit Abbildungen von Emil Schmidt.

Im farben– und formenreichen Hofstaate Floras beanspruchen die Orchideen eine besonders ausgezeichnete Stellung. Mit Recht, denn keine andere Familie vereinigt in sich soviel des Schönen und Merkwürdigen in Gestalt, Färbung und Duft wie diese. Man hat die Falter wohl „fliegende Blüthen“ genannt – „erstarrte Schmetterlinge“ könnte man nicht unpassend zahlreiche Orchideenblumen nennen, bunte Gaukler der Lüfte, die, aus fröhlichem Getümmel herab auf die schwanken Zweige sich niederlassend, plötzlich durch den Zauberspruch einer geheimnißvollen Macht hier festgebannt wurden und seitdem nur noch eine Art Traumleben führen wie das Dornröschen des deutschen Märchens. Die stets geschäftige Volksphantasie geht noch weiter: da sollen einige Blüthen Fliegen und Mücken, andere wieder Bienen und Spinnen täuschend ähneln, sogar Vögel werden zum Vergleich herangezogen. Ein „Botaniker“ der alten Zeit, Hieronymus Bock, sagt in seinem 1552 erschienenen „Kreutterbuch“ von einer Ophrys-Art, der „Stendelwurz“, hinsichtlich ihrer Blüthe: „Das unterst Theil vergleicht sich einer Horneß oder Bremmen, das oberst sicht gleich einem Vögelin mit seinem Haupt und aufgethonen Flügelen.“ Bei diesem Vergleiche läßt unser alter Kräutermann es aber nicht bewenden, allen Ernstes behauptet er, die genannte Pflanze leite ihren Ursprung nicht etwa aus Samen, sondern – worauf räth man wohl? – von den Drosseln her! Einige Orchideen, unter ihnen das seltsame „Vogelnest“ (Neottia nidus avis), galten im Mittelalter für sichere Mittel, sich unsichtbar zu machen, die Wurzelknollen anderer wieder schützten, in die Kleidung eingenäht, ihren Träger vor dem gefürchteten „bösen Blick“ oder erwarben ihm die Zuneigung seiner Mitmenschen. Auch in den Religionsbräuchen einzelner Völker spielen die Orchideen eine Rolle. Bei den alten Griechen war eine Art, Kosmosandalon genannt, der Demeter heilig und wurde bei den sommerlichen Festen der Göttin von den andächtigen Wallern als Kranz getragen; im Vaterlande der schönsten Orchideen, in Mexiko, schmückten die Eingeborenen ihre Tempel und Götterbilder mit den herrlichen Blumen. Dort waren überhaupt von jeher diese Pflanzen beliebt, während es im alten Indien dem Volke untersagt gewesen sein soll, Orchideen zu besitzen und sich mit deren prächtigen Blüthen zu bekränzen! Der Herrscherfamilie sowie der höchsten Aristokratie habe dies Recht allein zugestanden.

Daß man von altersher besonders den stark duftenden Arten unter den Orchideen Geschmack abzugewinnen gesucht hat, versteht sich von selbst. So dienen die getrockneten Knollen einer Anzahl europäischer wie asiatischer Gattungen seit lange zur Gewinnung des, wenigstens früher, sehr geschätzten „Salep“, einer Art nahrhaften Mehls. Die getrockneten Blätter einer auf der Insel Mauritius heimischen Orchidee, Angraecum fragrans, die sich durch starken Wohlgeruch auszeichnet, liefern ein angenehmes Aufgußgetränk, den „Fahamthee“, der eine Zeitlang sogar zu den immer wieder auftauchenden „unfehlbaren Mitteln“ gegen die Schwindsucht zählte. Keine Gattung aber hat als Genußmittel eine solche Bedeutung gewonnen wie die Vanille. Die schotenförmigen Früchte der in Mexko einheimischen Vanilla planifolia gehören ja zu den beliebtesten, aromatischesten aller Gewürze. Das Gewächs, von den alten Azteken mit dem anmuthigen Namen tlilxochitl belegt, gehört zu den Kletterpflanzen und gedeiht daher nur dort, wo recht hohe weitverzweigte Bäume ihm Gelegenheit geben, dem angeborenen Triebe zu genügen. Von Mittelamerika wurde die Vanille nach Java verpflanzt, wo sie zwar üppig gedieh, aber anfänglich keine Schoten erzeugen wollte. Lange suchte man vergeblich nach der Ursache hiervon, bis man fand, daß sie im Fehlen gewisser Insekten auf Java liege, die in der Heimath die Blüthen der Vanille

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_171.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2021)