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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Truggeister.

Roman von Anton von Perfall.
(10. Fortsetzung.)


Der Minister schaute Bertl scharf und prüfend einen Augenblick an. „Sind Ihre Eltern etwa krank, daß sie nicht mitgekommen sind?“ fragte er dann.

Dem Rath stockte der Athem. Nun war sie da, die verhängnißvolle Frage. Aber Theodor, welcher den Minister persönlich kannte, parirte vortrefflich: die Eltern der Dame hätten sich völlig von der Welt zurückgezogen, nachdem ihr kleines Gütchen der sich nach dieser Richtung hin ausdehnenden Stadt zum Opfer gefallen sei.

„Das wäre also in der Richtung nach Haching zu gelegen?“ fragte der Minister, gegen den Rath gewendet.

„Ganz richtig, Excellenz, gegen Haching,“ stammelte dieser mit einer Verbeugung.

„Und der Herr Papa findet sich wohl schwer in das Stadtleben, Fräulein Margold?“ fuhr Graf Derwitz fort. „O, das begreife ich, es ist ein Uebelstand, den ich schon längst bemerkt habe, dem aber schwer abzuhelfen ist. Die Zeit verlangt ihr Recht. Wenn ich nicht irre, Herr von Brennberg, sind Sie ein Schicksalsgenosse des Fräuleins“ – ein Lächeln kräuselte dabei die Lippen des Ministers – „Ihrem Vater ging es ja ebenso mit Schönau, nicht wahr? Doch scheint er sich eher in die neue Zeit hineinzufinden wie Herr Margold, er ist ja bereits Aufsichtsrath in der neuen Aktiengesellschaft, an deren Spitze dieser Stefanelly steht –“ die Stirn des Ministers zog sich, während er dies sagte, in Falten. „Ihr Herr Vater ist darin sehr kühn – da hat der Ihre, Fräulein Margold, das bessere Theil erwählt. Fern von allen Aufregungen genießt er seine alten Tage in Ruhe und Frieden und läßt sein schönes Töchterchen unter dem Schutze der Frau Räthin dahinflattern. Wo wohnt denn Ihr Herr Papa, wenn ich fragen darf?“

„In demselben Hause mit dem Herrn Rath,“ entgegnete Bertha, in welcher von neuem die Scham über die Verleugnung ihrer Eltern und ihres Standes mit der Angst kämpfte, ihre glänzende Stellung für den heutigen Abend zu verlieren. „Es ist das Eigenthum meines Vaters.“

Der Minister stutzte und blickte auf den Rath, der förmlich in sich zusammensank.

„Sie wohnen doch seit einigen Monaten in der äußern Mariannenstraße?“ fragte er.

Der Rath nickte stumm, in sein Schicksal ergeben.

Der Minister strich sich die hohe Stirn.

„Wie doch mein Gedächtniß nachläßt! Margold! Den Namen las ich erst in einem Schriftstück, die Anlage der neuen Straße betreffend –“

Der Rath Stürmling fühlte die Nacht um seine Augen sich legen; er kannte nur zu gut das vortreffliche Gedächtniß seines Chefs, und dieser war auf der rechten Fährte, er ließ sie nicht mehr los.

Bertha sah ängstlich flehend auf den Minister.

„Ja, jetzt erinnere ich mich,“ fuhr dieser fort, den Blick des Mädchens ganz verstehend und mit wohlwollendem Lächeln erwidernd. Dann faßte er den Rath scharf ins Auge. „Ich kenne ihn selbst, den Herrn Margold, ein wackerer Mann, von dem es mich herzlich freut, zu hören, daß es ihm gut geht. Solche neue Bürger können uns nur erwünscht sein.“

Die Worte klangen scharf, verweisend, und dennoch waren sie eine Himmelsbotschaft für den Rath, der das Haupt wieder hob wie eine Blume, die nach langen Regenschauern sich gegen die Sonne emporrichtet. In seinem Innern freilich mußte er lachen über die demokratische Regung, die ein Blick aus den Augen Berthas in der Brust des Ministers wachgerufen hatte. Bertha stiegen die Thränen in die Augen; sie hätte diesem Mann die Hand küssen mögen, der ihren guten Vater so lobte, der, trotzdem er jetzt wußte, wer sie war, sein liebenswürdiges Benehmen nicht änderte. Es war also alles nicht wahr, was der Vater immer sagte, was der Rath und selbst Theodor glaubten, daß es eine Schande sei, das Kind eines einfachen schlichten Gärtners zu sein. Wenn dieser hohe Herr mit dem Stern, der Höchste hier im Saale, vor dem sich alles beugte, es nicht dafür hielt, dann durfte es niemand dafür halten.

„Uebrigens, das ist ja zu komisch, Fräulein Margold,“ fuhr der Minister, jetzt wieder zu Bertha gewendet, fort, „daß man Sie heute abend durchaus zur Westindierin machen wollte. Ich lasse jedermann in dem Glauben, Ihnen wird es ja nichts schaden, das Ausländische hat nun einmal eine besondere Anziehungskraft in M ... Jeder Russe ist ein Fürst, jeder Amerikaner ist unermeßlich reich, jeder Franzose geistreich, pikant, jeder Südländer ein heißblütiger Othello, und wir selbst sind nichts als ausgemachte Spießbürger.“

Die ganze Umgebung beobachtete die vertrauliche Unterhaltung der Excellenz mit Bertha, man beneidete den Rath um das Glück, sie am Tische zu haben, man nannte ihn einen Streber, der das alles zum voraus berechnet habe, die Schwäche des Ministers für schöne Damen kenne. Auf Bertha fiel jetzt das strahlende Licht des diamantenbesetzten Ordens auf der Ministerbrust, sie war gefeit, für jeden jungen Beamten war es jetzt Pflicht und Ehre, mit ihr zu tanzen.

Der Minister empfahl sich endlich mit einem herzlichen „Auf Wiedersehen“ von Bertha, welche in ihrem überströmenden Dankesgefühl ihm gegenüber fast ihre Stellung als Dame vergaß und seine Hand leidenschaftlich drückte, – mit einer kühlen abgemessenen Verbeugung von dem Rath und der übrigen Gesellschaft.

Der Rath athmete auf und trank in langsamen Zügen ein frisch eingeschenktes Glas Champagner aus. Die Sache war ja über alles Erwarten günstig für ihn abgelaufen und er hatte Excellenz nie so gnädig gesehen; Bertha war eine Perle, sie mußte jetzt auf jeden Ball mit, sie, die Tochter eines wackeren Mannes, eines guten neuen Bürgers, warum denn nicht? Wie er nur hatte zweifeln können, ob das ginge oder nicht!

Die Frau Räthin faßte die Sache anders auf; sie raunte Bemerkungen über den „alten verliebten Narren“, wie sie zum Entsetzen des Rathes den Minister nannte, ihrem Gemahl zu, so daß dieser achselzuckend den Tisch verließ.

Ohnehin begann die Musik wieder, der Tisch leerte sich; auch Theodor empfahl sich und forderte Bertha zum Tanze auf, mit einem sarkastischen „Bitte, Herr Lieutenant“ von seiten Irmas und ihrer Mutter entlassen. Alles verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor Bertha, die gar nicht begriff, warum sie denn jetzt eine andere sei als vor dem Essen. Theodor mußte ihr alles erklären: auch wenn man jetzt erfahre, daß sie die Tochter des Gärtners Margold sei, werde niemand mehr wagen, ihre Anwesenheit hier oder irgend wo in der guten Gesellschaft unpassend zu finden, nachdem der Minister sie so ausgezeichnet habe.

Wohl mußte Bertl herzlich über diese Auskunft lachen, aber sie fand doch, daß dieser Minister ein recht gescheiter, herzensguter Mann sein müsse, ohne alles Vorurtheil, ein Mann, der die Menschen immer nach ihrem inneren Werth schätze; und als ihr Theodor erklärte, daß der Graf von Derwitz diese Eigenschaften mit Ausnahme der erstgenannten durchaus nicht besitze, daß er als Feind im höchsten Grade gefährlich, gegen seine Untergebenen von maßlosem Stolze erfüllt, im ganzen nichts weniger als ein Volksmann sei, da sagte sie, ganz verwirrt von diesem Widerspruche:

„Und für mich war er ein Engel heute abend. Wie kommt das nur? Was bin ich für ihn?“

„Ein schönes Weib!“ flüsterte Theodor ihr ins Ohr, „und das ist hier alles, die höchste Macht.“

Bertha zitterte in seinem Arme bei diesen Worten. Den ganzen Abend schon hatte sie diese Macht gefühlt, jetzt aber war es klar ausgesprochen von dem, den allein sie derselben unterliegen sehen wollte, und der Ton, in dem er diese verführerischen Worte sprach, ließ sie nicht mehr daran zweifeln, daß er wirklich schon unterlegen war. Es galt nur eine entscheidende Frage, aber noch that sie diese nicht, denn es war ihr, als schwände damit der geheime Zauber, der über dem Unausgesprochenen lag. Es gelüstete sie plötzlich, ihre Macht erst voll und ganz zu genießen, sie auch andere fühlen zu lassen, ehe sie dieselbe auf den Geliebten allein beschränkte. Sie dachte dabei an keine Untreue, nur ein Spiel sollte es sein, Rache vielleicht an dieser lügnerischen, sie im Innern doch geringschätzenden Gesellschaft.

Sie genoß jetzt erst all die Blicke, all die schönen Worte, die ihr gesagt wurden; besonders von dem Minister fühlte sie sich eigenthümlich angezogen, trotz seiner weißen Haare; absichtlich trat sie ihm in den Weg, und sie empfand ein wonniges Schauern unter seinen Blicken, eine sonderbare Sympathie, die sie sich selbst nicht erklären konnte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_176.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)