Seite:Die Gartenlaube (1891) 246.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Im Kampf um einen Königsthron.
Die Herzogin von Berry und ihre Gefangenschaft in Blaye.
Von Eduard Schulte.
(Schluß.)


Als Deutz sich entfernt hatte, unterhielt sich die Herzogin im Zimmer der Fräulein von Guiny im Kreise der wenigen Herren und Damen, für die sie in der Regel allein zu sprechen war. Zufällig trat Guibourg ans Fenster; mit Schrecken nahm er wahr, wie ein Bataillon Infanterie möglichst geräuschlos auf das Haus zuschritt und es rings umstellte. Er verständigte die Anwesenden in aller Eile, und nun wurde von der Herzogin, dem Fräulein Stylite von Kersabiec, die ihr seit längerer Zeit Gesellschaft leistete, und den Herren Guibourg und von Mesnard das oben bereits erwähnte Versteck aufgesucht. Es bestand in einer Nische, welche sich in der Mauer hinter einem Kamin befand. Der Hintergrund des Kamins war durch eine große eiserne Platte abgeschlossen, und wer den Kamin betrachtete, konnte nicht annehmen, daß die Platte einen anderen Zweck habe als den, die Mauer vor der unmittelbaren Berührung durch das Kaminfeuer zu schützen. In Wirklichkeit war die Platte die Thür zu jener Nische. Diese war nach Guibourgs Angaben an dem einen Ende etwa 50 cm, an dem anderen 20 bis 30 cm tief, einen Meter breit und der schrägen Richtung des unmittelbar darüber befindlichen Schieferdaches entsprechend an der einen Seite höher als an der anderen; an der höchsten Stelle konnte ein Mann mittlerer Größe mit Mühe aufrecht stehen, und zwar nur, wenn er den Kopf zwischen die Dachsparren hielt. Die Tiefe der Nische war so gering, damit es scheinen sollte, als wäre der ganze Raum hinter der Platte nur durch die Mauer ausgefüllt, die an dieser Stelle zugleich die Außenmauer des Hauses war; niemand konnte hier eine Zufluchtsstätte vermuthen. Die genannten vier Personen nahmen diesen Raum, über die Feuerstelle des ungeheizten Kamins hinwegsteigend, in einer bereits vorher festgestellten, ihrer Körpergröße angemessenen Ordnung ein; die Herzogin stand an der niedrigsten Stelle. Kaum hatte die Platte, die von außen und von innen zu öffnen war, sich hinter ihnen geschlossen, da betraten Polizeibeamte und Soldaten auch diese Dachkammer, wie sie in alle Räume des Hauses eindrangen.

Die vom Präfekten und Kommissar Joly geleitete Haussuchung wurde mit großem Eifer betrieben. Die Damen von Guiny spielten mit Geistesgegenwart die Unbefangenen und verbargen ihre Erregung, da sie sich eben zum Essen niedersetzten, hinter angeblicher Eßlust. Die Köchin, welche man sofort auf die Polizei führte, behauptete, nichts zu wissen und nichts aussagen zu können, und blieb standhaft, auch als man eine Summe, die auf 200 000 Franken angegeben wird, in Goldstücken verlockend vor ihr aufzählte. Daß man die Herzogin nicht fand, überraschte die leitenden Beamten, entmuthigte sie jedoch nicht. Sie ließen, ehe sie sich spät abends entfernten, in jedem Stockwerk Soldaten und Polizisten zurück. Zwei Gendarmen, die in der Dachkammer blieben, zündeten im Kamin ein Feuer an, und nun wurde die Platte auf beiden Seiten glühend. Wiederholt geriethen die Kleider der Eingeschlossenen in Flammen und wurden nur mit genauer Noth gelöscht. Sie selbst erhielten Brandwunden. So verging die Nacht. Am Morgen wurden die Nachforschungen im ganzen Hause fortgesetzt. Arbeiter mit Hämmern, Hacken und Eisenstangen hoben Dielen aus und schlugen Wände ein. Die Nische blieb unentdeckt, obwohl prüfende Hammerschläge auch gegen sie geführt wurden. Nachdem das Feuer erloschen war, heizten die Gendarmen zum zweiten Mal und mehr als am Abend vorher. Obgleich das schadhafte Schieferdach etwas Luftzug eindringen ließ, war die Gefahr, daß die Eingeschlossenen in der glühenden und verdorbenen Luft erstickten, ebenso groß wie die, daß sie bei lebendigem Leibe verbrannten. Die Lage wurde unerträglich, und die Herzogin befahl, die Platte zu öffnen; diese war durch die Gluth ausgedehnt und klemmte in ihrem Rahmen; um sie aufzustoßen, mußten die Herren Fußstöße anwenden. Die Gendarmen fragten: „Wer ist da?“ Man antwortete: „Gefangene, die sich ergeben“. Die Gendarmen beseitigten das Feuer und halfen den Armen, wieder ans Tageslicht zu kommen. Diese hatten Unbeschreibliches erduldet. In einem Raume, der kaum die Größe eines gewöhnlichen Kleiderschrankes hatte, waren sie unter den erschwerendsten Umständen siebzehn Stunden zusammengepfercht gewesen!

„Ich bin die Herzogin von Berry,“ sagte Marie Karoline hervortretend; „Sie sind Militärs und Franzosen, und ich vertraue mich Ihrer Ehre an.“ Der General von Dermoncourt, den man herbeigerufen, führte die Erschöpfte zu einem Stuhl und ließ ihr ein Glas Wasser reichen. Die Mutter Heinrichs V. war in der Gewalt Louis Philipps. Man bewachte sie und Fräulein von Kersabiec zwei Tage im Schlosse der Stadt und führte sie dann zu Schiff die Loire abwärts über das Meer in die Mündung der Gironde bis zur Festung Blaye, wo sie am 15. November ankam. Die Citadelle von Blaye wurde ihr als Aufenthaltsort angewiesen.

Deutz erhielt den Lohn für seinen Verrath nunmehr ausgezahlt. Man überreichte ihm die beiden Packete, welche die Banknoten enthielten, mittels – einer Feuerzange. Er starb bald darauf, nachdem er sein Geld in ausschweifendstem Genusse verschwendet hatte.

Die Papiere der Herzogin wurden nach Paris geschickt. Einen Theil davon verbrannte Thiers in Berryers Gegenwart; einige Briefe scheinen in König Louis Philipps Hände gekommen zu sein, namentlich diejenigen, welche für die Könige von Holland und Sardinien Belastendes enthielten. Die Begleiter der Herzogin und einige andere damals ebenfalls verhaftete Personen, welche ihr Dienste geleistet hatten, wurden vor Gericht gestellt und meist freigesprochen; die Verurtheilten fanden baldige Begnadigung.

Die Frage war nun, was mit der Herzogin selbst geschehen sollte.

„Glauben Sie mir, man wird verlegener sein als ich,“ hatte die fürstliche Gefangene in Hinblick auf die Regierung zu einem dienstthuenden Offizier gesagt, als sie in Nantes zu Schiff ging, und in der That war die Verlegenheit in Paris groß genug. Am liebsten hätte man die Gefangene sofort über die Grenze gebracht, aber man meinte, sich an die gesetzlichen Vorschriften halten zu müssen und davon nur mit Genehmigung der beiden Kammern abweichen zu dürfen. Schon am Tage nach der Verhaftung wollten die zuständigen Beamten die Gefangene dem von den Gesetzen geforderten Verhör unterziehen. Sie wurden daran durch die vom Könige und vom Minister Thiers unterzeichnete Ankündigung verhindert, daß ein besonderer, diesen Fall ordnender Gesetzentwurf zu verfassungsmäßiger Erledigung an die Kammern gehen werde. Die Feinde der Regierung verlangten ein in Paris durchzuführendes Gerichtsverfahren; von den Aufregungen und Zwischenfällen, die damit nothwendig verbunden gewesen wären, versprachen sie sich viel, vielleicht den Sturz der Regierung. Gerade deshalb wußte diese es durchzusetzen, daß die ihr ergebene Mehrheit in den Vertretungskörpern sie ermächtigte, mit der Herzogin nach eigenem Ermessen und ohne Eingreifen der Gerichte zu verfahren. Die Regierung hatte nun, durch Kammerbeschlüsse gedeckt, freie Hand, aber sie erhielt diese Ermächtigung erst im Januar 1833, und vorläufig hatte sie dafür zu sorgen, daß die Herzogin in sicherer und doch rücksichtsvoller Haft gehalten wurde.

Der Gefangenen waren im Dienstgebäude des Gouverneurs von Blaye mehrere Zimmer eingeräumt, auch ein Garten stand zu ihrer Verfügung. Thiers selbst hatte gleich nach der Verhaftung angeordnet, daß ihr im Punkte der Verpflegung und materiellen Behaglichkeit kein Wunsch versagt werden sollte. Für die Möblirung ihrer Zimmer und derjenigen ihrer Begleitung und Bedienung wurden sofort 3000 Franken verausgabt. Man schaffte ein Klavier und sogar einen Schoßhund und einen Papagei für sie an. Die Küche wurde auf dem Fuße einer fürstlichen Hofküche geführt. Daß die legitimistischen Zeitungen gleichwohl über Bedrückungen und Entbehrungen klagten, denen die erlauchte Gefangene ausgesetzt sei, und daß diese Klagen Glauben fanden, konnte die Regierung natürlich nicht hindern. Ein ungenannter Anhänger der Herzogin sandte eine wollene Decke für sie ein, und auf einem daran befestigten Zettel standen die Worte: „Ihre Hoheit möge die erstarrten Glieder damit wärmen.“ Ein andermal kam ein Paar dicker, mit Nägeln beschlagener Schuhe und dazu die Notiz: „Um Madame vor dem feuchten Boden ihres Kerkers zu schützen.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_246.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)