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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

durch gestreckte, schmale Muskeln und weiter – wie der aufmerksame Dr. Wurm nachgewiesen hat – durch zwei feste, halbkreisförmige Biegungen in ihrem unteren Theile, von welchen die erste, obere, nach außen, die andere, untere, nach innen mit ihrer Wölbung gebogen ist. Der Umstand, daß der Kinnmuskelapparat sehr verlängert erscheint und die Eigenschaft besitzt, Zunge und Luftröhre auffallend zu heben oder zu senken, ist die Ursache, daß in der Ruhe oder dem Tode die schlaff gewordenen Bänder und Muskeln in den Hals sinken und die Biegungen der Luftröhre sich zu einer Schleife gestalten. Diese auffallende Erscheinung führte bei dem phantasiereichen Jägerstande zu dem Glauben, der Auerhahn habe keine Zunge oder beiße sich dieselbe beim Verenden ab. Die Henne entbehrt dieser organischen Merkmale, mit ein Beweis, daß dieser Apparat wesentlich das Stimmwerkzeug abgiebt, das die sonderbaren Balztouren hervorbringt.

Die Aufklärung der Ursache, weshalb der Auerhahn während des Schleifens tatsächlich nichts hört, verdanken wir wiederum Wurm. Er gewahrte bei der Sektion, daß ein beiderseits vom Unterkieferwinkel entspringender, etwas ausgebogen und sich verjüngend nach oben und wenig nach hinten verlaufender, 23 bis 25 mm langer Knochenfortsatz nach vorne sich über die Ohröffnung zieht, sobald sich der Schnabel des Hahnes weit öffnet, was thatsächlich beim Schleifen stattfindet. Dieser Verschluß des Gehörganges wird um so dichter, als in dieser Zeit die Ohröffnung durch die angeschwollene Haut daselbst ohnedies verengert ist. Das Gesicht zeigt sich jedoch beim Vorspiel des Knappens thätig, ist aber ganz gewiß während der hohen Erregung des Schleifens umflort, denn der Hahn hebt in solchen Augenblicken auch noch die Nickhaut der Augen. Die Erregung und die körperliche Anstrengung hierbei ist aber auch so stark, daß das Vibriren des balzenden Vogels sich dem Standbaum mittheilt, also daß die an den Stamm angelegte Hand das Zittern verspürt. Schließlich verdient erwähnt zu werden eine ebenfalls von Wurm zuerst beobachtete merkwürdige Eigenthümlichkeit des Vogels, daß nämlich alljährlich die Hornscheide des Schnabels wie auch die Nägel der Zehen sich ablösen und neu gestalten.


Sind das nicht absonderliche Eigenthümlichkeiten eines so vielfach interessanten Wald- und Jagdthieres? Ja, der Auerhahn ist eine der hervorragendsten Originalgestalten in den Reihen unseres vaterländischen Wildgeflügels. In ihm verkörpert sich die Majestät, die Abgeschiedenheit und Mystik des Gebirgswaldes, in der Jagd nach ihm die hohe Romantik des Weidwerkes. Wer ihn je in seiner vollen Pracht gesehen hat, den Hahn des einstigen Urwaldes, der vergißt seine auffallende Erscheinung nimmermehr. Hoch aufgerichtet wie ein krähender Haushahn oder mit weit vorgestrecktem Halse und Kopfe steht er während des Knappens, um dann mit dem Einsetzen des Schleifens den Hals höher zu recken und das gefächerte Spiel aufzurichten. Es nähern sich so Kopf und Spiel während des Schleifens und gehen wieder auseinander nach vollendeter Balztour; oder der Vogel balzt, je nach seiner Individualität, so, „als ob er auf die Erde herabfliegen wollte, mit gesenkter Brust und wagrecht vorwärts, selbst etwas nach abwärts gestrecktem Kragen.“

In diesem von heftiger Leidenschaft getragenen Minnespiele mag der prächtige Hinterwäldler noch eine Weile unter seinem grünen Laubdache sein abenteuerliches Wesen treiben; bald wird er nur noch in traurigen Resten als ausgestopfter Balg in den Museen oder als Jagdtrophäe in der Gewehrstube des Jägers an die entschwundene Poesie unseres einst wildreichen deutschen Waldes wehmütig gemahnen! Laßt ihn unbehelligt, ihr Männer im grünen Kleide, seine Knospen äsen, die der Wald in seiner Lebensfülle alljährlich wieder durch Millionen anderer ersetzt; laßt ihn in überschwänglicher Minne noch eine Zeit lang balzen zum Hochgenuß des „unterspringenden“ Weidmannes! Wie lange wird es währen, da balzt der Auerhahn im deutschen Wald nicht mehr, wie der Edelhirsch bald seinen letzten Brunftschrei in den immer wildleerer werdenden Revieren durch die Morgendämmerung geschickt haben wird!



Truggeister.

Roman von Anton von Perfall.
(Schluß.)


Bertha eilte durch die leerstehende Werkstatt, sie rief nach Therese – da öffnete sich die Thür und Vater Margold trat heraus.

„Wo ist Georg?“ rief Bertha, obwohl sie die Antwort zum voraus wußte.

„Verhaftet!“ erwiderte finster Margold.

Bertha verbarg ihr Antlitz in die Hände.

„Ja, so weit kann man kommen mit der verdammten Gier nach dem Geld, die den Menschen packt wie ein Geier und ihm jede ehrliche Arbeit verleidet! Er hat am Ende nur einen Räuber bestohlen, der die Sache im großen betrieb, er ist gewiß nicht schlechter als der, aber das macht die Sache nicht besser. Dieser ehrliche fleißige Georg!“ Margold schüttelte verzweifelt den Kopf.

„Aber wer sagt Dir denn, daß Georg wirklich der Dieb ist?“ brach Bertha plötzlich los.

„Wer mir das sagt? Glaubst Du denn, man verhaftet einen Bürgersmann heutzutage ohne triftigen Grund, so mir nichts dir nichts! Wer mir das sagt? Sein fieberndes gieriges Auge, seit er in diesem verfluchten Keller gewesen ist, sein Haß gegen alle Arbeit sagt es mir, von dem alles Schlechte kommt. O, ich habe schon lange für ihn gefürchtet, der verdammte Schwindelgeist hatte ihn ganz in seinen Klauen.“

„Und Therese? Wo ist Therese?“ fragte Bertha.

„Komm nur herein, da liegt sie, das arme Wesen, fast besinnungslos vor Entsetzen.“

Bertha trat ein; auf dem braunen alten Sofa lag Therese, totenbleich, das Haar hing wirr in die thränennassen Wangen, sie athmete schwer; jetzt schlug sie die Augen auf, aber beim Anblick Berthas brach eine neue Thränenflut sich Bahn.

„Therese, glaubst Du auch an die Schuld Deines Mannes?“ fragte Bertha, vor sie hintretend.

„Ich muß ja, ich muß ja!“ jammerte sie. „Er sprach ja von nichts mehr als dem Schatz bei Stefanelly, er hatte ganz den Kopf darüber verloren, und wie er heute nacht nach Hause kam – dieser scheue Blick! da ahnte ich schon, daß etwas Entsetzliches geschehen war. Bertha! Wer hätte das gedacht vor einem Jahre – wir waren so glücklich, er das Muster eines Mannes, und jetzt – – O, sieh mich nicht so verächtlich an, ich weiß es ja, ich bin mit schuld an dem Verbrechen, ich habe den Keim gelegt mit meinem selbstsüchtigen, unzufriedenen Wesen – o, ich ertrag’ es nicht – meine arme Mutter – Lili – mein Kind!“

Sie sank stöhnend zurück.

In Bertha stürmten Schmerz, Scham und Freude durcheinander.

„Wenn ich Dir aber sage, Dein Mann ist unschuldig!“ rief sie.

Ein Aufschrei Thereses antwortete ihr; wie eine Wahnsinnige blickte sie aus der dunkeln aufgelösten Haarfluth.

„Unschuldig? Georg? Er sagte es ja auch, er hat es beschworen, aber ich glaubte ihm nicht. – Bertha –“ sie fiel auf die Kniee und rutschte auf dem Boden zu ihr hin mit aufgehobenen Händen, – „Bertha! Woher – wie –“

Die Sprache versagte ihr, nur ein stummes gieriges Flehen lag auf ihrem Antlitz.

„Vollständig unschuldig, der Thäter ist bekannt und in einer Stunde ist Dein Mann frei!“

„Frei! Frei!“ kreischte Therese auf. „Aber das ist ja nicht möglich, und wie kannst Du das alles wissen? Sprich doch, Bertha, sprich ums Himmels willen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_267.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2022)