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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Das Zeitalter der Elektricität.

Wer in unserer rastlosen Zeit Halt macht, um Umschau über die Vorgänge rings um sich her zu halten, dem drängt sich die Wahrnehmung auf, daß unser Zeitalter mehr wirkliche und greifbare Errungenschaften aufzuweisen hat als sonst ein anderes. Die einseitig spekulativen, d. h. lediglich in der Welt der Gedanken weilenden Geister scheinen in den Hintergrund gedrängt und an ihre Stelle sind Männer der That getreten, die muthig Hand an die Lösung der neuzeitlichen Fragen und Bedürfnisse legen. Wir erblicken eine ungeahnte Thätigkeit auf allen Gebieten der Technik, die unserem Zeitalter ihren Stempel aufdrückt und von wesentlichem Einfluß ist auf die Gestaltung des modernen Lebensbildes.

So spielt sich vor den staunenden Augen des gegenwärtigen Geschlechtes ein Vorgang von außerordentlicher Tragweite ab, nämlich die Entwicklung der Elektrotechnik, die sich in einem Zeitabschnitte von kaum 10 Jahren aus den bescheidensten Anfängen heraus ihren Platz auf allen Gebieten des menschlichen Lebens erobert hat, und es scheint umsomehr angezeigt, hierüber eine kurze Rundschau zu halten, als im laufenden Jahre – angeregt durch L. Sonnemann — in Frankfurt a. M. in Gestalt einer internationalen elektrotechnischen Ausstellung die Elektrotechnik eine Galavorstellung geben wird, die in ihren Einzelheiten vieles Wunderbare bringt und eines Blickes hinter die Coulissen wohl verlohnt. —

Es war im Jahre 1881, als sich im Industriepalast zu Paris eine Anzahl Vorkämpfer der Elektrotechnik zu einer Sonderausstellung vereinigte – der ersten auf diesem Gebiete. Dort erglänzte das elektrische Licht in größerer Fülle, und es wurden Wunderdinge davon und insbesondere über die Glühlampen Edisons berichtet, die derselbe damals zuerst nach Europa brachte und an deren Wirkung anfänglich niemand so recht glauben wollte.

Die elektrische Ausstellung in Paris und ihre Erfolge hatten auch in Deutschland die Geister mächtig erregt, und so fand schon im Jahre 1882 im Münchener Glaspalast eine zweite elektrotechnische Ausstellung in kleinerem Maßstabe statt, die unter dem bescheidenen Namen von „elektrotechnischen Versuchen“ im engeren deutschen Vaterlande ebenfalls das größte Aufsehen erregte. Neben der schon in Paris gezeigten elektrischen Beleuchtung, den Telephonübertragungen etc. brachte München den ersten Versuch einer elektrischen Kraftübertragung auf weitere Entfernung.

Unterstützt von den bayerischen Behörden, hatte es der Franzose Deprez übernommen, von dem 54 Kilometer entfernten Miesbach aus auf einer Telegraphenleitung eine Wasserkraft nach dem Münchener Glaspalast zu übertragen, die daselbst zum Betriebe eines kleinen Wasserfalles verwendet wurde. Es war ein Augenblick der höchsten Spannung, als vom Ausstellungsraum aus das telegraphische Zeichen gegeben wurde, daß in Miesbach die Dynamomaschine mit dem Telegraphendraht verbunden werden solle – und eine wahre Begeisterung schwellte die Brust der versammelten Männer, als das Rauschen des keinen Wasserfalls anzeigte, daß der Versuch gelungen sei.

Freilich fehlte es nachher nicht an Bemühungen, diesen Versuch wegen der geringen Nutzwirkung, welche sich ergab – diese betrug in München nur ungefähr ein Viertel der in Miesbach angewendeten Kraft – lächerlich zu machen, aber gleichwohl ist derselbe bahnbrechend geworden für die elektrische Kraftübertragung, und die Ausstellung in Turin im Jahre 1884 hatte bereits große Fortschritte auf diesem Gebiete zu verzeichnen.

Zwischen die obenerwähnten Ausstellungen fiel noch im Jahre 1883 eine elektrische Fachausstellung in Wien, und dann haben verschiedene allgemeine Industrieausstellungen, so besonders diejenige vom Jahre 1889 in Paris, in ihren Abtheilungen für Elektrotechnik gezeigt, welch riesigen Aufschwung die letztere genommen hat.

Ueber die Einrichtungen und Neuerungen, in welchen dieser Aufschwung zu Tage tritt, soll dem Leser in Nachstehendem berichtet werden, und zwar wohl am besten unter Schilderung von Veranstaltungen, wie sie für die diesjährige Frankfurter Ausstellung geplant sind.

In Frankfurt am Main werden unter der technischen Leitung des Ingenieurs Oscar von Miller die neuesten Errungenschaften der Elektrotechnik gleichsam in einem Sammelpunkte vereinigt. Die ganze Ausstellung ist streng in einzelne Gruppen gegliedert, um die Uebersicht der einzelnen Zweige der Elektrotechnik nach Möglichkeit zu erleichtern, eine Einrichtung, welche den einzelnen Ausstellern um so höher angerechnet werden muß, als mancher derselben auf eine wirkungsvolle Gesammtausstellung seiner Leistungen verzichten und seine verschiedenen Fabrikate im Dienste der Gesammtheit in einzelne Abtheilungen zersplittern mußte.

Wir treten durch den Haupteingang der Ausstellung ein und wenden uns in erster Linie der Quelle zu, von der alle die leuchtenden und anderen Wunder, die wir erblicken werden, ihre Nahrung erhalten. Da ist vor allem das Kesselhaus, das mit 20 mächtigen Kesseln der verschiedenen Systeme mit einer Gesammtheizfläche von 2400 Quadratmetern die große Anzahl von 58 verschiedenen Dampfmotoren zu speisen hat, durch welche eine Kraftmenge von rund 3000 Pferdekräften geliefert wird.

Diese Dampfmotoren befinden sich in der großen Maschinenhalle, woselbst sie hinwiederum zum Antrieb der Dynamomaschinen verwendet werden, die – den elektrischen Strom erzeugend – die gewonnene Kraft mittels Drahtleitungen in alle Theile der Ausstellung versenden und sie den verschiedensten Zwecken dienstbar machen.

Hier in der Maschinenhalle wird denn auch der Schauplatz für den Wettkampf der verschiedenen Systeme elektrischer Krafterzeugung sein. „Gleichstrom“ oder „Wechselstrom“, so lautet die brennende Frage und sie wird ihre friedliche Lösung dadurch finden, daß man, in Rücksicht auf die verschiedenen Vorzüge des einen wie des anderen Systems, dessen Wahl von den örtlichen Verhältnissen und dem Zwecke der zu schaffenden Anlage abhängig macht. Es würde zu weit führen, hier eine ausführliche Erklärung des Gleichstrom- und Wechselstromsystems zu geben. Es sei nur so viel erwähnt, daß ersteres sich da am besten eignet, wo es sich um die Vertheilung des elektrischen Stromes in geringerem Umkreise handelt, während das zweite für Uebertragungen auf weitere Entfernungen als vortheilhafter erkannt wurde. Diesem letzten Umstande ist es zuzuschreiben, daß die lange zurückgesetzten Wechselstrommaschinen in der Frankfurter Ausstellung wieder in stattlicher Anzahl neben den Gleichstrommaschinen einziehen werden. Bei beiden Systemen sind in Hinsicht auf Konstruktion und Nutzwirkung gewaltige Fortschritte gemacht worden. Die Leistungsfähigkeit der Maschinen hat sich verdreifacht – d. h. eine moderne Dynamomaschine von 100 Pferdekräften ist kaum größer als eine 30pferdige, die im Jahre 1882 konstruirt wurde, und während 1882 die 30pferdige Maschine die größte ihresgleichen war, werden in Frankfurt solche mit 600 Pferdekräften vertreten sein. Für die Deptforder elektrische Centralanlage bei London wird jetzt sogar eine Dynamomaschine von 10 000 Pferdekräften gebaut.

Im organischen Zusammenhange mit der Maschinenhalle steht die Halle für „Vertheilungssysteme“. Hier werden, wie in den Straßen unserer Städte, die Leitungskabel der verschiedensten Systeme in offene Gräben verlegt werden, um dem Publikum die Einrichtungen zu zeigen, die gleich den Gas- und Wasserröhren künftig den Untergrund der Städte durchziehen.

An die Maschinenhalle angebaut befinden sich ferner Räume für Akkumulatoren („Sammler“, „Speicherbatterien“), die den elektrischen Strom aufzuspeichern vermögen, um ihn je nach Bedürfniß in beliebiger Menge wieder abgeben zu können, und die sich deshalb am besten mit den Gasometern der Gasanstalten vergleichen lassen. Was in diesen Räumen an Akkumulatoren verschiedener Systeme ausgestellt ist, vermag die gleiche Elektrizitätsmenge wie eine 400pferdige Dynamomaschine zu liefern.

Einen andern, durch seine Eigenschaft merkwürdigen Kraftzufluß aber erhält die Ausstellung durch elektrische Uebertragung entfernt liegender Kräfte. Es werden nämlich nicht bloß zwei Lokomobilen in dem etwa 1800 Meter entfernten Palmengarten ihre Kraft mittels des elektrischen Stromes zur Ausstellung liefern, auch von Offenbach (8 Kilometer von Frankfurt) werden 100 Pferdekräfte in der Ausstellung nutzbar gemacht. Die bedeutsamste Leistung aber wird darin bestehen, daß von Lauffen am Neckar, d. h. aus einer Entfernung von etwa 175 Kilometern, 300 Pferdekräfte übertragen werden sollen.

Das Gelingen dieser Uebertragung ist durch vorangegangene Versuche in seiner technischen Durchführbeit gesichert. – Nachdem nun auch die betheiligten Regierungen ihre Genehmigung für die Ausführung gegeben haben, wird der Mitwelt der Beweis geliefert werden können, daß man, wie dies in anderem Zusammenhange kürzlich in der „Gartenlaube“ (S. 208) auseinandergesetzt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_283.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2023)