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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

überantwortet. Schon in Mykenä war ihm das Glück sehr hold: er fand die alten Königsgräber, die Pausanias beschrieben hat, deren Existenz aber von den späteren Gelehrten bis auf die neueste Zeit bestritten wurde. Ganz besonders lehrreich war die Ausgrabung von Tiryns. Nicht nur ist diese uralte Burg in ihrer ganzen Ausdehnung von ihm aufgedeckt worden, so daß über ihre Anlage kein Zweifel bestehen kann, sondern es ist auch durch die Betheiligung eines ausgezeichneten Architekten und Archäologen, des Herrn Dörpfeld, ermöglicht worden, jeden Schritt durch sichere Pläne und Grundrisse festzulegen. So sind an Stellen, an welche die ältesten Sagen des Peloponnes anknüpfen, wo Pelops, Herakles, die Atriden zu Hause waren, untrügliche Zeugnisse von der Anwesenheit solcher Geschlechter geliefert, welche in die früheste griechische Geschichte hineinragen, wenngleich ihnen noch ein gutes Stück prähistorischen, zum Theil sogar ausländischen Gepräges anhaftet.

Jedesmal aber ist Schliemann von diesen Untersuchungen wieder nach Hissarlik zurückgekehrt, nicht um Homers willen, dessen epigonischen Charakter er voll würdigen gelernt hatte, sondern um des Umstandes willen, daß die prähistorischen „Städte“ von Hissarlik nach ganz objektiven Merkmalen älter sein müssen als Tiryns und namentlich als Mykenä. Und darum zog es ihn auch jetzt wieder dahin. Alles war vorbereitet, um am 1. März dieses Jahres eine neue, wie er hoffte, die letzte Campagne der Ausgrabungen daselbst zu eröffnen. Der Tod hat ihn ereilt, ehe er auch nur sein schönes Haus in Athen, sein Weib und seine Kinder wieder erreichen konnte.

Vielleicht wird sein Gedanke wieder aufgenommen werden. Aber, wenn dies auch nicht geschehen sollte, so ist das Hauptwerk auch in Hissarllk gethan. Auf lange, vielleicht auf immer werden seine Funde die sichere Grundlage bilden für jede Erörterung über Zeiten der griechischen Entwicklung, welche bisher nur der sagenhaften Ueberlieferung angehört haben. Und darum wird der Name unsres Landsmannes nicht nur jedem Griechen heilig bleiben, sondern auch im Gedächtniß jedes Gebildeten unter den Förderern des Wissens über das Alterthum einen hervorragenden Platz einnehmen.




Eine unbedeutende Frau.

Roman von W. Heimburg.
(17. Fortsetzung.)


Durch den kahlen Buchenwald raste der Sturm; er schüttelte die Kronen der alten Bäume, daß sie klappernd zusammenschlugen, warf hie und da einen morschen Ast zur Erde, der prasselnd in das Unterholz fiel, und heulte in unglaublichen Tonarten durch die Lüfte.

Es war so ein Wetter, bei dem die Harzleute meinen, der wilde Jäger durchziehe sein Revier mit unheimlichem Gefolge, bei dem man einem Hund nicht zumuthet, draußen zu bleiben, geschweige einem Menschen.

Für den Mann aber, der, die gebahnte Fahrstraße vermeidend, den steilen, noch ganz verschneiten Waldpfad aus dem Hüttengrunde hinaufstieg, schien der Graus nichts Beängstigendes zu haben, er mußte sehr vertraut mit diesen Wegen sein. Hier oben lag noch Schnee, und ein blasser Mondschein verbreitete eine dämmernde Helle über die Gegend; nur zuweilen, wenn die sturmgejagten Wolken vor den Mond traten, verschwamm der Wald zu einer dunklen Masse. Aber es dauerte nicht lange, da hoben sich die schwarzen Stämme der mächtigen Bäume um so greller von dem Schneegrund ab.

Es ist keine Frühlingsnacht, wo der Jäger sich an den Auerhahn schleicht; es ist noch Winter hier oben, und eher eine Nacht, wo der Wilderer hinter den Stämmen lauert und das Raubzeug auf Fang ausgeht. Und hier giebt’s viel Wild. Wenn der Förster in seinem Häuschen auf dem Hochplateau einen Schuß hört, so flucht er in die Kissen hinein und brennt in Gedanken dem lästerlichen Volk eins auf, das ihm für immer das saubere Handwerk legt. Ja, wer sollte sonst auch wohl schießen?

Der Mann, der so rasch daher kam, blieb einen Augenblick stehen und nahm den Hut von der erhitzten Stirn. „Es wäre das Beste!“ sagte er halblaut. – Verpfuscht war sein Leben ohnehin; in allem getäuscht, in allem verfehlt! Selbst das bißchen Treue und Anhänglichkeit, wie es das erbärmlichste Weib für seinen Lebensgefährten hat, war ihm nicht geworden, „Fortgehen“ hieß sie ihn! Wohin, war ihr gleichgültig, nur fort!

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Von der Hütte „Gottessegen“ bis zum Försterhause hatte man eine und eine halbe Stunde zu gehen, dann mußte aber tüchtig ausgeschritten werden. Die Frau Försterin mit den goldrothen Haaren brauchte stets mehr Zeit zu ihren Gängen nach Oberrode; sie hatte so kleine Füße und trug so zierliche Schuhe. Heute war sie auch drunten gewesen, um dem Begräbniß mit anzuwohnen, eigentlich aber nur, um den Herrn Jussnitz, der sie einmal so prächtig gemalt hatte, daß sie nachher in allen Zeitungen stand, wiederzusehen. Er war dazumal doch ein gar zu lustiger, netter Mensch gewesen. Vorhin in der Dämmerung war sie heimgekehrt und erzählte nun nach der Abendsuppe in der kleinen überheizten Stube ihrem „Alten“, der rauchend auf der Ofenbank saß, wie der Herr Jussnitz sich gar nicht, aber auch gar nicht mehr ähnlich sei, so gleichgültig und so stolz habe er ausgesehen. Dabei tätschelte sie die „Lola“, eine kleine Dachshündin mit klugen Augen und ebenso übermüthigem Wesen wie ihre Herrin und just so röthlich von Farbe wie deren Haar.

Der „Alte“ schüttelte den Kopf. „Ei, das thut mir aber leid, dem ist der Reichthum nicht bekommen.“

„Mir sollte er schon bekommen,“ lachte sie. „Gelt, Lola, wir lernten bald in der Kutsche fahren? Ich thät Dir auch ein himmelblaues Halsband kaufen, das ist unsere Farbe. Lola.“

„Du sollst nicht immer so närrisches Zeug daherpappeln,“ tadelte der ernsthaft dreinschauende Mann mit dem wetterbraunen Gesicht.

„Ach Gott,“ fuhr sie trotzdem fort, „was muß so eine es gut haben wie die Frau Jussnitz!“

„Hättest Dir sollen einen Reichen nehmen.“

„Ja, hätt’ ich sollen – wenn nur das dumme Oberroder Freischießen nicht gewesen wäre!“

Jetzt schmunzelte der Mann.

„Und wenn Du nur nicht Schützenkönig geworden wärst,“ fuhr sie fort; „aber da habe ich mich in Dich vergafft und bin mir vorgekommen, wie ich mit Dir tanzte, als sei ich eine leibhaftige Königin. So dumm! Andern Tages war die ganze Herrlichkeit vorbei.“

„Bloß die Liebe nicht,“ sagte er.

„Ach nun freilich, Du weißt’s!“ schmollte sie.

„Ja. ja,“ meinte er, „wir sind zu rasch mit dem Versprechen bei der Hand gewesen. Wenn ich dazumal gewußt hätte, was für eine Wildkatze ich mir fing, ich hätte Dich laufen lassen.“

„Ach Gott, hättest Du’s doch.“

„Nun, da ist die Thür, lauf noch fort – wird’s bald?“ lachte er und klatschte aufstehend in die Hände, als wenn er Hühner scheuchte.

„Empfehle mich!“ rief sie und war mit einem Sprunge an der Stubenthür. „Komm, Lola!“

Das ganze übrige Hundevolk, das schlafend am Ofen umherlag, wurde durch Lolas Bellen wach und blaffte mit hinein in das Lachen des Mannes und das lustige Schelten der Frau. Er hatte sie um die Taille gefaßt und küßte sie, und zwischen jedem Kuß sagte er. „Lauf doch! Warum bist Du noch nicht fort?“

„Himmlischer Vater, so bring doch die Hunde zur Ruhe!“ schrie sie, „es ist ja um den Verstand zu verlieren!“

Aber die drängten sich an dem Paar vorüber und stürzten zur Hausthür.

„Da ist jemand,“ sagte der Förster und ließ seine Frau los.

Sie ergriff die Lampe und trat auf die Schwelle der Stube. Ihr Mann hatte derweil die Hausthür geöffnet, aber er wich zurück in starrer Verwunderung und aus der Hand der Frau wäre beinahe die Lampe gefallen.

„Herr Jussnitz!“ riefen sie beide. „Meine Güte, bei dem Wetter, und so spät! Was giebt’s denn? Haben Sie sich verlaufen, Herr?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_303.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)