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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Die Astronomie auf der Straße.

I.

In Kunstgalerien trifft man stets emsige Besucher, die mit allen Anzeichen des Entschlusses, heute die Galerie von a bis z kennen zu lernen bei Saal Nr. 1 und Bild Nummer 1 beginnen und eifrig den Blick abwechselnd auf den Katalog und auf das vor ihnen hängende Bild gleiten lassen; stundenlang wird unermüdlich Bild für Bild „erledigt“, und schließlich treten aus dem letzten Saal erschöpfte Leute, aus deren Antlitz nichts weniger als das Gefühl eines eben erhaltenen großen Kunstgenusses uns entgegenleuchtet; und als Ergebniß bleibt vielfach nicht viel mehr als ein Gefühl der Ermattung und eine verschwommene Vorstellung von allerlei Köpfen, Blumen, Thierstücken, Landschaften, aus deren Zahl allerdings einige besonders auf das Auge und das Gemüth einwirken. Wer dagegen Muße genug besitzt und zu genießen statt zu arbeiten beabsichtigt, wird sich nach einem kurzen Ueberblick und vielleicht mit Zuhilfenahme einer passenden Anleitung vor allem einige hervorragende Gruppen von Kunstwerken, besonders werthvolle Erzeugnisse der einzelnen Schulen aus der verirrenden Masse herausheben; er schafft sich auf diese Weise innerhalb der Sammlung gewissermaßen eine keine Privatgalerie, die er öfters besucht und in deren Verständniß er mit Liebe und Hingebung immer tiefer eindringt: diese dient ihm dann als Grundlage, von der aus er seine Kenntniß des Ganzen je nach Bedürfniß und Geschmack weiter ausbildet.

Ganz Aehnliches trifft für den Laien zu, welcher die Anregung in sich fühlt, in dem unendlichen Meer von Sternen und Sternchen, die allabendlich am dunklen Firmament erglänzen, sich wenn auch nur oberflächlich zurechtzufinden. Der astronomischen Wissenschaft bringt zweifelsohne das Publikum viel Liebe und Interesse entgegen; aber die Versuche, mit Hilfe von Sternkarten sich zu orientieren, scheitern meist daran, daß letztere zu viel bieten und dadurch verwirren und ermüden. Ungefähr 116 Sternbilder mit vielfach sehr willkürlicher Anordnung und mit oft wunderlich gemischten Namen von Thieren, mythischen Personen, Waffen, physikalischen Instrumenten etc. sollen durch die scheinbare Analogie ihrer Anschauung dem Gedächtniß nachhelfen (Crichthon, Paradiesvogel, Kameelopard, Uranischer Sextant, Einhorn, Luftpumpe, Schild des Sobiesky, Elektrisirmschine, Brandenburgisches Scepter u. f. f. ). Dazu kommen eine große Zahl einzelner Sterne, endlich die Planeten, die zudem fortwährend ihre Stelle unter den übrigen Sternen wechseln, – das alles verwirrt und entmuthigt den Laien; und nach wenigen Abenden mehr oder weniger emsigen Vergleichens zwischen dem gewaltigen Sternenfeld über unseren Häuptern und zwischen dem kleinen, dazu meist ebenen Abbild in der Hand wird in der Mehrzahl der Fälle an dem Bekanntwerden mit dieser schönen Wissenschaft verzweifelt.

Die Himmelstopographie erlernt sich nicht an einem oder zwei Abenden, und zumal hier, wo das Beobachtungsfeld selbst beweglich ist, ist es unerläßlich, sich zunächst auf einige besonders in die Augen springende Gruppen und Hauptsterne zu beschränken. Diese kleine Privatgalerie von Sternen möge der Beobachter mehrere sternhelle Abende nacheinander besuchen und an ihrem Glanz, ihrem flimmernden, mitunter wechselnden Lichtschein, ihren Farben sich erfreuen; hat sich dann die Vorstellung von ihrer gegenseitigen Lage immer mehr gefestigt, weiß der Beobachter: hier wird die Wega, hier der glänzende Arctur, hier der Herrscher Sirius aus dem Dunkel auftauchen, wenn die Reflexe des Sonnenlichts mehr geschwunden sind, – dann wird sich die Freude an weiterem Eindringen von selbst einstellen.

Durch eine kleine Reihe von Aufsätzen mit ebensovielen nur wenige Hauptgruppen und Hauptsterne bietenden Kärtchen sammt Orientierungslinien will die „Gartenlaube“ dem erwähnten Laienbedürfniß entgegen kommen. Die Voraussetzungen, welche zum Verständniß erforderlich sind, werden sehr geringe sein: erstens an astronomischen Vorkenntnissen die Bekanntschaft mit dem Sternbild des Großen Bären und zweitens Liebe zur Sache und häufige Betrachtung des Sternenhimmels.

Wir gehen jedesmal von dem als bekannt vorausgesetzten Sternbild des Großen Bären aus, das in unseren Breiten stets sichtbar bleibt. Dasselbe besteht aus 7 Sternen von nahezu der gleichen Helligkeit. Von einigen Astronomen werden für die einzelnen besondere Namen angeführt; letztere sind, der Reihenfolge der in dem Kärtchen angegebenen Nummern entsprechend. Dubhe, Merak, Phegda, Megrez, Alioth, Mizar, Benetnasch; nur wenig von Mizar. (Nr. 6) entfernt befindet sich ein kleiner Stern fünfter oder sechster Größe, der am Schwanz des Großen Bären sich befindet, Alcor, „das Reiterlein“ genannt, bei den Arabern Saidak, d. h. der Prüfer, weil man schon bei ihnen an der Unterscheidung dieses Sternchens die Schärfe des Auges zu prüfen pflegte. – Oefters wird diese Gruppe von 7 Sternen, wenn auch mangelhaft genug, unter dem Bild eines Wagens, des Davidswagens, zusammengefaßt, in diesem Fall stellen die ersten vier die Räder oder den Wagenkasten, die drei übrigen, die Deichsel vor.

Verlängert man die Verbindungslinie der Sterne 1 und 2 des Großen Bären über 1 hinaus etwa viermal um sich selbst und biegt zugleich etwas nach rechts ab, so stößt man auf den Polarstern P, einen Stern dritter Größe, der dem Sternbild des Kleinen Bären angehört; sein Name (von dem griechischen Zeitwort poleo ich drehe) rührt daher, weil er dem gegenwärtigen Nordpol des Himmels besonders nahe steht; in Wirklichkeit beschreibt auch er einen kleinen Kreis am Himmel während jedes Tages. Bemerkt möge werden, daß nicht immer derselbe Stern Polarstern ist; sondern diesen Namen erhalten im Laufe der Zeit alle Sterne, welche auf einem gewissen Kreis liegen, der annähernd durch die Wega, durch Deneb und den jetzigen Polarstern geht; in 25870 Jahren vollendet dieser Polarstern seinen ganzen Umlauf.

Wird die erwähnte Linie, welche zum Polarstern führte, noch weiter verlängert, so geht sie durch das Sternbild des Pegasus. Man bemerkt hier ein Viereck von ziemlich gleich hellen Sternen, das wenigstens annähernd die Form eines Quadrats zeigt. Der dem Stern Markab in dem Quadrat gegenüberstehende gehört aber zu dem Sternbild der Andromeda, von dem nachher noch einen Augenblick die Rede sein soll.

Die Linie 3 – 4 des Großen Bären. über 4 hinaus fortgesetzt, führt fast genau zur Wega, welche im Sommer für Mitteldeutschland nahezu durch den Zenith geht.

Für die Beobachtung des Sternenhimmels während der Sommermonate ist besonders bemerkenswert das Viereck: Polarstern P. Wega, Atair und Deneb: worunter Atair und Wega von der ersten Größe. Dies Viereck, dessen gegenüberliegende Seiten nahezu parallel sind, dient für eine große Fläche des Himmels zu sehr bequemer Orientierung. – Die Linie 5 P ferner führt geradenwegs auf die Mitte des Sternbilds der Cassiopeia, das bekannte große lateinische W am Himmel, ans 5 Sternen von fast derselben Helligkeit gebildet. – endlich die Linie 4 – 1 leitet nach dem Sternbild des Fuhrmanns, dessen Hauptstern Capella (Ziege) überhaupt zu den glänzendsten Gestirnen des nördlichen Himmels gehört. Von der Capella und Cassiopeia aus ist Scheat und der durch seine Veränderlichkeit merkwürdige Algol leicht aufzufinden.

Dem Anfänger ist zu empfehlen, im Gedächtniß zu behalten, daß, beim Blick nach Norden, also in der Richtung nach dem Polarstem, der Grosse Bär in den Abendstunden des Sommers oberhalb, in denen des Winters unterhalb des Polarsterns aufzusuchen ist und daß für die Cassiopeia, die in Beziehung auf den Polarstern dem Großen Bären stets gegenübersteht, das Umgekehrte gilt.

Von dem oben erwähnten Sternbild der Andromeda ist in dem Kärtchen der berühmte Stern-Nebel noch angedeutet. Dieser Nebel, welcher mit dem bloßen Auge sichtbar ist, war schon lange Gegenstand aufmerksamer Fernrohrbeobachtung und ist in neuerer Zeit wieder besonders in den Vordergrund des Interesses getreten: Im Jahre 1848 vermochte George Bond in diesem Wölkchen 1500 Sterne zu unterscheiden, auch entdeckte er gewisse eigentümliche Streifungen. Seit einigen Jahren sind bekanntlich mehrere Sternwarten damit beschäftigt, regionenweise den ganzen Sternenhimmel einheitlich photographisch aufnehmen. Mit Hilfe der Photographie soll eine systematische Katalogisierung des Fixsternhimmels während der nächsten Jahre durchgeführt werden, und man hofft auf Grund der bisherigen Versuche, die früher mit Hilfe des Fernrohrs hergestellten Sternkataloge etwa um das 15fache zu vervollständigen. Eine photographische Aufnahme des Andromeda-Nebels ist in neuerer Zeit Roberts bei einer Expositionszeit von vier Stunden in trefflicher Weise gelungen. Man erkennt deutlich concentrische Ringe mit dunklen Zwischenräumen, sowie einzelne Massenanhäufungen. Die Aehnlichkeit mit dem Ringsystem des Planeten Saturn drängt sich unwillkürlich auf. Auch für eine nüchterne Auffassung ist der Schluß nicht allzu gewagt, daß man hier eine glänzende Bestätigung der Knutschen Hypothese für die Bildung von Weltsystemen vor sich hat. Ein Sonnenkörper ist hier in der Zusammenziehung begriffen; einige Ringe haben sich losgelöst, wovon die zwei äußersten sich bereits zu werdenden Planeten zusammengeballt haben. Daß diese Ringe nicht kreisförmige, sondern ovale Gestalt zeigen, rührt natürlich nur davon her, daß die Hauptebene jenes Sternensystems von uns aus gesehen schief erscheint.

Dr. C. Cranz.     


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_307.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)