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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Als er aufwachte, lachte die Sonne in das Gemach und der zarte Schatten tanzender knospender Zweige spielte auf seiner Decke, auf dem Boden des Zimmers und auch über die leere Stelle, wo Antje geschlummert hatte.

Er faßte den aus einem starken Hanfstrick bestehenden Glockenzug, dessen Griff eine Hasenpfote bildete, und läutete ungestüm.

„Hallo!“ rief der Doktor zur Thür herein, „das klingt ja sehr kräftig! Was befiehlst Du? Frühstück? Frau Dora wird es sofort bringen.“

Er wollte fragen nach Antje, aber das Wort blieb ihm auf den Lippen. Er sah sich nur im Zimmer um, als vermisse er etwas.

„Sie ist schon in aller Herrgottsfrühe hinunter gegangen,“ sagte die junge Försterin, die eben eingetreten war und seine stumme Frage schnell errieth, „’s wird wohl hohe Zeit sein, daß sie sich mal umsieht nach Kind und Wirthschaft. O du liebe Zeit, sie hat’s nicht leicht trotz ihres Reichthums.“

Er biß sich auf die Lippen; war sie gegangen, weil sie wußte, daß er ihrer jetzt nicht mehr bedurfte?

Wunderliche Tage erlebte er nun; Tage, getheilt zwischen Zorn über die, die ihm stolz fern blieb, zwischen Selbstvorwürfen und der Sehnsucht nach ihr. Er horchte mit allen Sinnen aufrollende Räder, auf Peitschenklang vom Walde her; er fuhr zusammen, wenn die alte Treppe draußen ächzte unter einem leichten Tritt, und erblaßte, wenn dann nur Frau Dorchen eintrat. Er verspottete sich selbst laut darüber; und wenn abends die Dämmerung kam und Maiberg das Buch fortlegte, daraus er dem Kranken vorgelesen hatte, und ihn verließ, um frische Luft zu schöpfen, wenn es so still um ihn geworden war, daß er das Ticken des Holzwurms im alten Gebälk vernahm und das Rascheln einer Maus unter den Dielen, dann legte er die Hand über die Augen und preßte die Zähne auf einander, und etwas, das er seit seinen Knabenjahren nicht mehr gekannt, rieselte aus den brennenden Augen über die Wange hinunter. Aber zornig trocknete er die Thränen und schalt sich einen kranken sentimentalen Narren; und wenn der Doktor wiederkehrte und freundlich zu plaudern begann, gab er herbe und beißende Antworten. Fragen nach Antje that er nie. –

Und sie kam nicht wieder. –

Die Tage verstrichen; Leos Jugendkraft erstritt sich, wenn auch langsam, doch siegreich die Genesung. Er saß bereits vor der Thür oder ging, auf Maibergs Arm gestützt, ein Stückchen am Waldesrand entlang.

„Die Luft hier oben ist für Dich wie geschaffen, Leo,“ erklärte der Freund, „und im übrigen sind’s herrliche Tage, die man hier so verbummelt. Gott weiß, ob’s einem je wieder so gut wird. – Frieden, Stille, Waldesfrische – – ich genieße die Gegenwart, wie lange nicht.“

Der Doktor riß dabei den Hut vom Kopfe und schaute in das Laub der maigrünen Buchen und sein sonst so ernstes Gesicht hatte einen Ausdruck von heimlichem Behagen.

„Ich glaube, Du bekommst Besuch, Leo!“ rief er nun und wandte sich um. „Schau, schau, die Braunen von der Hütte, und das kleine Weiße, was da drinn sitzt, ist Dein Töchterlein in Begleitung der sehr ehrenwerthen Frau Classen!“

Richtig! An der Hand der Alten, die sich festlich mit der heimathlichen Holländerhaube und den großen Ohrringen geschmückt hatte, kam, einen großen Strauß Blumen in der winzigen Hand, ein zierliches kleines Mädchen den Herren entgegen getrippelt.

„Da, Papa!“ sagte es und hielt die Blumen empor; und das rosige Kindergesichtchen schaute, selbst eine frische Knospe, unter dem Hütchen hervor.

Maiberg setzte den Feldstuhl für Leo zurecht unter einer mächtigen Buche und schlenderte weiter. Er sah noch, wie Leo gedankenvoll des Kindes Händchen in den seinen hielt, während die Classen sich auf den Rasen setzte und das Strickzeug hervorholte.

„’s ist schön Wetter,“ brach die Alte das Schweigen endlich, „und hier oben ist’s gar so prächtig im Wald, und ich bin froh, daß wir wieder daheim sind in den Bergen.“

Er nickte zerstreut.

„In dem alten Nest, dem Sibyllenburg, war ungesunde Luft, Herr; ’s hat nicht gepaßt für uns allzusammen,“ fuhr sie fort und begann eine neue Nadel. „Leonie, da liegt ein Tannenzapfen, bring’ ihn her! – Man muß ein wenig spielen mit ihr, Herr,“ erinnerte sie, „sie ist’s gewohnt von Fräulein Hilde.“

„So, so! Ist das Fräulein noch unten?“

„Ja, die ist noch bei uns, Herr; es sieht auch nicht aus, als wollte sie fort.“

„Wann sind Sie denn von Sibyllenburg gekommen?“ fragte er und sah der Kleinen nach, die auf dem grasbewachsenen Weg dahinsprang.

„Vor ein paar Tagen, gleich nachdem es verkauft war.“

Er fuhr in die Höhe. „Verkauft?“ – Aber was ging es ihn an!

„Die gnädige Frau war selbst da mit dem Herrn Justizrath und hat alle Sachen ausgesucht, die nicht verkauft werden sollten. O du mein! Sie hat ausgesehen wie eine Leiche, als sie unterschrieb, und ich konnt’ mich doch nur freuen, es war ein Unglücksnest, das alte Haus.“

„Wer hat es gekauft?“ hätte er gern gefragt, aber er brachte es nicht über die Lippen – es konnte ihm gleich sein, ihm hatte ja nicht ein Stein von dem Ganzen mehr gehört.

Die Classen erblickte jetzt die Försterin, die vom Hause her winkte, und ermahnte die Kleine, artig zu sein. Jedenfalls war eine gute Tasse Kaffee zu erhoffen.

Der blasse Mann und das rosige Kind blieben allein; es war wieder herbeigekommen, saß still spielend zu seinen Füßen und lächelte ihn nur dann und wann an mit zwei grünlichen, klaren, wundertiefen Augen. Er betrachtete es wie eine Blume, die über Nacht erblüht ist, mit staunender Bewunderung. Er kannte sein eigen Kind kaum und sah erst heute, wie eigenartig hübsch es war.

Nun stand es auf. „Komm mit zu Mama,“ bat es und faßte schmeichelnd seine Hand.

Er wurde roth unter dem Blick dieses kleinen Geschöpfes.

„Zu Mama!“ wiederholte es und der Mund verzog sich zum Weinen. Und als er sitzen blieb, ohne sich zu rühren, begann es wirklich zu weinen, und dieser Alarmruf ließ die Classen und die Förstersfrau zu gleicher Zeit herbeieilen.

„I, Du böses Kind,“ schalt die Försterin und trug das schluchzende Würmchen davon, um ihr die „Muhkuh“ zu zeigen; die Classen aber blieb stehen. „So ein Zornkopf,“ sagte sie, „aber das hat sie von Ihnen, Herr!“

Und nun begann sie eine Reihe von Charakterähnlichkeiten aufzuzählen; „aber durchgehen lassen wir ihr nichts!“ schloß sie.

(Fortsetzung folgt.)




Am Sarge eines Helden.

„Moltke ist todt!“ Seit Kaiser Wilhelm I. hinabsank in die Gruft, ist kein Wort im Deutschen Reiche schmerzlicher von Millionen Lippen wiederholt worden wie dieses! Nicht viel Reden hörst du, nicht viel Klagen! Wie das am kräftigsten geschleuderte Geschoß den geradesten Weg aufs Ziel nimmt, so ringt die mächtigste Ergriffenheit nach dem einfachsten Ausdruck. „Moltke ist todt!“ Andere Worte findet und sucht auch hier nicht das erschütterte Gemüth; sie sagen alles mit bitterer Vollständigkeit; und wo sie gesprochen werden, da erfüllt ein tiefer Schmerz alle Herzen, ein banges Empfinden der jäh gerissenen Lücke – –

So ehrt ein Volk seine großen Männer, wenn sie sterben müssen!

Es ist ein zweischneidig Schwert, mit dem die Helden des Kriegs sich ihren Ruhm erstreiten. Denn die Räder ihres Siegeswagens führen über zerstampfte Felder, über bleiche blutige Leichen, und den Siegesjubel, der sie umtost, überdauert stilles, herzbrechendes Weinen. Wilde Begeisterung folgt ihren Spuren – selten, nie fast aufrichtige Liebe. Glücklich noch die wenigen, die als Staatsmänner die Wunden heilen durften, die sie als Feldherrn schlagen mußten. Cäsar und Friedrich dem Großen war es vergönnt, das zerstörende Prinzip des Schlachtensiegers aufzuwiegen durch schöpferische Gestaltungen. Aber an des ersten Napoleons Ruhm zehrt der Fluch des Massenmörders. Denn kein bildender, schaffender, dauernder Gedanke versöhnt mit der schauerlichen Erhabenheit seines Welterobererthums.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_322.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2023)