Seite:Die Gartenlaube (1891) 395.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Der Planet Mars.

Von Dr. Carl Cranz.

An den schönen Herbstabenden Ende September und Anfang Oktober vorigen Jahres genoß das Auge nach Sonnenuntergang einen besonders prächtigen Anblick. Kaum hatte sich die Sonne unter den Horizont geneigt, so tauchten, lange ehe irgend ein Fixstern zu erkennen war, an dem rasch sich verdunkelnden Süd- und Südwesthimmel die drei glänzendsten Planeten auf, wenig von einander entfernt und nahezu in einer geraden gegen den Horizont geneigten Linie. Zuerst die Venus in ihrem milden Licht tief am Horizont, und fast gleichzeitig der bläuliche Jupiter so hell, daß er einen Schatten werfen imstande war; und gleich darauf erschien, näher bei Jupiter als bei der Venus, jener rötliche Planet, dem wegen seiner Farbe der Kriegsgott Mars oder Ares seinen Namen lieh. Von diesem Planet möge näher die Rede sein.

Der Mars nach Huyghens.

Mit Recht wenden die Oberflächenforscher unter den Astronomen mit einer gewissen Vorliebe gerade dem Mars ihre Hauptaufmerksamkeit zu. Man ist sich klar geworden, daß man bloß von ihm interessantere Aufschlüsse erwarten kann; Merkur ist wegen seiner Sonnennähe stets undeutlich, nur die guten Augen Schiaparellis[WS 1] waren imstande, in neuester Zeit auch auf ihm gewisse Einzelheiten wahrzunehmen –; und von den beiden nächsten Nachbarn der Erde (außer Mars) Venus und Jupiter scheint die erstere stets mit einem dichten Wolkenschleier überzogen zu sein, auch wendet sie bei ihren Begegnungen mit der Erde, ihren sogenannten Oppositionen, dieser ihre Nachtseite zu; aus Jupiter aber ist wohl wegen seiner Größe die Erkaltung noch nicht so weit vorgeschritten, daß er bemerkenswerthe Bildungen aufweisen könnte. Ebenso ist es bei Saturn, und die übrigen liegen zu sehr im Dunkel des Weltraumes.

Die erste Marskarte, wenn man sie schon so nennen will, stammt von Huyghens[WS 2] und Hooke[WS 3] im 17. Jahrhundert; aus der Beobachtung gewisser fester, mit dem Mars sich drehender Flecken bestimmte Huyghens die Länge des Marstags; dieser übertrifft die Länge eines Erdentags, doch nur um 41 Minuten; das Jahr ist etwas weniger als doppelt so lang wie ein Erdenjahr; ein Marsjahr hat 668 Marstage oder 687 Erdentage. Es folgten die Untersuchungen von Maraldi, Bianchini, Herschel, Schröter, Mädler, Secchi, Lokyer, Kaiser, in deren Besprechung hier nicht eingetreten werden soll.


Südliche Halbkugel.               Nördliche Halbkugel.               Gegend um den Aequator.
Der Mars nach Kaiser.


Nahezu zum Abschluß gebracht wurde die Marsforschung durch den schon erwähnten Schiaparelli, den Direktor der Mailänder Sternwarte, der in den Jahren 1877 bis 1888 mit Hilfe eines Merzschen Refraktors von nur 8 Zoll Oeffnung und 400- bis 500facher Vergrößerung eine genaue Marskarte zeichnete, mit Längen- und Breitenbestimmungen auf Grundlage von Mikrometermessungen. In der reinen, mitunter fast ganz dunstfreien Luft Oberitaliens sah er mit seinem kleinen trefflichen Instrument mehr als der Amerikaner Hall mit seinem Riesenfernrohr von 28 Zoll Oeffnung. Ueberhaupt ist bei solchen lichtstarken Beobachtungsgegenständen wie den jüngeren Planeten die Reinheit der Luft von weit höherem Einfluß als die Mächtigkeit der Fernrohre; die letztere ist von besonderem Werth für lichtschwache Objekte wie Monde, Nebelflecke, für die Spektralanalyse u. s. w.

In der Karte von Schiaparelli finden sich Dutzende von – meist der mythologischen Geographie älterer und neuerer Zeit entlehnten – Namen für die Meere, Meerbusen, Seen, Kanäle, Flüsse, Inseln, Halbinseln des Mars. Dies sind natürlich zunächst nur abkürzende Bezeichnungen zur Unterscheidung der hellen, röthlich gelben Flecke gegenüber den dunkleren, stahlgrauen, die man beobachtet. Aber die meisten Forscher – etwa Fizeau und Schmitz ausgenommen – sind überzeugt, daß diese Namen auch in der Geographie des Mars – oder also besser in der „Areographie“ – dasselbe bezeichnen, was man in der Erdkunde darunter versteht. Und diese Ueberzeugung drängt sich geradezu auf bei der Beobachtung der Schneekappen in der Nord- und Südpolarzone des Planeten; ganz deutlich vermag man von Woche zu Woche das Vorrücken bezw. Abschmelzen des Polarschnees zu verfolgen. Und daß die Wassermassen von der Erde aus gesehen, eine dunklere Färbung besitzen müssen, ist einleuchtend; auch auf der Erde erscheint von einem Berge aus ein am Fuße desselben gelegener tiefer See dunkel, weil die wenigsten Lichtstrahlen bis zum Grund des Sees gelangen können, um dort reflektiert zu werden.

„Der Planet Mars,“ sagt Schiaparelli, „ist keine Wüste trockenen Gesteins, er lebt, und die Entwickelung seines Lebens offenbart sich in einem sehr verwickelten System von Erscheinungen, und ein Theil dieser Erscheinungen umfaßt Gebiete von genügender Ausdehnung, um sie den Erdbewohnern sichtbar zu machen; da giebt es eine ganze Welt von neuen Dingen zu erforschen, die in hervorragendem Maße geeignet sind, die Wißbegierde der Forscher herauszufordern.“

Eigentümlich ist die Verteilung von Land und Wasser auf dem Mars gegenüber der Erde. Dort nimmt das Wasser nur die Hälfte der Oberfläche ein, während auf der Erde etwa zwei Drittel dem feuchten Elemente gehören. Es sind eben auf dem einige Millionen Jahre älteren Mars schon größere Mengen der Atmosphäre als feste Bestandtheile in den Gesteinen gebunden.

Ferner finden sich die überwiegenden Ländermassen um den Aequator gelagert. Man erklärt sich letztere Erscheinung in folgender Weise: Durch die Reibung der Marsoberfläche gegen den Weltstaub hat sich im Laufe der Jahrtausende die Umdrehungsgeschwindigkeit verringert;[1] also hat auch die Schwungkraft am Aequator abgenommen. Die Wassermassen werden dort nicht mehr mit der früheren Wucht nach außen getrieben, ebensowenig die Landmassen. Allein die erstarrte Marskruste muß ihre infolge


  1. * Auch der Erdentag scheint sich auf Grund desselben Vorgangs nach den Untersuchungen von Newcomb in geschichtlicher Zeit etwas vergrößert zu haben.

Anmerkungen (Wikisource)

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_395.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2023)