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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

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Mein Dienst auf der „Elisabeth“.

Von H. Rosenthal-Bonin.0 Mit Zeichnungen von C. Grethe.


Segelschiff, Segelschiff, du bist doch das einzig richtige, echte, wahrhafte Fahrzeug der See! – Da fährt er dahin, solch ein rußig schwarzer Dampfer, ein Eisenkoloß, eine Eisenbahn im Meere mit der Seele von Feuer, gespeist mit Kohlen, gerade, scharf seinen Weg, und die Matrosen auf dieser Seefahrmaschine sind Arbeiter, aber keine Seeleute. Wie schwebt das Segelschiff auf den Wellen, einem Vogel gleich mit den weißen Leinwandflügeln, des Meeres gewaltiger Athem treibt es, die Welle hebt es, es ist eins mit den großen Wassern, und der Schiffsmann, der dies Fahrzeug bedient, kämpft mit Wind und Wetter, überlistet sie, benutzt mit scharfem Verstand ihre Kräfte und tanzt so seinem Ziele zu – welche Lust, mit dem Winde zu fliegen, wenn alle Leinwand straff wird, vollgespannt ist, welch ein Behagen auch, den Gegenwind zu fangen, damit er das Schiff im kühnen Zickzack vorwärts treiben muß, seinem Kurs nach! Da gewinnt der Matrose der Luft und dem Meere die bewegende Kraft ab mit Seemannskenntnissen und Seemannsarbeit – das ist ein köstliches Wetten und Wagen und Rennen und Jagen auf schaukelnden Wogen; er ist kein willenloser Diener eines rauchigen, mit Feuerkraft unablässig geradeaus das Meer durchschneidenden Dampfers.

Diese Gedanken machte ich mir, als ich im Hafen von Genua saß und auf das bewegte grünblaue Meer hinaussah, wo ein schmucker Dreimaster im grellen Februarsonnenschein eben wendete, um in den Hafen hereinzukommen.

Meine Betrachtungen waren etwas wehmüthig angehaucht, denn ich hatte mein Schiff verloren, das in Malta in Dock gehen mußte – und sehnte mich, wieder Schiffsplanken unter den Füßen zu haben.

Das wollte sich jedoch nicht so leicht machen, weil ich danach strebte, Dienst auf einem guten Segler zu erhalten, und solche sind in unserer Zeit der Schnellbeförderung selten – Dampferstellen gab es in Hülle und Fülle, aber nachdem ich jetzt ein Jahr den Kohlenrauch geschluckt, hatte ich davon genug, und mein Herz hing an einem schönen, sauberen, luftigen Segler.

Vierzehn Tage trat ich schon das Pflaster der unruhigen Stadt, alle Schenswürdigkeiten hatte ich unfreiwillig pflichtgemäß abgemacht, und nun saß ich Tag für Tag am Hafen und sah Schwefel ausladen und Rothholz aufspeichern und Körbe voll Orangen verstauen und warf ab und zu ernsthafte Blicke auf das Meer hinaus, ob kein glückverheißendes Segelschiff zu mir hereinfahren würde. Genua ist für Leute, die Langeweile haben, ein theurer Boden, und mein Geld ging auf die Neige – noch acht Tage würde ich mich durchschlagen können – dann mußte ich mich verheuern. Zu diesem Punkt in meinen Erwägungen gelangt, warf ich einen wahren Haßblick auf einen braunroth und schwarz angemalten englischen Dampfer – da erschien das Segelschiff, welches ich vorhin draußen wenden gesehen, zwischen den Molen – die Segel schlappten und wurden festgemacht und ein kleiner Bugsierdampfer führte das schmucke Fahrzeug nach dem Platze der Segelschiffe.

Ich schlenderte dorthin. – Was war das für ein schlankes, festes, gutes Schiff, sauber und klar wie eine Jungfer – die Mannschaft arbeitete fleißig, sie brachte das Großboot zu Wasser und machte die Lufken frei.

Das Schiff stand. Ein nordisch aussehender, schlanker, junger Kapitän fuhr mit dem Lotsen und einem Matrosen in einem kleinen Boote nach dem Quai, dem Hafenamte zu.

Ich zählte die Köpfe der Mannschaft. Zwölf waren es – das ist genug für den Segler, er käme auch mit zehn aus – ich seufzte und ging mißmuthig davon nach dem Zollamte, um dort, gleich gestern und vorgestern, gedankenlos zuzuschauen, wie Sardinenfäßchen auf ihren Inhalt untersucht und mit dem Steuerzeichen versehen wurden.

Plötzlich weckten mich heimische Laute aus meiner Versunkenheit. „Dat gheit nich,“ ertönte es scharf und entschieden hinter mir. Was dem Aelpler sein Herdengeläut, das waren diese Worte mir, die mich so anheimelnd an Hamburger Rauchfleisch und Bremer Grützwurst erinnerten.

Ich wende mich um und sehe den Kapitän des Seglers in lebhafter Verhandlung mit dem dickköpfigen rothgesichtigen Matrosen. „Dat gheit nich,“ rief der Kapitän von neuem. „Schon wieder Urlaub – immer Urlaub – dat gheit nich, Stöwer!“

„Na, denn gheit et nich,“ entgegnete darauf ingrimmig der Matrose. „Et mag woll sin, dat ick nich mehr will, Kaptein.“

„So sind wir geschiedene Leute,“ sprach jetzt der Kapitän. „Es thut mir leid, Stöwer, aber Ihr könnt und wollt Euch nicht in die Ordnung fügen; so versucht es wo anders – ich wünsche Euch Glück.“

„Min Book möt ick hawwen,“ grollte der Matrose.

„Das sollt Ihr haben! Kommt auf die Hafenkanzlei – dort zahl’ ich Euch auch gleich aus und schreibe Euer Zeugniß ein.“

Die zwei Männer setzten sich in Bewegung und kamen dicht an mir vorbei.

Der Kapitän blickte mich an, unsere Angen trafen sich, und ich wußte, daß ich mit diesem Seemann schon einmal irgendwo zusammengetroffen war.

Der Kapitän mußte die gleiche Entdeckung gemacht haben, denn er stand still und grüßte mich.

„Ich sollte Sie kennen, Mann,“ redete er mich an.

„Wir haben uns schon gesehen, Kapitän,“ gab ich zurück. „John Ellis – Mississippi“ – stieg mir eine Erinnerung auf, und ich sprach diese Worte aus.

„Dort war’s, Mann, und Sie haben mir wacker beigestanden,“ ließ sich der Kapitän vernehmen. Sein Auge überflog meine Seemannskleidung. „Kann ich was für Sie thun?“ fragte er freundlich.

„Ich bin ohne Schiff, Kapitän –“

„Gut,“ unterbrach er mich. „Ich habe mit diesem Manne mich noch auseinanderzusetzen – das dauert ein Viertelstündchen, warten Sie hier auf mich, wir können dann über die Sache weiter reden.“

Darauf winkte der Kapitän dem Matrosen, und beide gingen über die schmutzigen Steinplatten zu dem düsteren, verräucherten, kleinen Steinhause, der Kanzlei. Ich schaute zu dem Segler hinüber, dessen saubere Masten unter dem Takelwerk der Griechen und Lateiner leuchtend hervorstachen.

Da war der Kapitän schon fertig und kam auf mich zu.

„Der Mann hat schon lange nicht mehr gut gethan,“ begann er, mit einer eigenthümlich kurzen Handbewegung über seinen blonden Kinnbart herunterstreichend. „Ich bin ihn auf gute Manier losgeworden – mag’s ihm anderswo besser gefallen! Bin Kapitän Aarhus, Brigg ‚Elisabeth‘ – Bremen, Bahia, Montevideo – und weshalb sitzt Ihr hier fest, Mann?“

„War ein Jahr auf dem ‚Washington‘, Red Star Line – Antwerpen, San Francisko – Schiss auf La Valette in Dock – hab’ die Dampfer satt und möchte einmal wieder mit Segel fahren.“

Ein scharfer, aber sonnenheller Blick aus den blauen Augen des Kapitäns traf mein Gesicht.

„Papiere?“ fragte er.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_399.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2023)