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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nur unhörbar kam ein Abschiedswort von ihren Lippen, und dann enteilte sie.

Ihr war, als sei sie auf der Flucht; sie ging so schnell, daß ihr Athem hastig wurde.

Lüdinghausens Wagen stand auf der Landstraße, der Kutscher grüßte Rahel, ohne daß sie es bemerkte.

Sie befand sich in einer wunderlichen Verfassung.

Die Brust war ihr so eng, die Welt so kein; sie hätte weinen, die Arme nach der dämmernden Ferne ausstrecken, hätte fliehen mögen. Nur hinaus, hinaus aus den beklemmenden Schranken des menschlichen Lebens.

Eine süße Traurigkeit ergriff ihre ganze Seele, ein Schmerz, den zu empfinden ihr doch eine Art von Lust schien. Ihre Gedanken verloren sich ins Grenzenlose, in weltvergessene Träumerei. Ihre Schritte wurden immer langsamer und ein müdes Gefühl ging ihr durch alle Nerven.

Ein großes Sehnen nach Einsamkeit und Ruhe bemächtigte sich ihrer.

Aus den menschenleeren Feldwegen, in deren Furchen sie wohl eine Stunde lang umhergewandert war, ohne daß sie des mehr für Wagenräder als für Damenschuhe geeigneten Pfads geachtet hätte, kam sie in den Park. Die Wege waren von gelben Blättern überdeckt, die vom beginnenden Abendthau des Herbstes sich stark gefeuchtet hatten.

Im braunen Geäst spielten noch zitternd verlorene Reste des Laubes. Der blasse Himmel sah da hinein, wo sonst die Sonne dichte Schatten geworfen hatte. In einer hohen Pappel hielt ein Rabenvolk lärmende Versammlung.

Abendkälte durchschauerte herb die Luft, und Rahels ungewisses Träumen wandelte sich in tiefe Trauer. Die Herbststimmung ergriff ihre in diesem Augenblick so wehrlose Seele. Sie weinte. –

(Fortsetzung folgt.)




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Bilder aus Spanien.

Madrid und seine Feste.
Von Schmidt-Weißenfels.

Die beste der Welten, sagt ein humoristischer spanischer Schriftsteller, ist Europa; die beste der Nationen Europas ist die spanische, und das Beste von Spanien ist Madrid.

Am oft sehr wasserarmen, zu Wasch- und Trockenplätzen benutzten Manzanares gelegen, erscheint die Stadt von weitem wie eine aus der Ebene aufsteigende Bastion. Stolz ragt an der Flußseite der mächtige weiße Schloßbau, die königliche Residenz, empor. Aber keine Stadt in Spanien hat in ihrer äußeren Erscheinung so wenig Spanisches wie Madrid. Es ist wie ein Stück Paris und ganz modern; nichts Alterthümliches und geschichtlich Ehrwürdiges darin. Es ist nicht so groß, als man sich gemeinhin vorstellt, und es ist auch nicht so schön, als man glauben sollte nach dem Ruf, der über das Leben daselbst sich verbreitet hat. Aber immerhin ist es großstädtisch, luxuriös, heiter und volkreich. Das Beste oder das Interessanteste darin ist die Puerta del Sol, ein Platz mitten in der Stadt, auf welchen zehn Straßen aus allen Weltgegenden münden; besonders geräumig ist er nicht, und wenn man die Kathedrale von Toledo dahin stellen würde, hätte sie lange nicht Platz genug. Aber über ihn fluthen von früh bis spät in die Nacht die lärmenden Wellen geschäftigen Verkehrs. Hier kreuzen sich die zahllosen Wagen, Karren und Pferdeeisenbahnen; hier bummeln die reichen und die armen Müßigganger; hier haben die Bettler jeder Art ihr Hauptquartier und erfüllen Verkäufer aller Art die Luft fort und fort mit ihrem Geschrei. Jeder von den 470 000 Einwohnern Madrids, meint man, müsse wenigstens einmal des Tages oder des Abends über die Puerta del Sol gehen. Hier schlägt in Wahrheit das Herz von Madrid.

Gearbeitet wird nicht sehr viel in dieser Hauptstadt Spaniens. Sie besitzt keine Fabriken, keine Industrie. Daher sind die Hauptstraßen nach der Puerta del Sol immer voll Menschen, die sich in der frischen Luft oder in der Sonne von ihrer häuslichen Anstrengung erholen; die großen Kaffeehäuser sind niemals leer. Und abends ist alle Welt, die es haben kann, in den Theatern, deren es mehr als ein Dutzend giebt. Für öffentliche Schauspiele und Festlichkeiten ist keine Stadt so geeignet wie Madrid; es hat die Plätze dazu, gleichsam die Bühnen mit Dekorationen und Coulissen, und die stets zur Schaulust bereite Menge. In ihren Festen spiegelt sich der Geist der Stadt. Werfen wir daher hier einen Blick auf einige dieser öffentlichen Schauspiele. Und da das Militär zu den glänzendsten Erscheinungen des öffentlichen Lebens gehört, mögen auch die militärischen Schauspiele, die große Parade, die Manöver voranstehen.

Als Platz für die Paraden dient der „Prado“, die beliebte breite Promenade, die sich in ihren mit Baumalleen und Palästen versehenen Fortsetzungen um halb Madrid zieht.

Die spanischen Truppen sind ähnlich uniformiert wie die französischen, nur in der Kopfbedeckung unterscheiden sie sich merklich von diesen. Sie sind elegant und gediegen ausgestattet, und zumal in Madrid liegen die schönsten Regimenter. Freilich besitzen sowohl Infanterie- wie Kavallerieregimenter eine im Vergleich zu unseren deutschen Verhältnissen äußerst geringe Friedensstärke. Erstere erreichen kaum den Mannschaftsstand eines deutschen Bataillons. Ihrer sechzig, im Frieden je etwa sechshundert Mann stark, sind über die spanischen Provinzen und Kolonien vertheilt. Die Kavallerie zählt 28 Regimenter mit je vierhundert Pferden, darunter Ulanen mit blanken Stahlhelmen, Husaren und Chasseurs, letztere unsern Dragonern entsprechend.

Die ganze Armee übersteigt in Friedenszeit kaum hunderttausend Mann und soll in Kriegsstärke auf 800 000 gebracht werden können. Erst unter König Alfons XII. wurde anstatt der früheren zehnjährigen Präsenzzeit die dreijährige mit Reservepflicht nach deutscher Weise eingeführt. Wenn auch jeder Spanier neuerdings zum Kriegsdienst verpflichtet ist, so kann er sich doch vom aktiven Dienst mit einer Summe von fünfzehnhundert bis zweitausend Pesetas (1 Peseta gleich einem Frank zu rechnen) loskaufen. Natürlich sind es infolgedessen die armen Landleute, aus denen sich die Armee zum größten Theil zusammensetzt; jährlich werden ihrer bis zu zwei vom Hundert ausgehoben, blutjunge kleine Kerle, oft noch knabenhaft in ihrem Erscheinen, aber flink und zäh. Aehnlich wie bei den Italienern ist auch bei der spanischen Infanterie das Marschtempo ein ganz erstaunlich schnelles, 125 Schritte in der Minute, während die deutschen Bataillone

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_435.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2023)