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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

seiner Furcht zu schützen. Aber auch hier haben wir es nicht mit etwas Erlerntem, sondern mit etwas Ererbtem zu thun.

Der Hund wird zurückgejagt und der Wendehals von neuem beobachtet. Nach und nach beruhigt er sich, bleibt indessen noch längere Zeit an derselben Stelle, bis er sich endlich entschließt, wegzufliegen, und zwar in abwärts gehender Richtung bis beinahe zum Boden, dann in geradem Zuge mit raschem Flügelschlag und endlich in großem flachen Bogen einem andern Baume zu. Läßt er sich auf den Boden nieder, dann bewegt er sich plump hüpfend in Sprüngen.

Bei der Wahl der Nisthöhle ist der Wendehals auf ein enges Eingangsloch bedacht, durch welches sein Leib gerade noch hindurchgeht. Wir entdeckten an ihm eine Vorliebe für nicht allzu hoch gelegene Baumhöhlen. Sehr oft richtet sich ein Paar Wendehälse unten in der Nähe des Stammes in einem Astloch häuslich ein, während in den höher gelegenen Höhlen desselben Baumes Meisen, Rotschwänzchen, Feldsperlinge oder andere Höhlenbrüter nisten. In diesem Falle läßt der Wendehals, mit seiner Wohnung zufrieden, die Mitbewohner des Baumes unbehelligt. Anders aber, wenn er um eine häusliche Unterkunft verlegen ist und die ihm passenden Plätze bereits besetzt findet. Dann kann es vorkommen, daß er einfach ein fremdes Nest in Beschlag nimmt, ohne viel nach Recht und Billigkeit zu fragen.

Der Wendehals.
Nach einer Zeichnung von A. Specht.

Geräth solch ein Paar in Angst oder Schrecken, so stößt es vereinigt den Laut „Schächt“ aus; das Weibchen läßt bei hochgradiger Erregung auch ein Zischen vernehmen. Die Jungen, welche wie die Wiedehopfe im Koth der Nisthöhle aufwachsen, schwirren wie die Heuschrecken, wenn die Eltern mit Futter bei ihnen einkehren. Erwähnenswerth ist noch das besonders hingebende Brüten des Weibchens, welches sich durch das heftigste Klopfen nicht von dem Gelege scheuchen läßt. Aber wenn man es unmittelbar berührt oder aufs äußerste bedrängt, dann läßt es jenes eigenthümliche Zischen gegen den Störenfried vernehmen.

Die Nahrung des Wendehalses sind Kerbthiere, in überwiegender Menge Ameisen und deren Puppen. Deswegen trifft man ihn auch häufig bei den Ameisenhaufen an. Nach Art der Spechte, vermag er die Zunge sehr weit vorzustrecken, die durch ihre dünne, wurmartige Gestaltung und ihre feine Zuspitzung in alle Ritzen und Löcher einzudringen imstande ist. Ganz merkwürdig ist die Verwendung dieser Zunge beim Ameisenfang. Der Vogel steckt sie in den Ameisenhaufen; an ihrem klebrigen Überzug bleiben eine Anzahl der Thierchen haften – und blitzschnell fährt sie beladen in den Schlund zurück, um, der Beute ledig, alsbald zu neuem Fange ausgesandt zu werden. Der Muskelapparat arbeitet dabei so schnell, daß man an einem gefangenen Wendehals selbst mit Aufbietung der ganzen Sehkraft nicht deutlich unterscheiden kann, ob die Beute angespießt oder wie mit einer Leimruthe gefangen wird. Wir glauben indessen, daß das letztere anzunehmen ist. – Nachdem die Jungen mehrere Wochen noch unter Führung der Eltern herangewachsen sind, zerstreuen sich die Familienglieder, und so trifft man sie im Nachsommer, von der Mitte des Juli an, mehr denn vorher einzeln auf dem Boden, im Rasen, auf Gemüseländern, an Wegen und Rainen. Vom August an führt der Wendehals ein unstetes Leben, später, am Ende dieses Monats, sammeln sich kleine Gesellschaften, die zur Nachtzeit die Wanderung nach dem Süden, ins Land der Pharaonen oder des Mahdi, unternehmen.




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Lea und Rahel.

Roman von Ida Boy-Ed.

(11. Fortsetzung.)


Da finde ich noch etwas,“ unterbrach Rahel die Stille, indem sie die Kiste weiter auspackte. Sie gab sich keine Mühe, sich zu beherrschen. Ihre Züge waren leidend, ihre Stimme matt.

Sie zog ein flaches Packet heraus, offenbar Bilder. Vielleicht Ansichten von schönen Punkten, welche die Ihrigen besucht hatten.

Sie löste die Schnüre. Zwei Kabinettphotographien, jede in einem Umschlag. Sie öffnete den einen.

Lea!

Lea, in einem Hals und Schultern tief freilassenden Ballkleid, so wie sich vielleicht fürstliche Damen oder Künstlerinnen abbilden lassen. Der Kopf war in malerischer Wendung halb erhoben, der Blick dunkel und groß in die Ferne gerichtet. Sie sah so blendend schön aus, daß Rahel sie kaum wiedererkannte. Aber schmäler waren ihre Wangen, und diese Schatten hatten sonst nicht unter ihren Augen gelegen.

Rahel reichte Lüdinghausen das Bild hin.

Er erblaßte und betrachtete es lange. Dann gab er es ihr zurück und schaute ihr frei und innig in die Augen.

„Und das zweite Bild ?“

Das blieb Rahel völlig unverständlich, als sie es hervornahm.

Es war das Brustbild eines Herrn im Frack. Diesen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_480.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2023)