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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

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Aus der Kleinwelt.

Zur Erinnerung an die Erfindung des Mikroskops.

Durch eine Ausstellung in Antwerpen feiert man in diesem Jahre ein Jubiläum, das auch für weitere Kreise Bedeutung hat und sich an die Erinnerungsfeier der Entdeckung der neuen Welt anreihen läßt; denn es betrifft die um rund 300 Jahre zurückliegende Erfindung des Mikroskops, welche zur Entdeckung der „unsichtbaren Welt“, der Kleinwelt der Organismen führte, die nicht weniger reich an Wundern ist als die neuen Erdtheile.

Man hatte schon früher Vergrößerungsgläser gekannt. Der berühmte Lehrer Neros, Seneca, berichtet in seinen „Quaestiones naturales“, was man etwa mit „Naturwissenschafliche Betrachtungen“ übersetzen kann, daß „selbst kleine und undeutliche Schriften durch Glaskugeln, die mit Wasser gefüllt sind, größer und deutlicher erscheinen.“ Noch älter ist eine Stelle in den „Wolken“ des griechischen Komödiendichters Aristophanes (400 Jahre v. Chr.), aus der wir ersehen, daß den Griechen Brenngläser bekannt waren. Seltsamerweise fand sich keiner der Forscher des Alterthums veranlaßt, mit Hilfe dieser Vergrößerungsgläser die winzigen Geschöpfe und Bildungen der Natur zu beobachten. Und nicht besser erging es der konvexen Glaslinse im Mittelalter. Sie wurde nur als Brennglas benutzt, und alte Urkunden sprechen oft von einem eigenartigen Gebrauch derselben. In Freising wurde z. B. am Charsamstag das heilige Feuer am Lichte der Sonne entzündet, und weit verbreitet war die Sitte, das Brennglas als Heilmittel zu verwenden, so zum Brennen der Epileptischen.

Die vergrößernde Kraft der konvexen Linsen wurde erst später fruchtbar gemacht und zwar in der Verfertigung von Brillen für Weitsichtige, worüber bestimmte Nachrichten aus dem 13. Jahrhundert vorliegen. Dann verging wieder eine lange Zeit, bis in der Zunft der Brillenschleifer die wichtigsten optischen Instrumente erfunden wurden: das Mikroskop, das gegen Ende des 16. Jahrhunderts Johannes und Zacharias Jansen zusammenstellten, und das Fernrohr, das im Jahre 1608 von Johannes Lippersheim erfunden wurde. Middelburg in den Niederlanden war die Vaterstadt dieser drei berühmten Männer.

Das Fernrohr wurde sofort gegen die Sterne des Himmels gerichtet und trat einen raschen Siegeszug an; das Mikroskop führte anfangs ein viel bescheideneres Dasein, es war nicht mehr als ein merkwürdiges Spielzeug, dessen Bedeutung man nicht mit einem Male erfassen konnte.

Die Anfänge des Mikroskops.

Es ist uns nicht bekannt, wie das erste Mikroskop von Jansen aussah, es scheint nach einem Briefe aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts ein zusammengesetztes mit zwei konvexen Linsen gewesen zu sein. Wir sind jedoch in der Lage, zwei der ältesten Mikroskope nach Abbildungen aus dem Werke „Ars magna lucis et umbrae“, das heißt auf deutsch „die große Lehre von Licht und Schatten“, von Athanasius Kircher aus dem Jahre 1646 unsern Lesern vorzuführen. Der gelehrte Pater beschreibt die Vergrößerungsgläser unter dem Namen „Smikroskope“. Das erste ist sehr einfach: es besteht aus zwei Glaskugelsegmenten, die mit Wasser gefüllt und am Fuße M befestigt sind; von dem letzteren zweigt sich der Halter R ab, auf dessen Spitze der zu beobachtende Gegenstand N befestigt wird. O auf unserer Figur bezeichnet die Stelle, welche das Auge des Beobachters einzunehmen hatte. „Andere aber,“ schreibt Kircher, „schließen, dank einer neuen sehr sinnreichen Erfindung, in einem Rohr (A B) kleine Glaskugeln C ein, deren Durchmesser nicht größer ist als der kleiner Perlen. Wenn Ihr das Bein eines Flohes nahe bei dem Glase C zwischen das Auge (E) und das Licht (D) bringt, so werdet Ihr es so groß wie einen Pferdeschenkel sehen; ein Haar vor dieses Glas gebracht wird so dick wie ein Balken erscheinen etc.“

Die Smikroskope Kirchers werden selbst den Laien auf den ersten Blick belehren, daß mit ihnen genaue Beobachtungen nicht anzustellen waren. Die Gelehrten machten sich damals ihre Linsen selbst, indem sie Glastropfen an der Spitze eiserner Stäbchen schmelzen ließen. Die Ausstattung war mitunter sehr schön, wie dies z. B. bei den Mikroskopen von Cornelis Drebbel, der lange Zeit als Erfinder des Instruments galt, der Fall gewesen ist: da ruhte die vergoldete kupferne Röhre auf einer Scheibe von Ebenholz und drei kupfernen Delphinen; aber die Seele des Mikroskopes, die Linsen ließen noch viel zu wünschen übrig.

Um die Mitte des 17. Jahrhunderts wurde der erste Schritt zur Vervollkommnung von Anton Leeuwenhoek in Delft gethan. Er war der erste, der das Senkblei der Wissenschaft in die Tiefen der Kleinwelt auswarf. Von Beruf Kaufmann, hatte er sich vom Geschäft zurückgezogen und mit dem Posten eines Stadthauskastellans in seiner Vaterstadt begnügt, um ein unabhängiges Leben ganz allein der Enthüllung verborgener Naturgeheimnisse zu widmen. Auch er stellte sich seine Linsen selbst her, die von ausgezeichneter Beschaffenheit waren und mit denen er die überraschendsten Entdeckungen machte. Bis dahin waren Haare und dergleichen die Gegenstände, mit deren Betrachtung die Besitzer der „Flohgläser“, wie man die Mikroskope damals nannte, ihre Neugierde befriedigten. Leeuwenhoek wurde zum Columbus der unsichtbaren Welt.

Um die Mitte des September 1675 untersuchte Leeuweuhoek mit Hilfe des Mikroskops Regenwasser, das wenige Tage in einer ausgepichten Tonne gestanden hatte.[1] Er fand darin zu seiner Ueberraschung eine große Zahl lebender Geschöpfe verschiedener Art, wohl zehntausendmal kleiner als die keinsten der bis dahin beobachteten Wasserinsekten; eine Art hatte vorn zwei Hörnchen, die sich beständig bewegten, wie die Ohren eines Pferdes, hinten schleppten sie einen langen Schwanz nach; eine andere Art veränderte beständig ihre Gestalt; eine dritte zerfloß, sobald das Wasser vertrocknete, eine vierte, in der wir die in neuester Zeit so wichtig gewordenen Bakterien erkennen, war so klein, daß Leeuweuhoek ihre Gestalt nicht unterscheiden konnte.

Frisch aufgefangenes Regenwasser sowie frisch geschmolzener Schnee zeigten keine Thierchen, sobald das Himmelswasser aber einige Tage gestanden hatte, erschienen die Geschöpfe und vermehrten sich von Tag zu Tag. Und wenn es gar auf gestoßenen Pfeffer und andere Pflanzenstoffe gegossen wurde, vermehrten sie sich ins ungeheure, so daß in einem Tröpflein 6000 bis 10 000 gezählt werden konnten.

Aber Leeuwenhoek war nicht bloß Beobachter von ungewöhnlichem Scharfblick, sondern auch ein kühner, selbständiger Denker, er stellte sich sofort die Frage: Woher stammen diese Geschöpfe? Die Antwort lautete: Sie sind nicht von selbst aus dem Wasser entstanden, sondern sie haben sich aus Keimen entwickelt, die in der Luft vorhanden waren. Wenn in Aufgüssen von Pflanzenstoffen sich diese Thiere besonders zahlreich entwickeln, so liegt der Grund in der reichlicheren Ernährung, welche ihre Vermehrung begünstigt.

Um jene Zeit hatten auch englische Gelehrte die mikroskopische Forschung bedeutend gefördert: Hooke hatte im Jahre 1665 zum ersten Male im Korke die pflanzlichen Zellen erblickt, die ähnlich wie die Zellen in den Honigwaben angeordnet waren. Aber selbst diese Männer, die in der „Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften“ zu London damals unbestritten den Mittelpunkt aller naturwissenschaftlichen Forschungen bildeten, wollten den Berichten Leeuwenhoeks keinen Glauben schenken, und sie waren zu entschuldigen, denn ihre Mikroskope waren sämmtlich zu schwach, um die Wunder der Kleinwelt zu enthüllen. Robert Hooke arbeitete indessen unausgesetzt an der Verbesserung seiner Instrumente, bis es ihm nach jahrelanger Mühe gelang, sein Ziel zu erreichen. Am


  1. * Vgl. den Vortrag von Prof. Ferdinand Cohn, der auf der 47. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Breslau den Inhalt eines bis dahin noch nicht gedruckten Briefes von Leeuwenhoek an Constantin Huyghens wiedergab.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_526.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)