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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

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 Wissen.
Wissen soll bescheiden machen,
Thoren macht es dünkelhaft,
Wie die Sonne, Licht verbreitend,
Eulen raubt die Sehekraft.


 Vergiß keine Wohlthat! (hebräisch).
In den Brunnen zu keiner Zeit
Sollst du Steine senken,
Der voll Milde stand bereit,
Durst’ger, dich zu tränken.


 Der Sperling.
Der Sperling, der das Korn uns stiehlt,
Ruft jedem zu: „Dieb! Dieb!“
So traut man stets dem andern zu
Das, was man selber trieb.


 Indischer Spruch.
Schmeißfliegen sind es, die die Fäulniß suchen;
Die Bienen aber fliegen nach der Blüthe.
Gemeine Seelen spähen stets nach Fehlern,
Vorzüge sucht ein edeles Gemüthe.


 Neid.
Neiden
Bringt Leiden;
Doch ist der Leidende
Nicht der Beneidete, sondern der Neidende.

D. Sanders. 



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Die Kamerunerin.

Eine romantische Geschichte von H. v. Götzendorff-Grabowski.

(1. Fortsetzung.)

So schnell sich Claudius durchweg in die freundlichen Räume der Drachenburg eingewöhnt hatte – ein Zimmer unter allen hielt er besonders werth. Es lag im linken Seitenflügel und sein vieleckiger Erker gewährte einen reizvollen Rundblick ins Land hinein. Hier war das Reich der Arbeit, aber auch dasjenige der Träume. Hier stand der altmodische, von einer schönen Aristotelesbüste gekrönte Schreibtisch, dessen sich schon so mancher Claudius bedient hatte, um in ernster Arbeit der Zeit Schätze abzuringen. Rings an den Wänden liefen hohe, dichtbesetzte Bücherständer hin und zwischen diesen hatte Claudius seine wenigen Erinnerungen aus der Vergangenheit angebracht, die über dem Cereviskäppchen gekreuzten Rapiere und einige sonstige Waffen, seiner Eltern Bilder, die Schattenrisse mehrerer Studienfreunde. Hier flossen ihm Vergangenheit und Gegenwart in eins zusammen; hier ward er sich seines Werthes als Mensch und Arbeiter klarer bewußt als draußen im Tageslärm; hierher, zu seinen Büchern, zu seinen Träumereien über Menschenbeglückung rettete er sich, wenn seine Seele matt werden wollte im Kampfe mit der Selbstsucht, Engherzigkeit, Verständnißlosigkeit ringsum – mit den unzähligen kleinen Bitternissen des täglichen Lebens, gegen deren Skorpionenstiche er, der Alleinstehende, keinen heilkräftigen Zauber besaß. Daß die so empfangenen Wunden bisweilen schmerzten, würde Claudius allerdings niemand, kaum sich selbst zugestanden haben, und niemand wäre es in den Sinn gekommen, hinter dem tüchtigen Geschäftsmanne, welcher ein so gleichmäßiges, ruhig kühles Wesen zur Schau trug und der doch, wenn es der Augenblick gebot, ein heiterer und anziehender Gesellschafter zu sein verstand, noch eine andere, weltschmerzliche Seite zu suchen. Selbst Albert Gerlach hatte von einer solchen bis zum heutigen Abend nichts gewußt; bis zum heutigen Abend, an welchem der Fabrikherr und sein Direktor unter den Augen des alten Aristoteles ihre Flasche Burgunder leerten.

„Ich kann Ihnen wirklich nicht genau sagen, wie die Tollheit so plötzlich über mich kam, Gerlach! Hab’ ich doch schon so manches liebe Jahr meinen einsamen Weihnachtsabend gehabt und schon eine geraume Weile in Eberhards glückliches Eheleben hineingeschaut, ohne mein freies Junggesellendasein darum weniger anziehend zu finden. Es ist nun aber einmal so, daß mich heuer alle Vorbereitungen zum Christfest, jedes sinnig ausgeschmückte Schaufenster, jedes lächelnde Kinderantlitz davor, jeder unschuldige Tannenbaum, den man zufällig an mir vorbeitrug – daß mich alle diese Dinge stören und verdrießen. Als ich letzthin bei Eberhards vorsprach, unterhielten sich die Mägde auf der Treppe vom bevorstehenden Kuchenbacken. Im Wohnzimmer saß der Professor in Hemdärmeln und wirthschaftete mit Pinsel und Kleistertopf. ‚Tritt nur näher, ich tapeziere eine Puppenstube für unser herziges Nellychen,‘ rief er mir vergnügt entgegen. ‚Und ich nähe ein Festgewand für das dazugehörige Puppenfräulein,‘ fügte Edith strahlend hinzu. Später mußte ich noch die Liebesgaben begutachten, mit welchen sich das Ehepaar gegenseitig zu überraschen gedachte, und ward zu diesem Zweck von jedem insgeheim bei Seite genommen! Danach schmeckte der Hochheimer sonderbar bitter. Ins Pfefferland mit all dem sentimentalen Krimskrams! dachte ich, gleich darauf aber: es ist doch herzlich traurig, an diesem Feste der Liebe so mutterseelenallein dazustehen, ohne ein von freundlicher Hand angezündetes Weihnachtskerzlein, ohne ein noch so geringfügiges Gedenkzeichen, das die Theilnahme ersann und das von menschlicher Zusammengehörigkeit zeugt!“

„Nun, ich muß bekennen, ungeschickt gearbeitete Schlummerrollen, auf denen man sich Beulen in den Kopf liegt, Visitenkartentaschen, die zu klein, Cigarrentaschen, die zu groß sind, Hausschlüsselfutterale, welche nur dazu bestimmt scheinen, dem glücklichen Besitzer heimtückisch aus der Tasche zu rutschen, und dergleichen verhängnißvolle weibliche Liebesgaben niemals unter die Annehmlichkeiten der Familienfeste gerechnet zu haben,“ entgegnete Gerlach lachend, als Claudius innehielt. „Und was das ‚herzige Nellychen‘ angeht, den kleinen Unhold, der täglich mindestens zweimal frisch gewaschen wird, aber trotzdem immer so schwarz wie ein Mohrenkind aussieht und seinen ganzen nach dieser Richtung leider schon recht entwickelten Verstand dem edeln Zwecke widmet, die gehorsamen Eltern in alle erdenklichen Verlegenheiten und Aengste zu versetzen – ich weiß wirklich nicht, ob dessen Besitz Ihnen eine erhebende Weihnachtsfeier sichern würde! Die Ehe an sich endlich –“

Gleichfalls lachend erhob Claudius die Hand. „Schweigen Sie, Gerlach! Es bedarf keiner Standrede gegen die Ehe, weil ich nicht daran denke, zu heirathen.“

„So ist es keine Liebesgeschichte, welche Sie mir beichten wollen?“

„Nicht eigentlich, wenigstens handelt es sich dabei nicht um ein Weib von Fleisch und Blut. Wir haben es nur mit einem Traumbild zu thun, mit einem Traumbild von Liebe und Glück, welches während eines Gespräches mit Eberhards urplötzlich in mir aufstieg. Frau Edith hatte mich gefragt, warum ich nicht endlich an die Wahl einer Lebensgefährtin denke, ich bemühte mich, ihr das ‚Darum!‘ klar zu legen. Schließlich entspann sich zwischen den Eheleuten ein kleiner, scherzhafter Streit über die Wege, auf welchen ein Mann die ‚Rechte‘ finden, verwandte Seelen zu einander gelangen könnten. Ihr Schwager meinte: auf jedem, wenn das Schicksal es will, sogar auf jenem nüchternen durch die Zeitung. Und da stand plötzlich mein Traumbild vor mir! Ich fühlte mich in einen Rausch wie von süßem Most versetzt! Ja, warum sollte ich nicht auch einmal die ‚Rechte‘ finden? Und warum sollte es nicht geschehen können mit Umgehung jenes entsetzlichen gesellschaftlichen Spießruthenlaufens bei Freunden und Verwandten, das jeder regelrecht zustande kommenden Verbindung in unseren Kreisen vorangeht? Meine Bewegung hielt noch an, als ich durch die frische Abendluft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_528.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)