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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Deutsche Originalcharaktere aus dem achtzehnten Jahrhundert.

Johann Georg Schrepfer.
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Ein merkwürdiges Jahrhundert, dies Jahrhundert der Aufklärung, in welchem soviel Spuk, Geisterseherei und Geisterbeschwörung noch bis gegen den Schluß hin Platz fand. Für vieles Unbegreifliche hat uns erst die neueste Zeit den Schlüssel gegeben. Räthselhaft mußte es erscheinen, daß Männer von hoher geistiger Bildung jenem abenteuerlichen Treiben ihre Theilnahme zuwenden konnten, und man hat diese Thatsache in jeder Hinsicht abzuschwächen gesucht; jetzt, nachdem mehr als hundert Jahre zwischen uns und jener Zeit liegen, haben wir es ja selbst erlebt, daß namhafte Gelehrte und Naturforscher nicht nur einen unerschütterlichen Glauben an den Spuk der Geisterbeschwörer hegten, sondern ihn sogar wissenschaftlich zu erklären suchten und dafür neu erfundene Formeln zu Hilfe nahmen. Wenn dies im Jahrhundert der Eisenbahnen und Telegraphen möglich war, so braucht man über ähnliche Vorgänge in dem vorausgehenden Säculum, in welchem noch Hexen verbrannt wurden, nicht zu staunen.

Unter den Magiern jener Zeit, von denen sich der Italiener Cagliostro und der Franzose Saint Germain einen Weltruf erworben haben, befindet sich auch ein Deutscher, dessen Name kaum über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus genannt wurde, der in bürgerlichen Verhältnissen lebte und nicht durch alle europäischen Salons abenteuerte, der aber dennoch Einfluß und Macht in seltenem Maße gewann, Johann Georg Schrepfer (oder Schröpfer). Er war Kaffeewirth in Leipzig und gewiß der einzige unter seinen Berufsgenossen, um den ein geheimnißvolles Dunkel schwebte, denn in den Lokalen, in denen der Mokkatrank kredenzt wird, pflegt ja stets die lauteste Oeffentlichkeit zu herrschen. Schrepfer war 1730 geboren. In seiner Jugend war er Kellner in einem Leipziger Gasthofe, und gerade in diesem Gasthof hielten die Freimaurer ihre Versammlungen ab; er wurde als Mitglied unter die dienenden Brüder des Ordens aufgenommen. Später soll er als preußischer Husar mehrere Jahre gedient haben; dann wurde er soweit vom Glück begünstigt, daß er die Laufbahn, die er anfangs als Kellner eingeschlagen, weiter verfolgen konnte: ein nicht unvermögendes Mädchen wendete ihm seine Neigung zu, er heirathete es und eröffnete in der Leipziger Klostergasse ein Kaffeehaus, dem es nicht an Gästen fehlte. Bei diesen wußte er sich bald durch seine Kenntniß des Maurerthums ein Ansehen zu geben. Er deutete indeß an, daß er darüber hinaus Geheimnisse besitze, welche den meisten Maurern verschlossen seien, unterwarf die bestehenden Logen einer scharfen Kritik und fand bei ihnen nichts als Spiegelfechterei; in das Geheimniß der Maurerei, welches Gewalt über die Geister gebe, seien nur wenige eingedrungen. Darauf aber gerade ging das unruhige Streben auch guter Köpfe. Der Schauspieler Brückner in Berlin, obschon mit Lessing befreundet, strebte mit Eifer nach dieser geheimen Weisheit, die nach seiner Ansicht die Tempelherren einst besessen hatten. Er berichtete seinem Freunde, dem Kaufmann Schlegel in Leipzig, daß es noch sieben Personen in Preußen gebe, die von den Tempelherren herstammten und sich einmal des Jahres in einer alten Kapelle in Güstrow versammelten, um dort „wahre Arbeiten“ zu verrichten. Einen dieser Männer werde er demnächst selbst kennenlernen; er lebe ganz nahe bei Berlin in der Stille und gehe mit einem blauen Mantel, mit verschnittenen Haaren und einem Stutzbärtchen.

Johann Samuel Benedikt Schlegel, an den der beliebte Bühnenkünstler diese Zeilen schrieb, stand mit Schrepfer im nächsten Verkehr und hat auch ein Tagebuch über seine Erlebnisse dabei herausgegeben. Er war ein ehrlicher braver Mann, ein durchaus anständiger Charakter und trat darum Schrepfer anfangs schroff gegenüber, als dieser das Maurerthum und besonders die Loge „Minerva“, welcher Schlegel angehörte, mit Schmähungen überhäufte; ja, er verklagte ihn sogar bei dieser Loge, ohne daß indessen etwas gegen Schrepfer unternommen worden wäre. Dieser war inzwischen Schlegel persönlich nähergetreten, hatte lange Zwiegespräche mit ihm über das Geheimniß der Maurerei gehabt, und ihm endlich erklärt, er werde ihn durch Thatsachen überzeugen. Schlegel möge einer Probe seiner Kunst beiwohnen. Dieser erklärte sich dazu bereit und der Erfolg war, daß er ein überzeugter Anhänger des Geisterbeschwörers wurde.

Wie es bei diesen Proben oder sogenannten „Arbeiten“ zuging, darüber berichten uns andere Zeitgenossen. Zuerst wurden bei einer anregenden Punschbowle Gespräche geführt, wie sie in maurerischen Kreisen üblich waren; dabei zeichnete sich Schrepfer durch eine sinnverwirrende Beredsamkeit aus, welche die Zeichen und Symbole aus der Geheimwissenschaft aller Zeiten spielend durcheinander warf. Nachdem die Anwesenden durch den Punsch und das Hexeneinmaleins des Zauberers in die rechte Stimmung versetzt worden waren, traten sie in den Billardsaal und stellten sich vor dem Billard auf. Hinter demselben hatte „der Meister“ im Priesterornat an einem schwarz verhangenen Tisch, der einen Altar vorstellte, Platz genommen; dann mußten alle niederknieen und inbrünstig für den Erfolg der heiligen Arbeit beten; Schrepfer las darauf die Messe und flehte die überirdischen Mächte an, ihm hilfreich zu sein und die von ihm herbeibeschworenen Personen erscheinen zu lassen. Bei diesen Beschwörungen verzerrte er seine Züge, seine Gebärden hatten etwas krampfhaft Schauerliches, nicht minder seine Ausrufungen, der Aufschrei, mit dem er die Pforten des Geisterreichs öffnete. Dann stieg vor dem Altar ein glänzender Nebel auf, in dem sich die herbeigebannte Gestalt zeigte. Oft aber benahmen sich auch die Geister wie die lärmfrohen Klopfgeister des neunzehnten Jahrhunderts: sie kündigten ihr Erscheinen durch Klopfen und Poltern an, die Thür erdröhnte von ihren Schlägen, unter wildem Getöse, unter Zischen und Pfeifen traten sie in den Kreis der Endlichkeit. Schrepfer drohte jedem der Zuschauer den Tod an, der sich vom Platze rühren würde. Was nun die Geister sprachen, ob sie geistreich und tiefsinnig sich äußerten, darüber schweigt die Kunde; vielleicht waren sie so geistlos und alltäglich wie die neuesten Gespenster. Allzu bekannte Zeit- oder Stadtgenossen herbeizubeschwören, weigerte sich Schrepfer, indem er erklärte, er habe nicht über alle Geister Macht. So vermochte er nicht, den Wunsch seiner Zuhörer zu erfüllen, welche den Geist des jüngstverstorbenen Gellert zu sehen verlangten. Den liebenswürdigen Dichter kannte jedes Kind in Leipzig – und da wären doch wohl auch in gläubigen Gemüthern Zweifel wegen mangelnder Porträtähnlichkeit aufgestiegen.

Solche Bedenken fielen fort, wenn Schrepfer die beiden vor kurzem hingerichteten Grafen Struensee und Brandt erscheinen ließ; denn diese trugen die abgeschlagenen Köpfe unter dem Arm und erschwerten so eine Prüfung ihrer Gesichtszüge. Bisweilen begegnete aber doch den Geistern das Unangenehme, daß sich beim genauen Studium ihres Kostüms die allzuirdische Herkunft einiger Bestandtheile desselben ergab. Schlegel hatte sich einmal, ehe Schrepfer erschien, unter dem als Altar hergerichteten Tisch versteckt; da bemerkte er zu seinem Erstaunen, daß der eine Geist Schuhschnallen trug, die ihm sehr bekannt vorkamen, denn der Oberkellner aus dem Kaffeehause Schrepfers hatte sie tags zuvor in Schlegels eigenem Laden gekauft. Auch sonst machten zweifelsüchtige Freunde oft Entdeckungen, welche ihren Argwohn nur vermehren konnten: bei verriegelter Thür konnten z. B. die Geister nicht herein. Bisweilen erschienen dieselben in verschiedenem Licht in dem verfinsterten Zimmer; es kam eben, so wurde erklärt, auf den Grad der Seligkeit an, den sie drüben erlangt hatten, ob sie sich weiß oder rötlich oder dunkelbraun zeigten. Um diese Unterscheidung herbeizuführen, bedurfte es aber besonderer Anstrengungen des Geisterbanners, der oft stundenlang betend auf der Erde lag und dann mit Weihwasser, geweihten Kerzen und einem Kruzifix, das er beschwörend in der Luft umherschwang, die Macht seiner Bannsprüche verstärkte. Schrepfer ließ, gegen die Sitte des Maurerthums, auch Frauen in männlichen Kleidern an den Logenarbeiten theilnehmen, überließ es auch bisweilen, wenn er verreist war, seinen Zöglingen allein, die erlangte Zaubermacht zu prüfen. Dabei machten diese aber sehr entmuthigende Erfahrungen. Schlegel berichtet, wie ihrer sieben, obschon sie sich mit wahrer Rührung der Seele und des Geistes der Arbeit gewidmet hatten, doch nichts auszurichten vermochten, wie kein Geist kam und wie er selbst in dem Zauberspiegel, in welchem er nach Schrepfers Verheißung Wunderdinge schauen sollte, nichts gesehen habe als sein eigenes altmodisches Gesicht und noch dazu mit einem kahlen Kopfe. Dieser Jünger fing überhaupt an, gefährlich zu werden; es regte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_538.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)