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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Der Blitz, „der war, eh man ihn sah“, tötet in der Regel im Augenblick. Bekannt ist der von Reimarus erzählte Fall, wo zwei Menschen, die vor dem Gewitter hinter einer Hecke Schutz gesucht hatten, dort vom Blitze getötet wurden. Man fand sie in ganz unveränderter Lage, mit offenen Augen; der eine hielt nach ein Stück Brot in der Hand, das er einem Hunde reichen wollte, der auf seinem Schoße saß und mit erschlagen wurde.

Häufig findet man an den Leichen der vom Blitz Getroffenen nicht die geringste Verletzung, in anderen Fällen läßt der Blitz Spuren seiner Gewalt zurück. Am bekanntesten sind die „Blitzfiguren“, geröthete, baumartig verzweigte Streifen, welche sich vom Gesicht bis zur Fußsohle erstrecken können und keineswegs dem Lauf der Blutgefäße oder Nerven entsprechen, sondern bloß die Bahn des Blitzfunkens bezeichnen. Dann trifft man wieder nur kleine umschriebene Hautabschürfungen oder blutunterlaufene Stellen und lochförmige Oeffnungen. Daneben aber finden sich breitere Wunden, ja die Verletzungen können, wenn auch sehr selten, in mächtigen Zerstörungen, im Abreißen ganzer Gliedmaßen und in Schädelbrüchen bestehen. Verbrennungen der Haut und Versengungen der Haare werden gleichfalls öfter beobachtet.

Ebenso verhält es sich mit den inneren Verletzungen, bald zeigen sich gar keine Veränderungen, bald tiefe Schädigungen der edelsten Organe.

Regelmäßiger erblickt matt deutliche Spuren des Blitzes an den Kleidern der Getroffenen, sowie an den Gegenständen, die sie bei sich getragen haben. Die Kleider können verbrannt oder zerrissen sein, namentlich werden oft Risse am Schuhwerk beobachtet; doch kommt es auch hier vor, daß alle Spuren fehlen. Die sonderbarste Erscheinung bilden wohl jene Fälle, in denen die Kleider unversehrt bleiben, aber metallene Gegenstände wie Messingknöpfe, Geld, Uhren, Ketten geschmolzen werden. In medizinischen Fachblättern wurde kürzlich Folgendes mitgetheilt: Jäger fanden in Tirol unter einem Baume die Leiche eines Mannes. Wenige Tage vorher waren über der Gegend heftige Gewitter niedergegangen, und so lag die Vermuthung nahe, daß der Mann vom Blitze erschlagen worden sei. Obwohl nun an der Leiche selbst keine Spuren von Verletzungen bemerklich waren, so trug der Tote doch den deutlichsten Beweis des Blitzschlages in seiner Tasche. Eine Anzahl Kupfermünzen war dort zu einem festen Haufen zusammengelöthet, da ihr Rand an verschiedenen Stellen geschmolzen war.

Lichtenberg, der berühmte Naturforscher und satirische Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts, hat gesagt, die Menschen würden vom Blitz erschlagen, weil sie es nicht anders haben wollten. Ein gut Theil Wahrheit ist in diesem Wort enthalten; denn die Schutzmittel gegen den Blitzschlag werden immer noch nicht in genügender Weise benutzt, und manchmal wird die Gefahr sogar herausgefordert. In früheren Zeiten war die Sitte des Wetterläutens allgemein, und da ereignete es sich nicht selten, daß der Glöckner erschlagen wurde, da der Blitz gerade in die Glocke fuhr. Kein Wunder, denn Metallmassen, und vollends hoch angebrachte, ziehen den Blitz an. Aber noch heute besteht in vielen Gebirgsdörfern diese Sitte fort und fordert ihre Opfer, wie genaue Kenner der betreffenden Gegenden versichern. In ähnlicher Weise werden auch die Waffen der Soldaten gefährlich; es ist bekannt, daß der Blitz besonders häufig in militärische Lager oder marschierende Truppentheile einschlägt, wie sich das bei Berlin in diesem Jahre zweimal ereignete. Der größte Unglücksfall dieser Art traf 1864 ein nordamerikanisches Regiment, welches sich auf einem Hügel gelagert hatte, der die Ebene ringsum beherrschte. Eine ungeheure Feuersäule fuhr auf die Anhöhe herab, zerstreute das Lager, warf sämmtliche Mannschaft zu Boden und tötete fast alle Pferde. Achtzehn Mann waren tot, die andern beinah alle mehr oder weniger verletzt. Bei zwei Gewehrpyramiden entluden sich die Läufe, und die Geschosse töteten drei Soldaten in einem anstoßenden Lager.

Es wird ferner angenommen, daß größere Ansammlungen von Menschen schon für sich genügen, um den Blitz herbeizuziehen. Jedenfalls gestaltet sich hier die Verheerung viel schwerer. Am besten beobachtet wurde der von Heusner 1864 in den „Wiener medizinischen Blättern“ beschriebene Fall, wo der Blitz in eine Menschenmenge einschlug, welche aus Anlaß eines Wettrennens sich angesammelt hatte. Zwanzig Personen wurden getroffen; von ihnen blieben vier sogleich tot, während die übrigen theils nach wenigen Minuten, theils erst nach einer Stunde sich erholten, aber der Mehrzahl nach erhebliche Beschädigungen davontrugen. Diese bestanden in Verbrennungen und „Blitzfiguren“ an verschiedenen Körperstellen oder in weißgrau umsäumten Durchlöcherungen der Haut an den Fußsohlen, besonders an den Fußkanten, und in Rissen an den betreffenden Stellen der Strümpfe und Stiefel; das alles erinnerte im Aussehen an die Löcher, welche der elektrische Funke durch Kartenblätter schlägt. Auch die Kleider zeigten bei mehreren Verletzten ähnliche Brandlöcher, die sich dort, wo mehrere Schichten über einander lagen, nach innen zu vergrößerten. Bei Personen, welche Nagelschuhe trugen, waren solche Oeffnungen nicht vorhanden, offenbar weil die Nägel selbst dem Blitz als Leiter dienten. Die Wunden am Unterkörper sahen ganz anders aus als die am Oberkörper, was auf polare Verschiedenheiten des elektrischen Stromes zurückgeführt wurde. Auch bewiesen die mehrfachen, nebeneinander sichtbaren Durchbohrungen der Kleider und der Haut, daß der Blitz nicht in einfachem Strahl, sondern in ganzen Garben auf die Betreffenden niedergefahren war.

Daß hohe Bäume den Blitz anziehen weiß jeder, trotzdem suchen die Leute immer wieder während eines Gewitters Schutz unter Bäumen. Gewisse Bäume wie z. B. Buchen sollen jedoch verhältnißmäßig seltener vom Blitz getroffen werden, am häufigsten schlägt er in Eichen ein; der Grund dieser Erscheinung ist nicht ermittelt, vielleicht spielt hier die Bodenbeschaffenheit mit herein.

Es giebt einzelne Stellen, die eine besondere Anziehungskraft auf den Blitz ausüben: dieselben Pappeln am Wege, dieselben Weiden am Wasser wurden schon so und so viele Male getroffen. Diese Behauptung hört man sehr oft, wenn man auf Reisen mit Landwirthen über Blitzschläge spricht. Solche Orte sind besonders zu meiden, denn ihre Gefährlichkeit rührt höchst wahrscheinlich von unterirdischen Wassermassen her, welche den Blitz anziehen. Wenn man aber während eines Gewitters sich nicht unter einen Baum stellen soll, so ist es andererseits auch nicht gerathen, auf dem freien Felde zu bleiben, denn hier bildet man gerade einen hervorragenden Punkt, nach welchem der Blitz zielt. Schnelles Laufen und Reiten soll ebenso die Gefahr vermehren. In der That werden die meisten Opfer des Blitzes auf freiem Felde erschlagen, man hört seltener, daß Personen in Häusern getötet wurden, und so würde scheinbar hier der Spruch stimmen: „Mein Haus, meine Burg.“

Allein diese Burg ist selbst nicht immer sicher, deshalb hat sie der erfinderische menschliche Geist mit einem besonderen Schutzmittel, dem Blitzableiter, versehen. Da in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Blitzschläge bedeutend zugenommen hat – nach statistischen Erhebungen sollen jetzt etwa dreimal soviel Gebäude vom Blitz beschädigt werden als vor dreißig und vierzig Jahren – so hat man der Blitzableiterfrage eine erneute Aufmerksamkeit zugewendet. Was die Städte anbelangt, so werden diese in Zukunft besonders gut gegen die Gewittergefahr ausgerüstet sein, wenn man erst die Blitzableiter an die Röhren der Gas- und Wasserleitungen angeschlossen haben wird; denn diese großartigen unterirdischen Rohrnetze bilden das trefflichste Reservoir, in welchem der Blitz neutralisiert werden kann. Eine derartige Verbesserung beschäftigt jetzt Städteverwaltungen, Wasser- und Elektrotechniker aufs lebhafteste, sie ist nicht weniger für weitere Kreise von hohem Interesse.

Der Blitz zieht sehr oft die Gas- und Wasserleitungen dem Ableiter selbst vor, weil sich ihm hier der bequemste Weg zu dem großen zusammenhängenden Leiter der Elektricität, zur Erdmasse, darbietet. Er sucht darum jene Röhren mit aller Kraft zu erreichen, selbst wenn er große Widerstände zu überwinden hat. Hier einige bezeichnende Beispiele: Im Jahre 1871 hat der Blitz in Alatri einen 10 m langen und 3/4 m tiefen Graben im Erdreich aufgeworfen, um von dem eigentlichen Ableiter zur Wasserleitung zu gelangen. Im Jahre 1877 fuhr der Strahl vom Ableiter der Kirche in Itzehoe mit Durchbrechung einer Mauer von der Dicke eines halben Meters auf die Gasleitung über, und im Jahre 1880 sprang er vom Ableiter der Nikolaikirche in Flensburg hinüber auf die Gasleitung des an der Kirche liegenden Schulhauses.

Denken wir uns nun ein Haus mit einem Blitzableiter, der mit dem ebenfalls vorhandenen Netz der Gas- und Wasserröhren nicht verbunden ist. Hier ist der Raum zwischen den beiden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil’s Nachfolger, 1891, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_642.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2023)