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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

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Zum Gedächtniß Mozarts.

Die letzten Monate dieses Jahres bringen zwei Gedächtnißtage, welche unsere Blicke um ein Jahrhundert zurückwenden zu dem Bilde des größten deutschen Komponisten; am 30. September 1791 ging Mozarts „Zauberflöte“, eine der kostbarsten Gaben seines Genius, zum ersten Mal über die Bühne, und kurze Zeit nachher, am 5. Dezember, wurde der große Tonkünstler auf der Höhe seines Schaffens aus dieser Welt abberufen, nachdem er sie mit seinem Reichthum an Tönen überschüttet hatte.

Es ist über Mozart so unendlich viel geschrieben worden, daß man denken könnte, das Wesen und die Bedeutung seiner Musik wie seiner Persönlichkeit sei erschöpfend dargestellt. Aber das eben ist der Zauber echter Größe, daß deren Schöpfungen weit hinaus von Geschlecht zu Geschlecht die Gedanken der Späteren bewegen und stets aufs neue der Nachwelt zu thun geben, damit sie durchdringe zu immer tieferem Verständniß. Erschöpfen kann sich die bewundernde Kritik gegenüber einer solchen Größe nicht, ebensowenig wie wir uns in der Bewunderung der Natur selbst und ihres stets aufs neue wirkenden Zaubers erschöpfen können. An dieser Stelle sollen dem außerordentlichen Künstler und liebenswürdigen Menschen nur einige Worte in Bezug auf die beiden Gedächtnißtage gewidmet sein!

Wolfgang Amadeus Mozart wurde am 27. Januar 1756 in Salzburg geboren; zur Freude seines Vaters, des trefflichen Musikers und erzbischöflichen Vicekapellmeisters Leopold Mozart, entwickelte das Kind so frühzeitig eine erstaunliche musikalische Begabung, daß sein Vater, der bei seinem spärlichen Einkommen darauf bedacht sein mußte, seine Einnahmen zu vergrößern, schon in Wolfgangs sechstem Jahre mit diesem und seiner um fünf Jahre älteren Schwester Marianne Kunstreisen nach München und Wien unternahm, auf welchen das geradezu wunderbare Talent des Kindes das höchste Aufsehen erregte. In den folgenden zehn Jahren schlossen sich ähnliche Reisen nach Frankreich, England, Holland und Italien an. Dem italienischen Aufenthalt Mozarts im Jahre 1770 verdanken wir eines seiner reizendsten Bildnisse, welches in Verona gemalt und erst 1850 dort aufgefunden wurde. Jetzt befindet es sich im Besitze der Frau Therese Kammerlacher in Wien.

Seine Schwester Marianne. 0 Mozart im   Vater.  
25. Lebensjahr.       Bild der Mutter.  

Die Familie Mozart. 0Nach dem Gemälde von Joh. Nep. de la Croce.

Mit sechzehn Jahren hatte der Knabe bereits zahlreiche Orchesterstücke, Streichquartette und Motetten, Duos und Trios für verschiedene Instrumente verfaßt, und in Mailand waren sogar bereits 1770 und 1772 zwei Opern von ihm zur Aufführung gekommen. Auf deutschem Boden debütierte er als Opernkomponist 1775 in München mit einer Opera buffa „La finta giardiniera“; München hat auch den Ruhm, diejenige seiner Opern, welche die Periode seiner Meisterschaft einleiten sollte, „Idomeneo“, unter des Komponisten eigener Leitung im Januar 1781 zur ersten Aufführung gebracht und ihm damit seine Bahn auf dem dramatischen Gebiete eröffnet zu haben.

Bisher hatte Mozart im Dienst des Erzbischofs von Salzburg gestanden, eines herrischen, geizigen Machthabers. Die Erfolge in München gaben dem Beglückten die Kraft und das Selbstvertrauen, die Fesseln abzuschütteln und seinen Wohnsitz in Wien zu nehmen, wo er schon als Kind angestaunt und verhätschelt worden war. Allein auch hier konnte er an höherer Stelle nicht die seiner Bedeutung entsprechende Förderung erlangen. Der Neid, den seine außerordentlichen Fähigkeiten erweckten, die Ränke seiner Nebenbuhler, durch welche seine Fortschritte auf dem neu betretenen Wege gehemmt werden sollten – sie wurden durch seinen ersten großen Wiener Erfolg auf dem Gebiete der Oper nur gesteigert, und auch die volle Bewunderung, welche ihm Joseph Haydn, der Schöpfer der neueren Instrumentalmusik, freudig zollte, vermochte die Bosheit und den Unverstand nicht zu entwaffnen. Jene erste, mit allseitigem Beifall aufgenommene Frucht seines Wiener Aufenthalts war die Oper „Die Entführung aus dem Serail“, nachher auch „Belmonte und Constanze“ genannt; sie fiel in die Zeit seiner Liebe zu Constanze Weber, seiner späteren Lebensgefährtin, die er sich gegen den anfänglichen strengen Widerspruch seines Vaters in treuem Festhalten zu erringen wußte.

Auf die „Entführung“ folgte die „Hochzeit des Figaro“, das Meisterstück eines musikalischen Lustspiels; aber mit dem, was Mozart in diesem Werk geschaffen hatte, war er dem herrschenden Musikgeschmack in Wien so weit vorausgeeilt, daß ihm seine Hörer nicht zu folgen vermochten. So kam es, daß nach dem großen Erfolge der vorangegangenen Oper diese neue Schöpfung in der Kaiserstadt völlig ungewürdigt blieb, während sie in Prag die glänzendsten Triumphe feierte. Aus Dankbarkeit schrieb Mozart seine nächste Oper, „Don Juan“, ausdrücklich für das empfänglichere Publikum der böhmischen Hauptstadt, dort vollendete er sie und leitete selbst die Einstudierung und Aufführung.

Der einunddreißigjährige Komponist stand jetzt auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Auch die besten seiner kleineren Werke, namentlich seine vorzüglichsten Symphonien, fallen in diese Zeit. Sein Ruhm war so hoch gestiegen, daß er auch von allen materiellen Sorgen hätte befreit sein müssen, wäre er ebenso praktisch wie schöpferisch gewesen, oder hätte er in einer andern Zeit gelebt und ein anderes dankbareres Vaterland gehabt. Theater, Konzertsäle, Privatsalons – alles war von seinen Werken erfüllt. Der „Don Juan“ hatte die ganze gebildete Welt erobert, nie hatte es in deutschen Landen ein musikalisches Talent gegeben, das so allgemeine Begeisterung erregte. Nur in Wien hatte Mozart auch mit „Don Juan“ seine Lage nicht verbessern können, die Oper hatte dort einen entschiedenen Mißerfolg. Ob die schlechte Rollenbesetzung im Verein mit der nachlässigen Inscenierung daran schuld war, ob die stets bereite Kabale seiner Gegner, ob vielleicht auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_655.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2023)