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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Königlich Preußischer Polizeibeamter“ sowie die Nummer der Medaille trägt. Auf Grund dieses Zeichens kann jeder Kriminalbeamte sofort Verhaftungen vornehmen und die Hilfe der uniformierten Polizeimacht beanspruchen.

Eine Bewaffnung der Kriminalbeamten, und zwar mit Revolvern, ist erst vor kurzer Zeit verfügt worden. Die Leute benutzen die Waffe jedoch nur in den alleräußersten Nothfällen – wie vor einigen Monaten, wo ein Kriminalbeamter einen Einbrecher, übrigens nicht einmal mit Absicht, erschoß; sonst vertrauen sie ihrer Körperkraft, die sie denn auch fast nie im Stiche läßt. Ebenso selten verwenden sie bei der Weiterbeförderung eines Verhafteten die Handschellen. Es sind dies zwei kleine, an einem kurzen aus feinen Darmsaiten gedrehten Strick befindliche Holzknebel, welche der Beamte in der linken Hand behält, nachdem er den Strick um das rechte Handgelenk des Verhafteten geschlungen hat; bei der geringsten fluchtähnlichen Bewegung des letzteren schneidet der Strick aufs empfindlichste in das Fleisch ein; zudem hat der Beamte stets die rechte Hand frei, um jeden Widerstand seines Gefangenen bewältigen zu können. –

Mit jedem neuen Tage treten an die Kriminalpolizei neue Aufgaben heran, und mit jedem Tage wächst ihre Arbeitslast, die bewunderungswürdig schnell und sicher erledigt wird; nimmt man doch an, daß gegenwärtig in Berlin 30000 Menschen auf verbrecherische Weise ihren Erwerb suchen!


Blätter und Blüthen.

Ein schwäbischer Stürmer und Dränger. Am 10. Oktober enthüllt man zu Aalen in Württemberg ein Denkmal des Dichters Schubart. Es sind an diesem Tage hundert Jahre, daß der reich begabte stürmische Mann nach einem unruhigen, wechselvollen Leben die Augen schloß. An Aalen knüpft sich eine Fülle von Erinnerungen an den Dichter. Es war im Mai 1775, als Schubart von Ulm aus, wo er seit Anfang des Jahres seine „Deutsche Chronik“ herausgab, zur Hochzeit seines Bruders, des Stadtschreibers von Aalen, in seine Vaterstadt zurückkehrte, in der er von 1740, von seinem zweiten Lebensjahre an, seine ganze Jugendzeit verbracht hatte. Bei der Hochzeit wurde dem Dichter ein kleiner Knabe, der Sohn eines Lebküchners, der spätere Prälat Pahl, vorgestellt. „Er legte,“ erzählt Pahl selbst, „seine Hand auf meinen Kopf und sprach mit seiner Stentorstimme: ‚Gottfried! Werde ein ganzer Kerl und mache deiner Vaterstadt Ehre, wie ich.‘ Diese Worte wirkten auf mich, als hätte sie ein Heiliger gesprochen; der Eindruck derselben wurde auch nicht geschwächt, als der Dichter unmittelbar darauf das Lessingsche Gedicht: ‚Gestern Brüder! könnt ihr’s glauben?‘ unter Musikbegleitung sang und gräßliche Grimassen dazu schnitt.“ – Daß er selbst noch vor kurzer Zeit seiner Vaterstadt wenig Ehre gemacht hatte, als er aus Ludwigsburg vertrieben in der Welt umherirrte, das hatte der leichtlebige geniale Dichter schon lange vergessen; durch seine „Chronik“ stand er jetzt auf der Höhe seines Ruhmes.

Noch ein Jahr vorher hatte Schubarts Vater, ein Original gleich diesem – „Ahnherr Felsenmasse – Sohn Figur“, sagt der Enkel Ludwig Schubart von beiden – von seinem Sohne geschrieben: „Sie verlangen Nachrichten von meinem umherirrenden Sohne? Ach, daß ich antworten könnte: er ist auf einer friedlichen Insel gelandet, und die Seinigen sind versammelt um ihn, bedeckt vom Fittig seines Geistes. Noch befindet er sich in Augsburg, giebt in den ersten Häusern Unterricht in der Musik, hält Vorlesungen über Klopstocks Messias und schreibt seine Chronik – die ihm aber viel Verdruß und Verfolgungen zuzieht. Wie konnte der brausende Wolf nur auf den Einfall gerathen, in Deutschland ein politisches Blatt zu schreiben? So was müssen bei uns ausgetrocknete Schulmeister thun, die vor dem – – eines Großen den Hut abnehmen und vor seinem Räuspern Fieberstöße bekommen – der Mann von Genie hüte sich vor der Krone, denn Blitze fahren heraus. Es giebt andere Tummelplätze genug, wo er seine Kraft zeigen und austoben lassen kann. Das habe ich meinem Sohne erst kürzlich wieder geschrieben und ihm die Besorgniß meines Vaterherzens nicht verhehlt, daß seine Zeitung das Unglück seines Lebens sein werde.“

Seine Zeitung wurde nur zu bald das Unglück seines Lebens. Sein Vater hat das zum Glück nicht mehr erlebt. Am 22. Januar 1777 wurde Schubart auf Veranlassung des Herzogs Karl von Württemberg aus Ulm weggelockt und in sein „Kerkergrab“ auf den Asperg gebracht. – Mehr als durch seine Gedichte und durch seine Chronik ist Schubart durch sein Unglück, durch die ausgesuchte Grausamkeit seiner zehnjährigen Gefangenschaft auf dem Hohenasperg bekannt und berühmt geworden. Was hatte er verschuldet, daß er so grausam bestraft wurde? Durch die neuesten Forschungen sind merkwürdigerweise die von Schubart selbst angeführten Gründe zum größten Theil als nicht stichhaltig erwiesen worden. Den angeblichen österreichischen Einflüssen kommt jedenfalls nicht die Bedeutung zu, welche Schubart selbst ihnen beizulegen für gut fand. Seinen schlimmsten Feind hat er offenbar, das tritt immer deutlicher hervor, in Württemberg selbst gehabt und das war – eine Frau, war Franziska von Hohenheim, die spätere Gemahlin Herzog Karls. In Schubarts Beziehungen zu ihr – er war ihr Lehrer im Klavierspiel in Ludwigsburg gewesen – und in seinen Aeußerungen über sie sind wohl die letzten Ursachen seines furchtbaren Geschickes zu suchen. Dem Dichter gegenüber hat sich Franziska jedenfalls nicht als der gute Engel erwiesen, für den sie von einer schmeichlerischen Zeit gehalten worden ist.

Es ist Schubarts Kerkermeistern gelungen, ihn windelweich und fromm zu machen; aber wenn es ihm auch noch auf dem Asperg vergönnt war, die tiefsten und schönsten Töne zu finden, so in den Liedern über sein Elend und in dem in der ganzen Welt gesungenen Kaplied, seine Geisteskraft war gebrochen und vernichtet. Seinem fürstlichen Peiniger mußte er Loblieder singen, und Jahr um Jahr that er es, ehe er zum Dank dafür die Freiheit fand. Erst als er auch zum Preise der herzoglichen Freundin in die Saiten griff, durfte er im Mai 1787 aus ihrem Mund das Wort der Erlösung hören. In welcher Stimmung mag Schubart auf das Geburtsfest der Gräfin Franziska das in die Sammlung seiner Gedichte nicht aufgenommene Lied gedichtet haben, das nach unserer Ansicht die Thüre seines Kerkers geöffnet hat:

„Franziska, nie hat meine Hand
Die Harf’ entlüpft der Kerkerwand,
Ein Lied von Dir zu singen;
Denn deutschen Barden ziemt es nicht,
Mit erdekriechendem Gedicht
Sich Gnade zu erringen.
Des Deutschen Lied ist frei und groß,
Es reißt sich von der Seele los
Wie von Gebirgen Felsen. –
Doch heut an Deines Festes Strahl
Soll mein Gefühl von Dir einmal
Im sanften Liede schmelzen.“

Schubart war frei, aber er hat immer das Gefühl gehabt, daß seine Kette nur „um einige Ringe verlängert“ worden sei. Ein halbes Jahr nach seiner Freilassung besuchte er die alten Stätten seiner Wirksamkeit, Geislingen, wo er sechs Jahre lang die immer unerträglicher werdende Last des Schulamts getragen hatte; Ulm, wo er seinen wahren Beruf gefunden, wo er am glücklichsten gewesen war, und die alte Heimath Aalen. Seine Reise gestaltete sich zu einem wahren Triumphzug. In Aalen, wo die alte Mutter den dem Grabe Entstiegenen ans Herz schloß, wurde er von dem biederen Magistrate, der sich wie so viele Edelgesinnte, hoch und nieder, um die Freilassung des unglücklichen Dichters vergeblich bemüht hatte, im Namen der Stadt bewirthet. Alle die Ehrenbezeigungen, mit denen er überschüttet wurde, sagten es ihm jetzt laut, daß er der Stolz der Stadt war. Dieser frohe Empfang war einer der wenigen Lichtpunkte, die ihm vor seinem Tode am 10. Oktober 1791 noch zutheil wurden.

Wollen wir nun noch verwundert fragen: warum in Aalen ein Denkmal und nicht in Obersontheim, wo Schubart geboren, oder in Stuttgart, wo er gestorben ist? Gewiß haben die Urenkel jener Männer, die in ihm mit solcher Freude den Ihrigen sahen, ein volles Recht, am hundertsten Gedenktage seines Todes dem noch immer unvergessenen Dichter ein Denkmal zu weihen. Mögen sie dabei von dem Geiste des tapferen deutschen Mannes einen Hauch verspüren! K. G.      




Kleiner Briefkasten.

B. M. in W. Sie haben recht, unsere Abbildung in Nr. 38 giebt Körners Grabstätte bei Wöbbelin nicht in ihrem heutigen Zustande wieder, sondern so, wie sie unmittelbar nach dem Tod des Dichters ausgesehen hat. Um jeden Irrthum auszuschließen, ist im größten Theil der Auflage die Unterschrift unter dem Bilde durch die Worte „im Jahre 1813“ erweitert.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_708.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2023)