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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

die Mitte zog sich ein breiter Riß. Der Justizrath hob es kopfschüttelnd auf, trug es sorgsam in eine Ecke und stellte es dort gegen die Wand. Dann nahm er Hut und Stock und verließ in tiefen Gedanken das Wirthshaus, um daheim unter der Obhut seiner sorgsamen Haushälterin die stille Häuslichkeit zu genießen, auf welche er als Nichtvereinsmensch ja ein gewisses Anrecht hatte.

Es begann nun eine schlimme Zeit für die Familien Schmitz und Vollmer. Die beiden einst so eng verbundenen Freunde hatten ein für alle Mal gründlich mit einander gebrochen, und es schien, als ob sie am liebsten den Bruch ohne weiteres auch auf ihre Familien ausdehnen wollten. Da sich dies nun doch aus mancherlei Rücksichten nicht so ganz durchführen ließ, so thaten sie wenigstens ihr Möglichstes, um ihren Frauen und erwachsenen Kindern den Verkehr nach Kräften zu erschweren und unschmackhaft zu machen.

Von der Verlobung zwischen Heinrich Vollmer und Gretchen Schmitz durfte überhaupt nicht mehr die Rede sein. Es war ein Glück, daß der junge Doktor wenigstens zur Zeit auf einer Vertretungsstelle abwesend war und daß so ein häßlicher Zusammenstoß zwischen Vater und Sohn vermieden wurde. Die beiden Hausväter waren aber um so hartherziger, je mehr sie sich bewußt waren, durch ihre neuen geistigen Errungenschaften den sittlichen Werth ihrer Familien zu heben. Der Rentner und frühere Apotheker, oder wie er sich jetzt nannte: „Geldzüchter, früher Niederlagerer“ Schmitz hatte vordem viel Freude an den Namen seiner drei Kinder gehabt: jetzt machte der fünfzehnjährige Stammhalter Philipp noch einmal eine verspätete Bekanntschaft mit der strafenden Hand des Vaters, weil er sich hartnäckig weigerte, auf seinen Schreibheften und Büchern das „Philipp“ in „Roßhart“ zu verwandeln. Die siebzehnjährige Klara weinte verstohlene Thränen über den Namen Perchta, mit welchem der sonst so liebevolle Vater sie erst zu einer Deutschen gemacht zu haben behauptete, während der Wildfang Gretchen bei allem Liebeskummer doch wieder lachen mußte, wenn der Vater sie einem anderen Edeling oder gar einem Freigrafen mit den Worten vorstellte: „Meine älteste Tochter Perle!“ Es gab nämlich drei Rangstufen unter den Walhallagenossen: Freigrafen, Edelinge und Freilinge. Hauptsächlich unterschieden sie sich dadurch, daß die Edelinge mehr bezahlten und vielfach auch mehr tranken als die Freilinge, während die Freigrafen am meisten tranken, aber am wenigsten bezahlten; sie waren die Macher des Ganzen, und wenigstens bei ihnen hatte der ganze Mummenschanz einen begreiflichen Grund. Der Apotheker war ohne weiteres als Edeling aufgenommen worden, mit dem besonderen Beinamen „Krautamund“. Der Name gefiel ihm recht wohl, und wenn er daheim nach dem Mahle allein in seiner Gelaghalle auf der Bärenhaut lag, d. h. wenn er nach Tisch im Eßzimmer sich aufs Sofa gestreckt hatte, so streichelte er mit der Hand wohl ein paar Mal zufrieden über seine Weste und sprach recht nachdrucksvoll vor sich hin: „Krautamund! Edeling Krautamund!“

Unterdeß aber saßen Frau und Töchter in der „Kemenate“ beieinander und erwogen, wie solcher Narretei wohl abzuhelfen sei. Freilich fehlte ihnen der bekannte Trost in allem Unglück nicht; denn Frau Vollmer und ihre Tochter Gertrud hatten fast noch mehr zu klagen, so schwer hatten sie unter der Friedensbegeisterung ihres Herrn zu leiden. Alle die schönen Stahlstiche von berühmten Siegern und Siegen unseres Volkes, mit denen sein patriotischer Sinn einst die Zimmer des Hauses geschmückt, mußten jetzt als „unsittlich“ und „verrohend“ auf den Speicher wandern. Eine köstliche Schachtel voll Bleisoldaten hatte Frau Vollmer eben angekauft, um sie ihrem achtjährigen Schwestersohne zum Geburtstag zu schenken, der Thierarzt aber warf dieses „barbarische Spielzeug“ in den Ofen, wo das geschmolzene Zinn den ganzen Rost verstopfte, und schickte dem Knaben dafür fünfzehn kleine Abhandlungen des Vorsitzenden des internationalen Friedensbundes, Mynheer Sebulon van der Putten. Daran sollte sich der Knabe allmählich zu einem ordentlichen Friedensfreunde heranlesen, sein Vater war jedoch barbarisch genug, die schönen Traktate als Fidibusstoff zu verwenden, und die Familienbeziehungen gestalteten sich seitdem bedeutend weniger friedlich. Mit dem Vornamen seiner Tochter war Herr Vollmer auch nicht mehr recht zufrieden, er fand ihn zu kriegerisch und versteifte sich darauf, seine Gertrud in eine Emma zu verwandeln. Das Schlimmste aber war, daß die allwöchentlichen Erörterungen der Friedensfreunde eben jetzt infolge einer Fehde zwischen dem Centralverein in Deventer und der Ortsgruppe in Honduras über Statutenänderung stets sehr erregt, folglich auch sehr lang und feucht ausfielen und dem vollblütigen Thierarzte jedesmal einen Kater bereiteten, in welchem er dann über die Maßen reizbar und unfriedlich war. (Schluß folgt.) 


Blätter und Blüthen.

Antonie Adamberger. In den Tagen, welche dem Andenken des Dichters Theodor Körner gewidmet waren, ist auch vielfach wieder der Name seiner Geliebten und Braut genannt worden, und auf diese liebenswürdige Künstlerin fällt aus neuen Veröffentlichungen ein neues Licht. Es gilt dies namentlich von der verdienstlichen Gedenkschrift „Theodor Körner. Am 23. September 1891“ (Leipzig, F. A. Brockhaus), welche Rudolf Brockhaus mit Benutzung seines reichen Autographenschatzes herausgegeben hat, und welche besonders auch über die Knaben- und Jünglingsjahre des Dichters manche neue Auskunft giebt. Nicht bloß in den mitgetheilten Autogrammen und Briefen spielt die Wiener Schauspielerin eine wichtige Rolle, sie ist auch die Heldin eines Anhangs, in welchem ihr Sohn Alfred Ritter von Arneth ihren Charakter und ihre Lebensschicksale schildert. Dieser Anhang bringt Auszüge aus Arneths nur als Manuskript gedruckter Schrift: „Aus meinem Leben“, welche hier mit seiner Bewilligung einem größeren Publikum mitgetheilt werden. Gleich aus dem ersten Autogramm Theodor Körners ersehen wir die innige Zuneigung, welche der Dichter für das anmuthige Mädchen empfand. Er schreibt am 20. März 1813 an seinen Vater, den er als seinen herzlichsten Vertrauten von Jugend auf zu betrachten gewöhnt ist: „Vater, treuer, treuer Freund, ich habe das Ziel gefunden, wo ich meinen Anker werfen soll, Vater, ich liebe. Sieh, es ist mein großer Stolz, daß ich mit dieser Freiheit der Empfindung Dir ins väterliche Auge blicken und sagen kann: ich liebe, liebe einen Engel! Nun, Du wirst sie sehen, und wenn Dich ihr Anblick nicht ebenso ergreift wie mich, wenn Dir aus ihrem dunklen Auge nicht ebenso die friedliche Seligkeit entgegenlacht wie mir, so ist es eine Lüge, was mein kindliches Herz von Uebereinstimmung und Harmonie unserer Seelen geträumt hat. Vater, die Gewißheit, die ich in mir trage, daß sie Dich ebenso begeistern wird wie mich, sei Dir ein Bürge meiner Liebe, meiner Wahl.“

Weiterhin bekennt er, daß er ohne sie wohl untergegangen wäre im Strudel neben ihm; er spricht von seinem warmen Blut, seiner wilden Phantasie, seinem ungestümen Gemüth – Antonie war sein Schutzengel. Immer von neuem betheuert er seine innige unendliche Liebe und schließt den im Stil der Schillerschen Jugenddichtungen mit Ueberschwänglichkeit abgefaßten Brief mit den Worten: „Vater, mir stehen die Thränen in den Augen; ich gäb’ eine Welt darum, wenn ich Dich jetzt in diesem heiligen Augenblick umarmen könnte. Wenn ich je das Glück verdiene, was mich an Tonis Herzen erwartet, hab’ ich’s nicht Dir, nicht Deiner Liebe zu danken und der guten, edeln Mutter? Ich werde zu weich. Leb’ wohl! Vater, Du hast einen glücklichen Sohn und bei Gott, er will es verdienen!“

Wehmuth erfüllt alle Leser dieser Zeilen bei dem Gedanken, daß noch im Laufe desselben Jahres eine feindliche Kugel alle diese Träume eines schönen Glückes vernichten sollte. Und welche traurige Zeit für die Braut, als der Geliebte ins Feld gezogen war! Darüber spricht sie sich selbst in einem Brief vom 18. Mai 1813 an „die liebe gütige Mutter“ aus: „Es stürmt gewaltig in meinem Herzen! Nie, ich bitte Sie, nie soll Theodor erfahren, was ich, wie ich leide; aber seiner Mutter, meiner Mutter darf ich ja wohl gestehen, daß ich in diesem Augenblicke sehr unglücklich bin. Sein Leben, seine Gesundheit sovielen Gefahren hingegeben, vielleicht hingeopfert dem Tyrannen! O Mutter, der Gedanke kostet mich schon soviele Thränen und wird mich noch ums Leben bringen.“ Sie arbeitet viel, sie sucht sich zu zerstreuen, doch in der Seele wird’s nicht ruhig. Wie treffend und geistreich sagt sie: „Ich habe soviele Leute um mich und so wenig Menschen.“

Wenn wir uns das Bild des schönen, geist- und seelenvollen Mädchens, welches wir in Nr. 38 unseren Lesern vorgelegt haben, ergänzen wollen, so kommen uns dabei die Mittheilungen Arneths zu Hilfe; wir erfahren, daß sie kohlschwarze Augen und dunkles Haar besessen hat, und daß ihre Stimme stark und klar war, erwähnt sie selbst in den wenigen Aufzeichnungen, die sie hinterlassen; hier erzählt sie auch, wie sie Körners Bekanntschaft machte. Einem alten Schauspieler Krüger war der junge Dichter, der seine ersten kleinen Bühnenstücke verfaßt hatte, von einem Berliner Freunde empfohlen worden. „Geh’ Du nach Wien,“ hatte der joviale Herr dem Dichter scherzend gesagt, „mein Freund Krüger hat eine bildschöne Tochter; für diese schreibst Du einige Rollen, verliebst Dich gelegentlich in das Mädchen, und Dein Glück ist gemacht.“

Der junge Musensohn stimmte in lustiger Weise ein und zog in den ersten Tagen des Januar 1812 nach Wien. Aber es sollte anders kommen, als der Berliner Freund gedacht. Kaiser Franz hatte früher die Aufführung der „Maria Stuart“ verboten auf den Wunsch seiner Gemahlin, welche die Szene zwischen den beiden Königinnen nicht auf der Bühne sehen wollte. Nun war aber die Kaiserin tot; bei einer Probe stritt sich Nelli Krüger mit dem jungen Dichter über die Frage, ob der Kaiser jetzt

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