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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 45.   1891.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf.   In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf.   In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Ein Götzenbild.

Roman von Marie Bernhard.

(9. Fortsetzung.)

„Gnädiges Fräulein,“ sagte unterdessen der verliebte Prinz, der noch immer das Seidengarn hielt und keine Ahnung hatte, daß soeben die Augen seiner nächsten Verwandtschaft voll Erstaunen und Unwillen auf ihm geruht hatten, „gnädiges Fräulein – hat Ihnen der Maler Andree hier draußen in Uhlenhorst schon seinen Besuch gemacht?“

„Nein, noch nicht!“ sagte Stella freundlich und sah dem Prinzen mit ihren leuchtenden Augen in das gespannt aufhorchende Gesicht. „Herr Andree weiß es übrigens, daß er nicht früher hier heraus kommen darf, als bis ich ihn rufe; es bestehen Gründe dafür.“

„Nun – – und Sie?“

„Ich? O – – ich werde ihn rufen, wenn ich es an der Zeit finde.“

Zwischen den geraden Brauen des Prinzen erschienen ein paar feine Fältchen. „Ich wollte, Sie thäten das lieber nicht!“ brachte er nach einer Pause hervor.

„Warum aber nicht, mein Prinz?“

„Mir zu Gefallen!“ Er machte seine schwermütigsten Augen und ließ die erhobenen Hände sinken. „Wenn ich Sie bitte – ich – ich weiß nicht, – aber mir ist dieser Herr nicht sympathisch.“

„Ach! Aber mir ist er sympathisch!“ rief sie wohlgemuth zurück und zog den rothen Seidenfaden straff – sie wollte doch sehen, ob sie die „kleine Durchlaucht“ schon richtig am Fädchen hatte. Da! Er hob gehorsam wieder die Hände auf. „Meine Eltern wollen sogar, ich soll mich von ihm malen lassen.“

„Ihre Eltern würden keine halbe Stunde auf ihrem Wunsch bestehen, sobald Sie selbst, meine Gnädige, sich weigerten.“

„Ganz recht, das würden meine Eltern nicht thun – sie sind sehr gut gegen mich. Aber warum sollte ich mich wohl weigern?“

„Sie können noch fragen?“

„Ja, ich kann noch fragen.“ Stella sah ihn so offen und harmlos wie ein Kind an.

Er biß sich in die Lippen.

„Ich möchte wissen, ob Sie wirklich so raffiniert grausam sind, um mich absichtlich zu quälen, oder ob Sie in der That so unbefangen sein können, nicht zu sehen – –“

„Ich sehe, daß Sie meine arme Seide mißhandeln und daß wir aufhören müssen, wenn Sie so fortfahren. Da! Wieder verwickelt! Mit Ihnen kann man keine Seide spinnen, Prinz!“

Er senkte den Kopf und murmelte: „Schon möglich!“

„Ich will versuchen, den Schaden zu verbessern.“ Damit stand Stella auf, näherte sich dem Prinzen und neigte sich über seine Hände, um den Knoten zu lösen.

Der junge Mann fühlte, wie ihm alles Blut ungestüm zum Herzen schoß. Er fühlte

Van Dyck als Lohengrin.
Nach einer Photographie von Benque u. Comp. in Paris.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 757. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_757.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2023)