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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Die drei Vereinsbrüder.

Eine Erzählung von Ernst Lenbach. 0 Illustriert von Fritz Bergen.

 (Schluß.)

In solcher Noth verfielen endlich die Frauen auf einen sonderbaren Ausweg, d. h. eigentlich ging der Gedanke von dem kleinen Gretchen aus, dessen natürliche Schlauheit durch den Liebeskummer noch wesentlich geschärft war. Sie beschlossen nämlich, ihrerseits auch einmal eine Sitzung abzuhalten, in welcher alle Betheiligten außer den beiden Hausherren „zur Lage Stellung nehmen“ sollten. Zu diesem Ende versammelte man sich an einem Winternachmittage, während Walhallabend und Friedensverein ihre Getreuen in außerordentlichen Sitzungen festhielten, bei dem Justizrath Königs zu einem großen Kaffee und Kriegsrath. Außer den fünf Damen und dem Justizrath waren noch zugegen der junge Doktor Vollmer, welcher sich vor wenigen Tagen wieder eingefunden hatte und zum Segen des Familienfriedens, durch die Anfänge seiner Praxis zumeist draußen in der Vorstadt festgehalten wurde, sowie zwei andere jüngere Herren, wohlbegüterte Bürger von durchaus gutem Ruf und Aussehen. Worauf sich ihre Theilnahme an diesem Familienrathe begründete, konnte jeder merken, der nur fünf Minuten lang beobachtete, welche Blicke zwischen ihnen und den beiden „noch zu habenden“ Haustöchtern hin- und herflogen. Gerade ihnen hatte der Justizrath die wichtigste Rolle in seinem Kriegsplane zugedacht. Es erwies sich nämlich alsbald, daß der alte Herr – sein Pathenkind Gretchen hatte ihn nicht umsonst instruiert – die eigentliche Feldherrnstelle einnahm, während die beiden älteren Damen kaum über wortreiche Klagen und vielfach umschriebene „Was nun?“ hinauskamen. Der Justizrath ließ sie sich eine Weile aussprechen, dann klappte er bedächtig ein paar Mal die silberne Dose auf und zu und sagte: „Meine Damen, was Sie da alles erzählen, mag ja betrübend im einzelnen Falle sein, im ganzen aber scheint es mir eher erfreulich. Denn es beweist, daß die lieben Steckenpferdchen schon sehr scharf geritten werden; und scharf, möglichst scharf muß so ein unartiger Gaul geritten werden, damit er um so eher lahm wird und wieder hübsch ins Ställchen kommt. Wir haben also nichts weiter zu thun, als diesen natürlichen Prozeß wohlwollend zu unterstützen und derweilen Geduld zu haben, Geduld allesammt – auch Du, lieber Heinrich! Also mein Plan wäre der –“ und nun entwickelte er seinen Plan, welchen er denn auch mit sieghafter Beredsamkeit gegen alle weiblichen Bedenken und ungeduldigen Einwürfe des jungen Arztes bei der dritten Kanne Kaffee zur einstimmigen Annahme brachte.

Die nächste Folge dieses Kriegsrathes war, daß die beiden oben genannten „jüngeren Herren“ noch am selbigen Tage der eine in den „Hainbund Walhalla“, der andere in den „Internationalen Friedensverein, Ortsgruppe XXIII“ eintraten. Natürlich wurden sie als wohlbegüterte und angesehene Leute mit offenen Armen empfangen; sie erwiesen sich aber auch alsbald als rührige Mitglieder von einem unermüdlichen Eifer für die verschiedenen „guten Sachen“. Nach wenigen Wochen zeigte es sich, daß man von ihrem Eintritte geradezu eine „neue Aera“ für die Walhallagenossen und die Friedensbrüder herschreiben konnte. Was man vordem in den beiden seltsamen Vereinen getrieben, erschien nur als der bläßliche Morgenschimmer des leuchtenden Tages, der nunmehr erst emporstieg. Mochte es früher einem spottsüchtigen Beobachter vorgekommen sein, als ob doch hier und da etwas Kinderei mit im Spiele sei, so hätte jetzt Ben Akiba selbst vergebens in seiner Erinnerung nach Vorbildern gesucht für alle die Seltsamkeiten, welche jeden Samstagabend in den beiden Vereinssälen unter einem Wirthshausdach aufstiegen, sich überschlugen und durcheinander purzelten wie bezechte Heinzelmännchen. Es war aber keineswegs nöthig, daß die beiden Urheber dieser „schärferen Tonart“ auch fernerhin dabei mitwirkten. Sie brauchten nur anzufangen. Nach ein paar kühnen Vorturnerleistungen konnten sie ruhig mit verschränkten Armen zusehen, wie die freigewordene Vereinsbegeisterung sich in selbsterfundenen Clownstückchen überbot. Dem Justizrath aber wurde über alles getreulich Bericht erstattet; die ganze Entwicklungsgeschichte der „Walhalla“ und des „Friedensvereins“ vom Eintritt seiner jungen Sendboten an lag offen vor ihm.

Er hatte freilich wohl gewußt, was er that, als er damals im Kriegsrathe dem versammelten Volk vor allem „Geduld“ anempfahl; denn eine ganze Weile lang machten die beiden alten Herren den Aufschwung ihrer Vereine heldenmütig mit und suchten natürlich auch ihre Familien mitzuziehen. Es zeigte sich aber allmählich, daß diese neue Vereinsbegeisterung der beiden ehemaligen Freunde drei Abstufungen durchlief wie die meisten elementaren und menschlichen Sturmerscheinungen. Anfangs machten sie alles voller Ehrlichkeit mit, waren ganz Feuer und Flamme und trachteten ehrgeizig danach, daß sie nicht von Jüngeren an Entschiedenheit und Eifer übertroffen würden. Dann kam eine Zeit, wo ihnen dies und jenes nachgerade doch zu bunt wurde, auch wohl in ihren Herzen eine unüberhörbare Stimme immer öfter und dringender von der guten alten Zeit zu raunen begann; sie bezwangen sich aber und stellten sich gerade in solchen Stunden am begeistertsten. Schließlich half auch der Trotz nicht mehr, sie sagten sich und den lieben Vereinsbrüdern gelegentlich über manche Einzelheit offen die Wahrheit, und da man ihnen nicht folgte, wurde es ihnen in jeder Hinsicht ungemüthlich in ihrer Vereinshaut; zu Hause aber ließen sie noch nichts davon merken und mühten sich ganz kläglich ab, nicht aus der Rolle zu fallen, mit der nun einmal ein gutes Stück von ihrer menschlichen Eitelkeit verwachsen war.

Darüber war der Winter vergangen, der Schnee war weggeschmolzen, die Amseln flöteten, im Garten des „Königsbundes“ draußen vor der Stadt blühten die Aprikosenbäume, ein Anblick wie im Paradiese. Dem Justizrath war es, als ob nun auch allgemach das letzte Eis von den Herzen seiner lieben alten Freunde schmelzen müßte. Zeit war es freilich; denn zumal mit der Ungeduld des jungen Doktors war kaum mehr fertig zu werden.

Da geschah es eines Samstagabends, daß der Justizrath sich vor einem Aprilregen in den Gasthof flüchtete – vielleicht war auch der Regen nur ein Vorwand. Während der Kellner ihm seinen Schoppen „Steeger“ brachte, hörte er über sich verworrenes Gehen und allerlei Lärmen. „Ja,“ meinte der Kellner lächelnd, „da oben geht’s heute wieder toll zu. Das ist der Friedensbund, die wollen ja heute wohl beschließen, daß sie sich mit den Vete–Veteranen zusammenthun.“

„Mit was für Herren?“ fragte der Justizrath.

„Na, mit den Leuten, die nur grünes Zeug und Obst essen,“ erklärte der Befragte.

„Ach so,“ lachte der Justizrath, „mit den Vegetarianern. So, so, mit denen wollen sich die da oben zusammenthun. O, das ist ja sehr gut!“

„Ja wohl,“ fuhr der Kellner fort, „und dann wollen sie auch darum einkommen, daß die Stadtsergeanten keine Säbel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_764.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)