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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 48.   1891.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf.   In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf.   In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Ein Götzenbild.

Roman von Marie Bernhard.

(12. Fortsetzung.)

So ganz war Andree mit seinen Gedanken bei seinem Bilde, daß er zusammenschrak, als plötzlich vor ihm vom Boden eine schwarze, in grellbunten Sommerstoff gekleidete Gestalt emporschnellte, die dort auf dem heißen, sonnendurchglühten Kiessand lang ausgestreckt gelegen hatte, augenscheinlich in keiner andern Absicht, als der, sich hier bei lebendigem Leibe von der sengenden Augustsonne braten zu lassen.

„Dudu!“ rief Andree und hielt den schwarzen Jungen, der ihm, glatt wie ein Aal, entschlüpfen wollte, an einem Jackenzipfel fest. Bei Dudus Anblick fiel ihm Gerda ein. Er hatte sie während seiner täglichen Besuche eigentlich nie zu Gesicht bekommen, und wenn es einmal geschah, so war sie stets mit einem kurzen Gruß verschwunden. Daß sie gesund war, wußte er durch Herrn Grimm, mit dem er eines Abends in einem Weinkeller zusammen getroffen war und gemütlich plaudernd ein paar Flaschen Rothwein ausgestochen hatte. Sie hatten wieder beide großes Wohlgefallen aneinander gefunden, und Andree hatte dem Freunde versprechen müssen, im Herbst und Winter, wenn erst das Pflegekind ganz in seinem Hause sei, ihn häufig zu besuchen, wenn er ihm auch nicht jedesmal eine Jagd auf Kaninchen bieten könne. Er freue sich unaussprechlich auf das Zusammenleben und könne mit Genugthuung berichten, daß es Gerda ebenso gehe, denn sie habe erklärt, noch nie sei ihr ein Sommer so endlos erschienen wie dieser, und sie werde bei ihm wie im Himmel sein.

Vor dem Hasen.
Nach dem Gemälde von J. Deiker.
Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.

Dieser etwas überschwengliche Ausspruch fiel Andree ein, als er, Dudus Jackenzipfel in der Hand, an Gerda erinnert wurde – er beschloß, sich einmal nach seiner jungen Freundin umzusehen, und fragte Dudu, ob er nicht wisse, wo sie sei.

Das Mohrchen zeigte seine wie aus leuchtendem Elfenbein geschnitzten Zähne und grinste den Fragenden verständnißlos an. Andree wiederholte seine Frage, nachdrücklich auf Englisch mit demselben Mißerfolg – und erst, als er langsam dreimal hintereinander „Missie Gerda“ sagte und den Knaben mit emporgezogenen Brauen fragend dazu ansah, dann die Achseln zuckte und rathlos rund umherschaute, dämmerte in dem schwarzen Gesicht ein Schatten von Verständniß auf. Der Junge gurgelte ein paar Kehllaute heraus, aus denen wieder Andree seinerseits nichts zu machen wußte, und glitt dann wie ein schillerndes Schlänglein seitwärts durch das Gebüsch, Andree durch einladendes Grinsen aufforderte, ihm zu folgen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_805.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2023)