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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Fröhliche Weihnacht!

Weihnacht! – wie viel umfaßt dies eine Wort an froher lieber Erinnerung, an schöner Gegenwart, wie legt sich von allem menschlich Echten ein guter Klang in den Wunsch, der zum Feste von Mund zu Mund tönt: „Fröhliche Weihnacht!“ –

Der Tag ist versunken in frühe Winterdämmerung, im ungewissen Zwielichtscheine geht es wie eine große Stille durch die Welt, als wollte die Liebe, ehe sie ihr heimliches Reich aufthut, sich erst noch eine kurze Weile auf das Beste besinnen, was sie aus vollem Herzensgrund zu bieten hat – und dann ist er da im Schimmer von tausend und aber tausend Kerzen, der alte traute Weihnachtsabend, die Stunde, wo deutsches Gemüth unter Tannengrün seinen unversieglichen Born erschließt. Da werden die Herzen weit, alte Erinnerungen und neue Freude stellen sich ein, und da kommen auch wir und möchten unseren Lesern nah und fern ein herzliches Wort geben zu dem, was sie bewegt, möchten ihnen allen den schlichten Wunsch zurufen: „Fröhliche Weihnacht!“

Allen gilt unser Wunsch. Im Geiste gehen wir wandern, durch rauschende Städte zum stillen Dorfe, durchs weite Vaterland hinaus zu den Deutschen in der Fremde, übers Weltmeer hinüber; unter dem Dach des Einsamen halten wir Rast und im geselligen Kreis der Familie. Und wo wir einen treffen, dem ein freundlich Geschick Glück, reichliche Mittel zum Helfen beschert hat, da möchten wir ihm die Noth der Zeit weisen, die uns mahnt, daß die rechte Weihnachtsfröhlichkeit auch fröhlich giebt, daß allenthalben zu wirken ist, damit die Sorge in so vielen Herzen leichter, Wohlfahrt und tüchtige Art des Wissens und Strebens im Volke gefördert werde. Und wo einer in rastloser Arbeit sich mühen muß, um sich eine Bahn im Leben zu brechen, da mag uns vergönnt sein, zu sprechen: „Halte Rast auf deinem Wege, Weihnachtsrast, und laß es dich nicht bekümmern, daß im schweren Erwerbe deine Hand hart geworden ist, daß du im Arbeitskleid den Weihnachtsabend feierst! Das Große, was Menschen besitzen, den inneren Werth – den kannst auch du dir geben, und dein Arbeitsgewand steht dir stolz an, wenn das Herz darunter für die Wahrheit, für das Rechte schlägt; darum halte ohne Verbitterung Rast, halte gute Weihnacht! Und kannst du den Deinen keine glänzenden Gaben spenden – gieb ihnen deine gerade Weise, die tüchtige Kraft des Schaffens, den Sinn für reine Sitte, ein Herz fürs Vaterland, und du hast ihnen dein Bestes geschenkt, hast glückliche Weihnacht!“

Weihnachten – es führt die Menschen aus dem Drang des Tages in den abgeschiedenen Frieden des Hauses. Der rasche Strom des Lebens, der sonst brausend die Straßen der Stadt durchfluthet, gleitet heute leiser dahin, und drinnen am eigenen Herd baut sich jene stille Welt auf, die Raum hat auch in der Enge der Städte, in winkliger Stube – die stille Welt der Liebe. Ihr alle, die ihr heute euch losgelöst habt aus der Hast der Arbeit, welche sonst im Gewirr der Straßen und in den lauten Stätten der Gewerbe, im geistigen Ringen der Zeit euch festhält, die ihr nun in der Stille daheim die feierliche Ruhe des Weihnachtsabends durch euer Herz ziehen lasset – seid gegrüßt mit dem Wunsche: „Fröhliche Weihnacht!“ Und wenn euch der Tannenbaum die schweifenden Gedanken entführt, hinaus in den schneeverhangenen Wald, durch die große schweigende Nacht, so duldet, daß wir leise mit euch wandern: wie funkeln die Sterne am Himmel, wie liegt ein heimlicher Zauber über der winterlichen Erde, wie traulich winkt der lichte Schein der Dörfer ins Dunkel hinaus, wie muthet es so behaglich an, indeß wir ihre engen Gassen durchschreiten, einen Blick durch die niedrigen Fenster zu werfen auf den äpfelbehangenen Baum über dem derben Tisch, in den gemüthlichen Kreis, der sich um den Ofen in der Ecke gesammelt hat! Ein stilles Weihnachtsbild ist’s und ein stiller Weihnachtswunsch gehört dazu: „Fröhliche Weihnacht!“

Weihnachten – Fest der deutschen Heimath! Für sie erscheinst du mit dem verlockendsten Reize, umkleidest dich geheimnißvoll mit alten vielhundertjährigen Gebräuchen und ewig neuer Herrlichkeit, mit Tannengrün und Eisgefunkel, und wie du beherrschend und längst erwartet aus der winterlichen Oede draußen eintrittst in die Häuser, da empfängt dich deutsches Lied, und aus Scherz und innigem Gedenken baut sich dein heimathliches Reich. Keiner mag sich deinem Walten entziehen – wem in der Flucht der Jahre das Haar grau geworden ist, der läßt wohl den Blick rückwärts schweifen zu all dem Schönen, was ihm dieser Tag in steter Wiederkehr gebracht hat, und begrüßt dich mit der heiteren Ruhe des Alters; wen du in blühender Kraft findest, dessen Auge wendest du hinaus in die Zukunft, wo er tausend Hoffnungen sich erfüllen sieht, und mit bewegtem Muthe, mit der Lust neuen Wagens giebt er sich deinem Zauber hin, der heute allenthalben herrscht, wo Deutsche wohnen, im Vaterlande und draußen in der Ferne. So viele sind hinausgezogen, um in der Fremde ihren Weg zu suchen. Sie alle werden heute zurückdenken an die Ihrigen daheim, an die Weihnachtstage im Vaterland, wo sie groß geworden sind und in deutscher Art des Geistes und Gemüthes befestigt wurden. Und zu der Wehmuth dieser Erinnerungen mag sich das stolze Gefühl gesellen, daß auch sie dem deutschen Namen Ehre gemacht, daß sie heimische Sitte bewahrt, gearbeitet und gerungen und ein eigenes Glück sich gegründet haben. Wo aber so in fernen Landen deutsches Haus und Herz dem Fest der Heimath eine Stätte aufbehalten hat, da finden auch wir uns ein und sagen mit den Feiernden: „Deutsche Weihnacht – fröhliche Weihnacht!“

Ja – fröhliche Weihnacht überall! Auch dem Einsamen wünschen wir sie, dem keine sorgliche Hand eine Gabe rüstet, dem heute nur das Eine durch den Sinn gehen will, daß es einst anders gewesen ist, ehe von den Lieben eins ums andere sich verlor in den Schatten des Todes, im weiten Meere des Lebens, ehe er selbst vom Boden der Kindheit losgerissen wurde, um nach wechselnden Stürmen endlich auf diesem verlassenen Plätzchen Wurzel zu fassen. Der du heute so als ein Einsamer durch die leeren Gassen schweifst, ausgeschlossen vom Glanze, welcher wie ein Strahl aus verlorenem Kinderparadies durch die Fenster rings zu dir niederfällt; der du allein im dunklen Zimmer auf den Jubel horchst, welcher die Kunde von glücklicherem Dasein zu dir trägt – laß das Haupt nicht schmerzlich sinken, auch für dich ist Weihnacht heute! Laß uns der Dichtung holde Gestalten an dir vorüberführen; Wesen und Werden deines Volkes laß dir zeigen und was menschlicher Geist an rüstigen Waffen sich schmiedet, um die Natur in seinen Dienst zu zwingen – siehe, so wird’s lebendig um dich her und du fühlst dein eigenes Können, fühlst dein Leben unlösbar verknüpft mit dem Ganzen, darin du stehst. Darum lasse das Haupt nicht sinken, sondern schau um dich, Liebe zu erweisen, die dir selbst nicht wurde! Und wie du jetzt mit hellerem Auge aufblickst, der Zukunft entgegen, da grüßen wir dich mit dem Wort: „Fröhliche Weihnacht überall!“

Und frohe Weihnacht walte vor allem in der schönsten Heimstätte des Festes, im trauten Kreis der Familie! Ihr Alten, die ihr, zielbewußt und fest im Handeln, eure Kinder zu frischem, echtem Wesen geleitet habt und heute des gethanen Werks euch doppelt freut, ihr Jungen, die ihr – die Stütze kommender Zeit – zum Feste die rege Kraft so gerne ganz in den Dienst der Liebe gestellt habt – seid uns gegrüßt! Wir stimmen ein in den Wunsch, der im stillen Zusammensein euch auf den Lippen schwebt: es klinge hell durchs Land in alle Ferne hin:
„Fröhliche Weihnacht!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_838.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)