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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

körperliche, ja in sinngemäßer Anwendung auch für die geistige Thätigkeit. Davon verschieden, aber ebenfalls nothwendig, sind die längeren Pausen zwischen den Arbeitsstunden. Sie sind dazu da, um die schließlich doch eintretende Ermüdung nicht bis zur Erschöpfung sich steigern zu lassen.

So viel von der Arbeit; und nun noch ein kurzes Wort über die Familiengründung! In letzterer Beziehung ist statistisch nachgewiesen, daß das Leben im Familienverbande die Gesundheit besser wahrt als das Junggesellen- oder Altjungfernthum, daß also das Eingehen einer Ehe eine lebenverlängernde That ist. –

Stand das Mannesalter hauptsächlich unter dem Zeichen der Arbeit, so steht das Greisenalter infolge des naturgemäßen Nachlasses der Kräfte mehr unter dem Zeichen der Ruhe. Doch ist zu betonen, daß selbst für dieses Alter noch, wenn auch mit Einschränkung, das Wort gilt: „Rast ich, so rost ich!“ Nur muß die Arbeit natürlich der verringerten Leistungsfähigkeit entsprechend von leichterer Art und kürzerer Dauer, die Erholungsfrist reichlicher bemessen sein. Die Ernährung muß dem schwächeren Zustande der Verdauungsorgane angepaßt werden, indem sie sich vorwiegend auf solche Speisen gründet, welche leichte Verdaulichkeit mit möglichst hohem Nährwerthe verbinden. Der alte Kaiser Wilhelm führte nach diesen beiden Richtungen hin ein wahres hygieinisches Musterleben: er arbeitete bekanntlich regelmäßig bis ins höchste Alter und nährte sich äußerst einfach, in der Hauptsache mit konzentrierter flüssiger Speise. Kann nun freilich auch nicht jedermann sich eine „Kaisersuppe“ gestatten, so kann doch jeder seinen Mitteln entsprechend nach den gleichen Grundsätzen verfahren. Ganz besonders gewarnt werden muß vor den im höheren Alter irrthümlich für zuträglich geltenden alkoholhaltigen Stärkungsmitteln; ihr Genuß bewirkt zwar im günstigen Falle eine künstliche Anregung der Körperkräfte, schlägt in seinen Folgen aber leicht in das Gegentheil um und führt oft zur Zerreißung der im Alter höchst brüchigen Gehirngefäße, also zu Schlaganfällen. Endlich muß noch der geringeren Widerstandsfähigkeit des Körpers gegenüber schädlichen atmosphärischen Einflüssen Rechnung getragen werden; die Kleidung sowohl wie die nächtliche Bedeckung sollte der geringeren Wärmeerzeugung wegen eine dichtere und sorgfältigere sein, besonders im Winter, während dessen für alte Leute auch eine etwas höhere Zimmertemperatur am Platze ist. – Die letzterwähnte Erfahrung leitet uns noch zur Betrachtung einiger höchst wichtiger äußerer Lebensbedingungen hinüber.

Von hoher Bedeutung ist vor allem die Beschaffenheit unserer Wohnung. Daß dieselbe auf trockenem Grunde erbaut sein muß, daß auch die Mauern nicht feucht sein dürfen, daß Licht und Luft möglichst freien Zugang haben sollen u. s. w., das sind ziemlich allgemein bekannte, wenn auch nicht allgemein befolgte Lehren der Gesundheitspflege. Ebenso bekannt ist, daß nicht bloß grober Staub, schädliche Ausdünstungen von Gruben und Oefen, sondern auch oft jene kleinsten Lebewesen, „Bakterien“ genannt, die Gesundheit der Bewohner gefährden. Daß die Bakterien aber jedesmal, wenn sie, wie das meist der Fall ist, infolge von Krankheiten in die Wohnränme eingedrungen sind, ernste und sorgfältige Vernichtungsmaßregeln erheischen, damit sie sich nicht einnisten und zu fortdauernden Gefahren für die Gesunden werden, ist noch zu wenig in das allgemeine Bewußtsein eingedrungen, und der Kampf gegen diese unsichtbaren Feinde wird deshalb noch viel zu lässig geführt.

Doch nicht allein die Wohnung selbst, sondern auch deren nähere und weitere Umgebung spielt im Haushalt der Gesundheit eine wesentliche Rolle. Um nur einzelnes zu erwähnen, so haben oft genug schon in den Straßen liegende undichte Gasröhren die Bewohner benachbarter Gebäude gefährdet, desgleichen gesprungene Kanalisationsröhren oder von fern her in das Grundwasser eingedrungene Verunreinigungen. Endlich erfordert das Klima unseres Wohnortes oft besondere Veranstaltungen, um schädliche Einflüsse auf unsere Gesundheit zu beseitigen, doch würde es zu weit führen, wollten wir die daraus erwachsenden Aufgaben alle einzeln der Besprechuug unterziehen. Haben doch unsere Betrachtungen hier nur den Zweck, die Aufmerksamkeit der Leser von einigen Hauptgesichtspunkten aus darauf zu lenken, daß Gesundheit und langes Leben zwar einestheils ein Geschenk der Götter sind, anderntheils aber auch in sehr hohem Maße ein Ergebniß unseres Thuns und Lassens. Die Thatkraft denkender Menschen in diesem Sinne anzuregen, war die Absicht dieser hygieinischen Skizze: unser Neujahrswunsch soll zugleich eine Mahnung sein, mit selbstthätiger Sorge einzutreten für Gesundheit und ein langes Leben!


Der Tod der Kaiserin Agrippina.

Von Ernst Eckstein.

Die blutige Nachtgestalt, die uns von den Geschichtschreibern Roms unter dem Namen des Nero gezeichnet wird, empfängt ihren grausenhaftesten Schatten durch das Verbrechen des Muttermords. Diese Unthat allein – vorausgesetzt, daß sie wirklich mit jener vollkommenen Klarheit des Wollens verübt worden wäre, die den alten Geschichtschreibern für unzweifelhaft gilt, – würde ausreichen, um den Sohn der Ermordeten unter sämmtlichen Vertretern cäsarischer Herzlosigkeit und Verworfenheit auf die niedrigste Stufe zu stellen – tiefer noch als den abscheulichen Wüstling Tiberius, tiefer als den größenwahn-strotzenden Buben Caligula, tiefer sogar als den erbärmlichen, grausamen, jeder Würde entrathenden Domitian. „Die andern Verbrechen,“ sagt ein griechischer Philosoph, „gehen lediglich wider das Recht und die Gebote der Gottheit: der Muttermord aber geht noch außerdem wider alle Natur.“

Hätten die alten Geschichtschreiber mit ihrer schwarz in schwarz gehaltenen Schilderung also die Wahrheit getroffen, so wäre es völlig undenkbar, für die Persönlichkeit Neros auch nur die leiseste Regung einer halb widerstrebenden Sympathie zu erwecken, wie man sie doch beispielsweise einem Napoleon, trotz der empörenden Rechtsverletzungen, die sein Konto belasten, trotz Palms und des Herzogs von Enghien, nicht vorenthält.

Bei genauerer Prüfung jedoch stellt sich heraus, daß die Ermordung der Agrippina, soweit der Wille des Kaisers dabei in Betracht kommt, halb schon ein Akt der Verzweiflung war.

Natürlich spricht das den Muttermörder nicht frei: aber es wirkt doch immerhin wesentlich auf die Abschätzung seiner Schuld, auf die Beurtheilung des größeren oder geringeren Grades sittlicher Niedertracht und Verkommenheit, der ihm eigen war.

Wenn uns die drei Geschichtschreiber, die vornehmlich als Quellen für Neros Regierungszeit gelten – Sueton, Dio Cassius und Tacitus – beinahe gar nicht auf diese „mildernden Umstände“ hinweisen, so erklärt sich das aus der einfachen Thatsache, daß ein möglichst düster gefärbtes Bild Neros ihnen aus Gründen der Politik und der republikanischen Propaganda äußerst willkommen war. Ohne bewußt zu fälschen, waren sie doch geneigt, den Gerüchten ihr Ohr zu leihen, welche den „schlechten“ Imperatoren ungünstig waren. Fast durch die ganze Litteratur der ersten zwei Jahrhunderte geht ein republikanischer oder besser gesagt: senatorischer Zug. Der Hochadel, der bis zur Begründung der Monarchie mit schier unumschränkter Machtvollkommenheit das Schicksal des Reiches gelenkt hatte, konnte und wollte es nicht verschmerzen, daß da nun im Palatium ein Fürst saß, der unter scheinbarer Aufrechterhaltung der republikanischen Einrichtungen die schroffste Alleinherrschaft ausübte. Nero vollends, der mit dem „dritten Stand“ unverstellt liebäugelte; der die Verachtung der römischen Großen soweit trieb, daß er einst bei dem üblichen Frühempfang in einer geblümten Tunika, d. h. im Schlafrock, erschien, anstatt sich die feierliche Toga über die Schulter zu werfen; Nero, der einem Mitglied der hohen Körperschaft das Wort ins Gesicht warf: „Ich hasse Dich, weil Du Senator bist!“ –: Nero war für den Hochadel ganz natürlich der Inbegriff alles Verabscheuenswerthen. In diesem Geiste aber urtheilen, schreiben und schildern fast sämmtliche Schriftsteller der früheren Kaiserzeit. Nur solche Imperatoren werden als „gute“ bezeichnet, die nachgiebig und rücksichtsvoll gegen den Adel sind – ganz jenem altpreußischen Junkerverslein entsprechend, das mit den Worten schließt:

„Und der König absolut,
Wenn er unsern Willen thut.“


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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_012.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)