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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Der „Finanzer“.




Wo der Inn mit hellen Fluthen
Lustig aus Gebirgesenge
Niederströmt in ebene Gaue
Und in letztem Jugendträumen

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Rauscht um ein behaglich Städtlein,

Dort zu Rosenheim, welch Drängen,
Welch ein Wettkampf hoher Häupter!
Auch Gewaltige heutzutage
Leiden unter Konkurrenten,

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Und so streckt sein majestätisch

Silbern Haupt der Wendelstein heut
Unzufrieden übers Städtchen:
Ob auch festlich drin die Menge
Auf und niederwogt, kein Auge

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Schickt wie sonst ihm frohe Blicke.

Eines andern Majestät und
Silberschimmernd Haupt bannt jeden:
Kaiser Wilhelm ist gekommen,
Er, der Greise, Nimmermüde,

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Und des Reiches Paladine,

Seiner Siege Schwert und Feder,
Moltke und der große Kanzler.
Und wen rings in Hof und Dörfern
Diese Kunde traf, der eilte,

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Sich die Helden zu beschauen,

Die des Reiches Ring geschmiedet.
Manch ein „Dirndel“ schreitet kräftig
Durch die kranzgeschmückten Gassen,
Keines aber stolzer, schlanker

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Als das Walderinger Veverl –

Frischer Mund und frisches Auge,
Nur auf ihrer braunen Stirne
Schattet’s wie von Unmuthswolken.
Kaiser sah sie wohl und Kanzler,

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Hat auch wacker „Hoch!“ geschrieen,

Bloß den Moltke wies ihr keiner.
Und doch hat sie grad „dös Miannl“
Schauen wollen, denn die Brüder
Sepp und Hansei haben tapfer

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Mitgekämpft im großen Kriege,

Haben, heimgekehrt, gar manchmal
Ihr erzählt vom alten Feldherrn
Und der Sepp schloß stets bedeutsam:
„Muasßt’n schau’n, dös is a Mannl!“

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Jetzt blieb doch, was sie ersehnte,

Unerfüllt und ach! sie kann nicht
Ungestörte Umschau halten,
Denn sie muß ein blondes Bürschchen
Hüten, ihren jüngsten Bruder.

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Ja, wenn’s möglich wär’, den Franzei

Bei ’nem Menschen in der Nähe
Auf ein Stündchen „einzustellen“!
Wart – da drüben bei dem Hause
Drin der Kaiser abgestiegen,

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Steht ein würdevoller Alter,

„So a freundli’s Mannsbild“, denkt sie;
Der hat g’wiß vom Staat an Amterl,
Denn er hat a saubers G’wandel,
Wie an Uniform, der is wohl

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Eisenbahner, is am Ende

So ein mächtiger Finanzer.
Raschen Schrittes geht das Veverl
Zu ihm hin und sagt: „Finanzer,
Sei so guat und b’halt dös Büaberl

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Auf a kloane Stund’n bei Dir.

Möcht’ ma nur den Moltke anschau’n.“
Sprichts, drückt dankbar im Enteilen
Dem Finanzer noch ein Geldstück
In die Hand und ist entschwunden.

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Franzei sieht sich den Finanzer,

Der Finanzer sich den Franz an;
„Is mir völli fremd“ – denkt Franzei,
„Was beginn’ ich?“ – denkt sein Hüter.
Doch wo Alte klug erwägen,

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Fährt dazwischen laute Jugend:

Franzei bricht in dicke Thränen,
Bricht in jene wirkungsvollen
Laute aus, wie die Natur sie
Für die Durchsetzung und Wahrung

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Von berechtigten Int’ressen

Wilden lieh und braven Kindern.
Nun ist plötzlich dem Finanzer
Klar geworden, was beginnen.
An das Ohr des Tönereichen

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Hält die Uhr er voll Erfahrung

Und macht kunstvoll: „Ticktack, Ticktack!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_056.jpg&oldid=- (Version vom 4.3.2024)