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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Vilmas schlanke Figur in einem einfachen aber tadellos sitzenden weißen Wollkleid sich sehr vortheilhaft ausnahm. Dieses wie die gesammte Toilette von Mutter und Schwestern war das Werk ihrer geschickten und fleißigen Hände, allein sie verbarg das gleich einer Schande, und niemand kam in das Hinterstübchen, wo sie sich an der Nähmaschine abmühte, während das Mädchen vorn den Besuchenden „Fräulein ausgegangen“ meldete.

Quis, qui – quid, quod – aliquis, aliqua, aliquid –“ murmelte jetzt Paula vernehmlich vor sich hin.

Vilma brach in helles Lachen aus. „Ich würde an Deiner Stelle fortlernen, auch wenn die Leute da sind!“

Paula sah auf. „Das würde ich am allerliebsten thun, statt die Zeit damit zu verlieren, die nichtigen heuchlerischen Reden dieser Menschen anzuhören.“

„Oho, nur nicht so von oben herunter! Du bist doch recht froh über die gesellige Stellung, die wir uns und Dir bei diesen Menschen erhalten.“

„Unsere Stellung!“ Paula lachte bitter auf. „Ich bitte Dich, Vilma, nenne mir das Wort nicht! Mitleidige Duldung, das trifft eher zu ... Ich sehe ja ein, daß es so weiter gehen muß, um Dir vielleicht eine wirkliche ‚Stellung‘ zu erringen. Was die meinige betrifft, so will ich sie mir künftig selbst verdanken, will selbständig mein Brot erwerben und nur diejenigen ‚Freunde‘ nennen, welche diesen Namen verdienen.“

Vilma beugte sich über eine blühende Jardinière, die Francis Weston zu Weihnachten geschickt hatte, und sog den Duft ein. „Sehr edel!“ sagte sie in demselben ironischen Ton wie vorher. „Nun, da kannst Du gleich heute abend eine vorläufige Auswahl treffen. Es kommen ja verschiedene von Deiner Art; Mama hat Bedürfniß nach Erweiterung ihres Kreises – wir gehen jetzt zu Litteratur und Kunst über.“

Paula unterdrückte einen Seufzer – sie kannte das regelmäßig wiederkehrende Symptom „Neue Menschen!“ und sie wußte so genau, was stets hinterher folgte – aber ihre Miene hellte sich doch etwas auf, als Vilma jetzt die Erwarteten herzählte: Thormann und Fräulein Wiesner, das Ehepaar Walter, die man sämmtlich noch einmal bestimmt auf heute eingeladen hatte, um ihres Erscheinens sicher zu sein.

„Und Doktor Seiler,“ fügte sie noch hinzu, „Du weißt doch, der gefeierte Kritiker vom Tageblatt, welcher neulich eine so reizende Schilderung über den Christengel in seinem Bazarbericht brachte.“

„Hat er denn hier Besuch gemacht?“

„Natürlich!“

„Ohne daß Ihr ihn aufgefordert habt? ... O Vilma, Vilma!“ brach sie aus, als jene einen Augenblick zögernd schwieg, „hast Du denn gar kein Gefühl für das Entwürdigende eines solchen Lebens? Meinst Du, die andern sehen dieses ewige Haschen und Angeln nicht und verachten es nicht nach Gebühr? Ich möchte vor Scham in die Erde sinken, wenn ich daran denke!“

„Du bist eine lächerliche Pedantin!“ rief Vilma zornig. „Was verstehst Du vom geselligen Verkehr –“

„Streitet Ihr schon wieder?“ tönte jetzt von der Thür her die Stimme der Mutter, die noch athemlos von der eilig vollendeten Toilette hereinkam. Neben ihren hochgewachsenen Töchtern sah sie auffallend klein und dick aus; ihre starken Formen waren in ein schwarzes Seidenkleid gepreßt, auf dem dünngewordenen Scheitel saß ein kleines Häubchen. Die Gesichtszüge mochten einst hübsch gewesen sein, jetzt waren sie roth und aufgequollen – die ganze Persönlichkeit machte den unerfreulichen Eindruck des Alterns ohne Würde.

„Nein, es ist doch schrecklich,“ fuhr sie jammernd fort, „daß Ihr auch nie Frieden halten könnt, Du hast sie gewiß wieder gereizt, Paula, mit Deinen überspannten Redensarten, Du fängst ja allemal an. Ich kann wohl sagen, Du bist der Kummer meines Lebens –“

Paula senkte die Augen und hörte ohne ein Wort der Erwiderung den weiterrauschenden Redestrom an. Plötzlich ging draußen die Klingel, die Vorwürfe verstummten jäh und lächelnde Freundlichkeit legte sich wie Oel auf die Wogen der mütterlichen Aufregung.

(Fortsetzung folgt.)

Musik und Elektricität.

Von Georg Buß.

In einer Zeit, in welcher die Elektricität von Jahr zu Jahr neue Verwendung für die verschiedensten Zwecke findet, in welcher der Phonograph die menschliche Stimme wiedergiebt und das Telephon dieselbe auf einige hundert Kilometer fortpflanzt, erscheint die Anwendung elektrischer Kraft für die Zwecke der Tonkunst sehr natürlich. Das ist nicht etwa so zu verstehen, daß die Elektricität einfach als Mittel benutzt wird, um bei Tastaturinstrumenten an Stelle der menschlichen Hand die Tasten niederzudrücken – eine solche Anwendung, welche thatsächlich schon längst geschehen ist, ergiebt nichts weiter wie einen Leierkasten, der sein Stück abspielt, ohne daß die menschliche Empfindung, die nur in den Anschlag mittels der Hand hineinzuströmen vermag, zu ihrem Rechte gelangt. Nein, es handelt sich um die Erzeugung der Töne durch unmittelbare Einwirkung der Elektricität auf die Saiten, wobei für die Hand der Druck auf die Tasten gewahrt und es mithin der menschlichen Empfindung unbenommen bleibt, sich im Spiel in reichstem Maße zu äußern.

Eine solche Erfindung liegt vor in dem „elektrophonischen Klavier“ des Dr. Richard Eisenmann, eines Berliner Rechtsanwalts. Dem Erfinder ist schon vor längerer Zeit ein Patent ertheilt worden auf „eine elektromagnetische Mechanik an Flügeln und Pianinos zur Verlängerung einzelner Töne, sowie zur Nachahmung anderer Instrumente“. Auf einem von Hagspiel in Dresden gebauten Flügel angebracht, wurde diese Erfindung auf der elektrotechnischen Ausstellung zu Frankfurt a. M. vorgeführt, und der Zudrang des Publikums zu dem Instrument bewies am besten, welches Aufsehen diese neue Verwendung der Elektricität in den weitesten Kreisen erregt.

Der Gedanke, ein Tastaturinstrument zu erfinden, an welchem man jeden Ton nach Belieben fortdauern und durch mehr oder weniger Druck auf die Tasten anschwellen bezw. abnehmen lassen kann, ist allerdings nicht mehr neu. Unter den älteren Versuchen ist besonders jener bemerkenswerth, welchen Dr. Florens Friedrich Chladni, der Begründer der Akustik als Wissenschaft und seltsamerweise von Beruf ebenfalls Jurist, im Jahre 1800, allerdings auf völlig anderem Wege und ohne Elektricität, angestellt hat und welcher zum Bau seines Klavicylinders führte – eines auf Reibung beruhenden Instruments, dessen Hauptbestandtheile ein wagrecht gelagerter Glas- oder Zinkcylinder, abgestimmte Metallstreifen und eine Tastatur bildeten.

Mit diesem Klavicylinder konnte bereits der Ton vom pianissimo zum fortissimo gesteigert und in beliebiger Stärke festgehalten werden, wenn die Metallstreifen mittels der Tasten gegen den in schnelle Drehung versetzten Glas- oder Zinkcylinder gepreßt wurden, so daß Reibung entstand.

Chladni mag zu dieser Erfindung durch das von Benjamin Franklin erfundene Glasharmonium veranlaßt worden sein, das im wesentlichen aus einem drehbaren Kegel bestand, der aus ineinandergeschobenen und abgestimmten Gläsern zusammengesetzt war und auf welchem in der Weise gespielt wurde, daß während seiner Drehung mit angefeuchteten Fingern fester oder loser gegen die Oberfläche der einzelnen Gläser gedrückt und jedes derselben zum Tönen gebracht wurde.

Auch bei diesem wundervoll klingenden Reibungsinstrument, für welches sich die Gesellschaft zu Ende des vorigen Jahrhunderts lebhaft begeisterte und welchem insbesondere Jean Paul die größte Verehrung entgegentrug, kann der Ton zum Anschwellen gebracht und beliebig lange gehalten werden. Das Klavier dagegen, das Pianoforte und der Flügel, wie überhaupt alle Instrumente, auf welchen der Klang nicht durch Reibung, sondern durch Anschlag hervorgebracht wird, besitzen jene Eigenschaft nicht, so daß man Bindungen, synkopirte Noten und lange Aushaltungen, bei welchen die Töne nach dem ersten Angeben an Stärke zunehmen oder mit gleicher Stärke fortdauern sollen, nicht auf denselben vortragen kann. Erinnert sei nur an die Schwierigkeit, welche es kostet, im Schlußsatze von Robert Schumanns „Papillons“ (op. 2) das tiefe d sechsundzwanzig Takte hindurch zu halten.

Mit der Eisenmannschen Erfindung ist jene schwierige Aufgabe gelöst.

In seiner Lehre von den Tonempfindungen beschrelbt Helmholtz das berühmte Experiment, die Vokale der menschlichen Stimme durch eine Anzahl von Stimmgabeln nachzuahmen, welche durch Elektromagnete in Schwingungen gesetzt werden. Dadurch kam Dr. Eisenmann auf den Gedanken, Elektromagnete mit intermittierendem Strom als Erzeuger der Schwingungen für die Saiten des Flügels und Klaviers zu verwenden, um diese Instrumente gesangreicher zu machen und das Anschwellen und Halten der Töne zu ermöglichen. Demgemäß ist über jeder Saite ein kleiner Hufeisenelektromagnet in geringer Entfernung angeordnet. Alle diese Elektromagnete sind befestigt an einer quer über die Saiten laufenden Leiste. Das eine Drahtende aller Elektromagnete ist an eine gemeinsame Metallschiene gelegt, welche durch den Druck auf ein Pedal mit dem einen Pol einer galvanischen Batterie verbunden wird, deren anderer Pol mit Stromunterbrechern in Verbindung steht. Das zweite

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_092.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)