Verschiedene: Die Gartenlaube (1892) | |
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Blätter und Blüthen.
Für unsere Landsleute in Rußland. Der herbe Nothstand, unter dem seit der Mißernte des letzten Jahres der Osten des europäischen Rußlands schmachtet, hat auch unsere deutschen Landsleute in den Wolgakolonien im Gouvernement Saratow schwer betroffen. Denn seit sieben Jahren haben die Ernten dort theils ein kümmerliches, theils gar kein Erträgniß geliefert. Schon im vorigen Winter zogen ganze Scharen von Bettlern, zerrissen und zerlumpt, mit erdfahlen Gesichtern von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus, um ein Stück Brot gegen ihren nagenden Hunger zu finden. Viele Familien hatten wochenlang kein Brot und nährten sich von Milch und Steppenthee.
Diese Verhältnisse sind nun unter der Wirkung des fortdauernden Mißwachses allenthalben noch viel schlimmer geworden, und die deutschen Gemeinden sind sammt ihren russischen Nachbarn an der äußersten Grenze der Noth angelangt. Daß der Viehstand fast vollständig zusammen geschmolzen ist, versteht sich von selbst, schlimmer ist, daß es am Allernöthigsten, an Brot und Kleidung fehlt, und mit Entsetzen vernimmt man, daß sogar Fälle von förmlichem Hungertode vorgekommen sind. Die „kombinierte Synode der Berg- und Wiesenseite der Wolga“ hat darum einen warmen Aufruf zur Unterstützung ihrer Gemeindeglieder erlassen, und gerne geben wir ihrer Bitte um milde Gaben auch in der „Gartenlaube“ Verbreitung. Unsere Leser werden für das furchtbare Elend, das über Hunderttausende ihrer deutschen Brüder im fernen Osten hereingebrochen ist, gewiß ein offenes Herz und eine offene Hand haben. Beiträge bitten wir an die Adresse des Pastors G. A. Thomson in Saratow, Rußland, zu richten.
Einjährig-Freiwillige mit Elementar- und Fachschulbildung. Goldene Schätze liegen oft unbeachtet im Schreine, weil der Besitzer ihren Werth nicht kennt oder davon nicht zu rechter Zeit Gebrauch zu machen versteht. Aehnlich ist es mit der Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligendienst. Als Vorbedingung hierzu gilt nicht allein der Nachweis über das erfolgreiche Insichaufnehmen einer mehr oder weniger begrenzten Wissensmenge, sondern auch, was vielfach nicht genügend bekannt ist, die Bethätigung hervorragenden Könnens auf künstlerischem, technischem oder sonst einem gemeinnützigen Gebiete; Kenntniß fremder Sprachen ist dabei nicht verlangt, jedoch eine gute Elementarschulbildung – ein Erforderniß, welches nicht nur dem Künstler von Beruf, sondern auch dem begabten Techniker, dem Gewerbetreibenden, der eine Fachschule mit Erfolg besucht hat, in vielen Fällen zur Seite steht.
Nach den Ermittlungen des Oberlehrers Perthes in Bielefeld wurden auf Grund des hier in Betracht kommenden sogenannten „Künstlerparagraphen“ (§ 89,6 der deutschen Wehrordnung) in fünf Jahren zum Einjährig-Freiwilligendienst zugelassen aus der Provinz Hessen-Nasau 48 Personen, aus den Provinzen Hannover und Brandenburg 22 und 20, aus dem Regierungsbezirk Köln 12 Personen.
Für den tüchtigen Fachmann, der mit Recht heutzutage mehr und mehr dem mit der Fülle des Wissens ausgerüsteten „Studierten“ an die Seite gestellt wird, liegt hier ein erstrebenswerthes Ziel vor – werth wenigstens eines ernstlichen Versuches.
Im Kreuzfeuer. (Zu dem Bilde S. 104 und 105.) In lustigem
Trabe fährt der wohlhabende Bauernsohn mit seinem Schlitten von seinem
Gehöft ab dem Dorfe zu. Er ist ein schmucker Kerl, wie man sie unter
den Slovaken in den nördlichen Komitaten Ungarns nicht selten findet.
Mit allen Mädchen treibt er seinen Schabernak und mit allen lebt er auf
fröhlichem Kriegsfuß.
In lustigen Gedanken pfeift er vor sich hin. Da biegt der Weg in die Dorfstraße ein – und im selben Augenblick sausen ihm drei, vier Schneeballen gleichzeitig um die Ohren. Oho – aufgepaßt! Die Mädchen am Brunnen haben von ferne das Klingeln gehört und im Nu ist der Kriegsplan fertig. Rechts und links von der Straße fassen sie Posto und lauern auf den Augenblick, wo sie ihren Mann sicher haben. Was hilft’s, daß dieser mit Geistesgegenwart die kräftigen Gäule zu rasender Eile treibt, ganz ungerupft kommt er doch nicht durch dieses Kreuzfeuer. Schlitten und Gewand zeigen manchen Treffer und kaum schützt die Linke das Gesicht vor den wohlgezielten Geschossen. Aber eigentlich ist’s ihm so ganz recht! Kaum haben ihn seine Rosse dem Bereiche des feindlichen Feuers entzogen, so spintisiert er schon über einem Racheplan – die Reihe ist jetzt wieder an ihm!
Die neue Pelzgarnitur. (Zu dem Bilde S. 109.)
Warm zu halten ist ja nicht der erste Zweck des neugeschenkten
Pelzschmuckes, sondern die Freundinnen neidisch zu machen! Lieschen
im ersten Federhut, welchen gleichfalls das Christkind bescherte,
kann den Weihnachtsmorgen kaum erwarten, um draußeu am Eisplatz den
übrigen Backfischchen gründlich zu imponieren – jetzt
fehlt ihr ja nur noch das lange Kleid zur erwachsenen
Dame! So sammelt sie denn bewunderungsbedürftig ihre
Freundinnen um sich – aber die sind auch nicht von heute.
Die kleine Intriguantin, die Elsbeth in ihrem alten Radmantel,
welcher gegen Lieschens neue Pelzjacke so unvortheilhaft
absticht, sie weiß ganz gut, daß solche Schaustellungen
der Eitelkeit für den Schausteller selbst recht
ärgerlich werden, wenn man sie nicht bemerkt, und so
sieht sie mit eisernem Gleichmuth
über den auffordernd vorgestreckten Muff der Freundin hinweg
ins Weite, während ihr Gegenüber in gutmüthigem Spott herüberlacht.
Und ach! wie macht sich der Spott erst hinter Lieschens Rücken
breit – da bleibt nur Klein-Ella übrig, das unverdorbene Gemüth:
sie staunt den theuren Pelz mit derjenigen Verblüfftheit an, welche
dessen Trägerin trotz des scheinbar gleichgültig abgewandten Blicks
mit verlangendem Herzklopfen erwartet. Eine sprechende Scene! Der
Künstler hat sie mit scharfem Auge gesehen und mit lebhafter Deutlichkeit uns vorgeführt.
Ein Lustschloß des Prinzen Eugen von Savoyen. Bei dem Umzuge
der k. k. Gemäldesammlung aus dem Belvedere in das neue Kunstmuseum am Ring sind manche Schätze, die bisher nur einzelnen
Kunstfreunden bekannt waren, erst an das Licht der Oeffentlichkeit
gerückt worden. So wurde auch eine Anzahl Canalettos ersten Ranges
aus dem dunklen Verließe der Aufbewahrungsräume erlöst und an
Ehrenplätzen des Museums aufgehängt, zur Augenweide solcher, welche
die Kunst und Wien lieben. Denn jene Gemälde gehören nicht nur zu
den vorzüglichsten dieses Meisters, sondern sie haben noch dadurch einen besondern ortsgeschichtlichen Werth, daß sie uns alte Plätze und Straßen der Kaiserstadt und Lustschlösser in der Umgebung derselben mit der
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_129.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)