Seite:Die Gartenlaube (1892) 258.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

lohte, die allein Großes zu wirken vermag, sondern daß die alleinigen Beweggründe seines Handelns ein sehr kurzsichtiger Ehrgeiz und eine unersättliche Genußsucht waren.

Und dieser Ueberzeugung hat er durch den Tod, den er sich gab, selbst die Bestätigung verliehen. Wer das Scheitern aller seiner politischen Hoffnungen und Lebenspläne leichter ertragen kann als den Tod seiner Geliebten, wer seine Ehre und die Achtung seines Volkes wohl, aber nicht seine Maitresse überleben kann, der ist nicht aus dem Holze gemacht, aus welchem die Helden revolutionärer Bewegungen geschnitzt werden. –

Wir haben an dem Beispiel des Generals Boulanger den Chauvinismus bis zu jener Linie verfolgt, wo er in frevelhaftem Wahne mit dem Feuer zu spielen und zu einer schweren Gefahr für ein Volk, nein, für eine ganze Völkergruppe zu werden beginnt. Wir Deutsche dürfen uns, ohne den Vorwurf pharisäischer Selbstgerechtigkeit fürchten zu müssen, das Zeugniß ausstellen, daß uns der Chauvinismus in dieser höchsten Steigerung bis heute fremd geblieben ist. Wohl sind auch auf deutschem Boden vereinzelte Erscheinungen zu Tage getreten, welche den Stempel des Chauvinismus tragen. Aber niemals hat dieser Geist fast das ganze Volk mit solch schrankenloser Macht in seinen Dienst zu zwingen, niemals die Regungen der Vernunft und des Gewissens so tyrannisch niederzutoben vermocht, wie es bei unserem westlichen Nachbar der Fall war. Im Gegentheil: es wäre unsern deutschen Landsleuten zu wünschen, daß jener gute Geist, welcher im Chauvinismus nur verzerrt erscheint, daß der Nationalstolz noch mehr, als es bisher geschah, all ihr Thun und Lassen durchdringe, jener echte Nationalstolz, der ebenso fern ist von feiger Demuth wie von thörichter Selbstüberhebung, der nur die Herzen erfüllt mit dankbarer Begeisterung für das hohe Gut, das uns geworden: ein großes starkes Vaterland!



Blätter & Blüthen.



Allerlei Weisen und Märlein. Ein liebenswürdiges Dichtergemüth, das ein Stück Eichendorffscher Naturschwärmerei mit Anklängen an Scheffels sinnenfrohe Art verbindet, tritt uns entgegen aus den Dichtungen Josef Bendels, welche uns unter dem eingangs genannten Titel, von Ernst Juch mit hübschen Zeichnungen versehen, gesammelt vorliegen (Wien, R. v. Waldheim). Der Poet verfügt über mannigfaltige Töne: das stimmungsvolle Lied, die kräftigeren Klänge der politischen Lyrik, die munter und behaglich daherfließende gereimte Erzählung, das alles finden wir in seinen „Weisen und Märlein“, und man darf sich durch den Titel nicht irre führen lassen, in ihnen nur Verse für Kinder zu suchen. Als eine Probe von Josef Bendels dichterischer Art diene das folgende Gedicht:

 Ostermorgen.

Ein Jubel tönt durch helle Lüfte,
Ein tausendstimmiger Freudenruf,
Es wallt empor wie Weihrauchdüfte
Aus Flur und Wald, und rings erschuf
Auf der erstorb’nen freudeleeren Erde
Ein neues Leben das allmächt’ge „Werde“.

Die Sonne steigt in hell’rem Glanze
Am wolkenlosen Himmel auf
Und bricht des Winters letzte Schanze
In unhemmbarem Siegeslauf,
Es keimt und knospet, treibt und sprießt, entfaltet
Die Erstlingsblüthen, grünet und gestaltet.

Ein sel’ger Auferstehungsmorgen!
O tritt hinaus, wo alles lebt,
Daß es den schweren Stein der Sorgen
Vom Grabe deiner Freuden hebt.
Ist Glaube, Hoffnung, selbst die Lieb’ erstorben,
O tritt hinaus – und neu sind sie erworben.


Vermißten-Liste. (Fortsetzung aus Halbheft 7 des Jahrg. 1891.)

239) Ein Vater sucht seinen einzigen Sohn, den Steuermann Johann Carl Gustav Halem, geb. am 10. Mai 1859 zu Sülten bei Schwerin in Mecklenburg. Die letzte Kunde von dem Vermißten traf im Jahre 1887 von der Halbinsel Florida in Nordamerika ein.

240) Emil Hermann Schmerbach, Kellner, geb. am 6. Februar 1872 zu Aschersleben, verließ im Mai 1888 seine Vaterstadt. Mitte desselben Jahres erbat er sich von Göttingen aus Geld, das ihm auch, wie gewünscht, postlagernd gesandt wurde. Seitdem fehlt jede Nachricht über Schmerbach, obschon er das Geld seinerzeit in Göttingen noch erhoben hat.

241) Von seinem Bruder wird gesucht der Schneidergeselle Wilhelm Kaufmann, welcher im Jahre 1843 zu Skaisgirren bei Margen geboren ist und noch im Jahre 1886 aus Tilsit schrieb.

242) Von dem Glasmachergehilfen Heinrich August Bruno Schiller, welcher zu Weffalla den 26. August 1870 geboren wurde, erhielten die Angehörigen den letzten Brief aus Gerlebock bei Gröbzig in Anhalt.

243) Wilhelm Preißler, Glasspinner, geb. am 30. Jan. 1871 zu Reichenau bei Gablonz, entfernte sich am 20. Mai 1889 von seinem Geburtsorte, und drei Tage danach erhielt der Vater desselben als letztes Lebenszeichen seines Sohnes eine Postkarte aus Zittau in Sachsen.

244) „Deine tiefbetrübten, schon hochbetagten Eltern haben das herzliche Verlangen, Dich vor ihrem Abscheiden noch einmal zu sehen!“ Diese ergreifenden Worte gelten dem Tischlergesellen Gustav Louis Beyer, welcher am 8. Apr. 1867 zu Hermsdorf in Sachsen-Altenburg geboren und seit dem Jahre 1889 verschollen ist.

245) Eine bejahrte Mutter sucht ihren einzigen Sohn, den am 6. Febr. 1864 zu Torgau geborenen Carl Otto Franz Reichenbach. Er begab sich im Mai 1882 nach Hamburg, um sich dem Seedienste zu widmen, und soll von da nach Brasilien gefahren sein. Am 4. Febr. 1883 aber schrieb er bereits wieder aus Hamburg; das darauf an ihn abgesandte Antwortschreiben seiner Angehörigen erhielt er nicht mehr, da er schon am 6. Febr. wieder auf See gegangen war. Im Jahre 1884 kam noch einmal Kunde von dem Verschollenen, indem er sich, der Inhaber des Berechtigungsscheins zum einjährig-freiwilligen Dienst war, von Hamburg aus sein Taufzeugniß erbat und zwar behufs Zurückstellung im Militärdienste.

246) Der Geschäftsreisende Gotthelf Kempinski, welcher zu Kreuzburg (Oberschlesien) am 7. Juni 1865 geboren ist, ersuchte in einem Schreiben aus Box Hill in Australien im Jahre 1888 nur Antwort unter der Adresse „postlagernd Ballarat in Australien“. Die an den Verschollenen unter dieser Adresse gerichteten Briefe sind als unbestellbar zurückgekommen.

247) Von dem am 8. März 1854 zu Blumberg, Kreis Niederbarnim, geborenen Carl Grothe, welcher im Januar 1878 von seinem Heimathsort nach Amerika auswanderte, ist seit Februar 1878 keine Nachricht mehr gekommen. Seines Standes war Grothe Sattler.

248) Tobias Stöhser (Ahles), geb. am 3. März 1833 zu Schornbach bei Schorndorf in Württemberg, wird von seinen Angehörigen gesucht.

249) Der am 15. November 1874 zu Gröbern bei Meißen in Sachsen geborene Handlungslehrling Ernst Toepfer wird seit dem 28. Oktober 1889 abends vermißt. Er war zu Magdeburg in Stellung.

250) Vier Brüder Namens Martens werden von ihren hochbetagten Eltern gesucht, nämlich Johannes Friedrich Julius, genannt „John“, welcher am 30. November 1845 zu Neuenrade geboren ist, in Braunschweig und Itzehoe als Weinküper thätig war und die letzte Nachricht aus dem Staate Illinois gab, Andreas Christian August, geb. am 24. November 1849 ebenda, Maschinenbauer, zuletzt in Californien, Ernst August Ehrenreich, geb. am 19. Juli 1858 ebenda, Gärtner, zuletzt in London, Friedrich Ernst Nikolaus, geb. am 14. März 1863 ebenda, Seemann auf der Brigg „Edith“, zuletzt in Portland, Maine.

Das Schuhausziehen. (Zu dem Bilde S. 237.) Es ist am Morgen des Ostermontags. Noch ist es nicht Zeit zum Beginn des Gottesdienstes. Da hat das Mädchen auf dem Lande wie überall so auch in England noch allerlei zu besorgen, und nicht immer ist es ihr möglich, dies innerhalb der schützenden Hecke zu thun, die Haus und Garten umschließt. Vorsichtig lauscht sie durch die hohe Gatterthür, ob sich wohl draußen etwas regt. Sie hört nichts; es gilt nur einen kurzen Sprung zur Nachbarin; sie schlüpft hinaus. Aber noch ist sie keine zwanzig Schritte weit, da kommen aus dem nächsten Hofe vier junge Bürschlein von höchstens fünfzehn Jahren auf sie zugestürzt und umringen sie mit dem Geschrei: „Löse Deine Schuhe aus! Löse Deine Schuhe aus!“ Und ehe sie sich’s versieht, hat man ihr den einen und sofort auch den andern Schuh geraubt. Lachend stürmen die Knaben fort, um ihre Beute in Sicherheit zu bringen, und sie, die keinen Penny bei sich hat, kehrt in Strümpfen oder barfuß ins Haus zurück, ärgerlich, daß sie sich hat überlisten lassen, und noch ärgerlicher, daß drüben aus dem Giebelfenster einer schmunzelnd herausschaut und sich an ihrer Verlegenheit weidet. Wehe ihm, daß er ihr nicht geholfen hat – er soll es heute abend büßen! Und wenn sie morgen seinen neuen Hut erwischt, so fliegt derselbe unfehlbar ins Feuer, der Ungetreue mag ihr bieten, was er will!

Noch ist sie kaum zur Hausthür gelangt, da tönt wieder lautes Halloh! Die losen Buben haben ein zweites Opfer erwischt. Andere fahren also auch nicht besser – ein schlechter Trost, allein immerhin ein Trost! Vielleicht verbrennt sie morgen seinen Hut doch nicht und thut nur so, um ihn eine Weile zappeln und bitten zu lassen. Aber vor vier Wochen bekommt er ihn bestimmt nicht zurück – er müßte denn grade ... Aber er kann mit ihr doch unmöglich ohne Hut zum Tanze gehen! – – Vielleicht läßt sie noch einmal Gnade für Recht ergehen.

Indessen die Schuhe? Wie die Schuhe wieder bekommen? Sie kann doch unmöglich ihre besten Schuhe im Haus anziehen. Betrübt tritt sie

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_258.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2020)