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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Säbel griff. Allein er erhielt nur die höhnische Antwort, ein Junge wie er dürfe gar nie einen Säbel tragen, der sei für andere Leute, und wenn er nicht gehorchen wolle, so werde man ihn wieder auf den schmutzigen Fabrikhof setzen, woher man ihn genommen habe. Der kleine Hans gab den Säbel nicht los, mit äußerstem Kraftaufwand umspannten seine Hände den Griff. Da ließ Otto plötzlich die Klinge los, so daß sein Gegner rückwärts zu Boden fiel, griff nach der Reitpeitsche, die bei dem Sattelzeug des Ponys hing, und führte einen pfeifenden Hieb nach dem Kleinen. Der stieß einen sonderbar rauhen Schrei aus, im Nu stand er auf den Füßen, die kleine Klinge in seiner Faust blitzte durch die Luft – und Otto sank blutend mit einem Schmerzgeheul zu Boden.

Claire war gerade beim Papa. Auf das Geschrei und den dumpfen Fall hin eilte alles ins Nebenzimmer. Hänschen stand noch mit erhobenem Säbel da, starr, totenbleich, auf den Gegner am Boden blickend, die kleine Stirn noch immer zornig gefaltet, die Lippe eingezogen. Jetzt glich er gar nicht mehr dem Automaten auf dem Tische.

Die Räthin eilte entsetzt zu ihrem blutenden Kind, über das sich eben Doktor Schindling beugte, um die Wunde zu untersuchen. Ihr Gatte, vom Zorn übermannt, riß den kleinen Verbrecher zurück und hob die Hand zum Schlage. Aber Hans machte sich gewandt los und floh in einen Winkel des Zimmers. Von dort sah er scheu, mit einem trotzigen Zug um die Lippen, der nicht auf Reue deutete, zu dem Unglück herüber, das er angerichtet hatte. Nur Claires Fürbitte bewahrte ihn vor der angedrohten körperlichen Züchtigung.

Der Doktor beruhigte die Gesellschaft, es handle sich nur um eine oberflächliche Stirnwunde. Der Getroffene war auch rasch wieder bei vollem Bewußtsein und voller Kraft; man mußte ihn mit Gewalt davon abhalten, an Hänschen unmittelbare Rache zu nehmen. Auf Anordnung des Arztes wurde er rasch zu Bett gebracht.

Aber der Abend war gestört, die Blutflecken am Boden paßten schlecht zu dem fröhlichen Feste.

„Da haben wir uns ein nettes Kreuz aufgeladen, Emilie,“ sagte Berry ärgerlich. „Die Rohheit liegt dem Volke im Blut, ich sage es ja immer. Oder wollen Sie das auch vertheidigen, Doktor? Regte sich vielleicht schon die verletzte Menschenwürde in der Brust dieses Jungen?“

„Otto hat ihn jedenfalls gereizt, er betrachtete ihn wohl ganz folgerichtig als Spielzeug, als Seitenstück zu dem Automaten dort, und das scheint der Junge doch schon begriffen zu haben,“ erwiderte der Arzt. „Sag’ einmal,“ wandte er sich dann in strengem Tone an den Missethäter, indem er ihn zugleich aus seiner Ecke hervorholte, „warum hast Du das gethan?“

Der Knabe sah den alten Herrn, dessen gute Augen sich vergeblich bemühten streng zu blicken, forschend an. Die Falten auf seiner Stirn verschwanden, eine Thräne rollte die Wange herab. „Ich laß mich nicht schlagen,“ sagte er in festem Tone.

„Hat er Dich denn geschlagen?“

Hänschen nickte, sein Gesicht schmerzlich verziehend und in Thränen ausbrechend. „Mit der Peitsche.“

„Natürlich mußt Du ihn dafür gleich halb umbringen. Rohheit, angeborene Rohheit! – Laß ihn fortbringen, Emilie, ich kann ihn nicht mehr ansehen, wenn ich bedenke, welches Unglück er hätte anrichten können. Da hast Du nun den ersten Lohn für Dein gutes Herz!“ brauste Berry empört auf.

Man gab ihm allgemein Recht und den Rath, da die Sache nun einmal nicht ohne Unannehmlichkeiten rückgängig zu machen sei, den Jungen wenigstens getrennt von seinen Kindern erziehen zu lassen.

„Dafür wird gesorgt werden!“ versicherte Berry in einem Tone, der die höchste Erbitterung verrieth.

Claire war unglücklich. Mama hatte ihr versprochen, daß Hänschen heute unter der Aufsicht der Bonne in einem Zimmer mit ihr schlafen dürfe, das war jetzt vorbei; sie wagte auch nicht mehr, darum zu bitten. Ihr Schützling wurde einem Diener zur Obhut für die Nacht übergeben. Doch einen herzlichen Abschied ließ sie sich nicht nehmen; dem Bruder war in ihren Augen ganz recht geschehen, was hatte er überhaupt ihrem Hansl zu befehlen!

„Nicht bös sein, Claire, will’s nicht wieder thun!“ stammelte der Verbrecher, sich mit sichtlichem Schmerze von dem Mädchen losreißend.

Als die Bonne Claire zum Schlafengehen abholte, besann sich diese einen Augenblick, ihre schönen Geschenke prüfend, dann nahm sie den kleinen Automaten unter den Arm und folgte willig. In ihrem Zimmer war ein leeres Bettchen für Hänschen hergerichtet, in das legte sie die Figur, deckte sie schön warm zu, sprach ihr Nachtgebet und kroch vergnügt unter ihre seidenüberzogene Bettdecke. Noch einmal hob sie den Kopf, rief „Gute Nacht, Hansl!“ und schlief dann beruhigt ein.

(Fortsetzung folgt.)

Die internationale Musik- und Theaterausstellung in Wien.

Mit Zeichnungen von T. Rybkowski.


Vor wenigen Jahren hat ein Wiener Schriftsteller ein Büchlein verfaßt, das unter dem eindrucksvollen Titel „Wien war Theaterstadt“ mit Anführung sorgfältig zusammengestellter Zahlen – und Zahlen beweisen bekanntlich – uns Wiener einlud, über unsere Tbeaterzukunft das Kreuz zu machen, da unsere Stadt nicht mehr über die hinreichende Menge von Theaterfreunden verfüge, um die Schauspielhäuser zu füllen, zu denen trotz der Vermehrung der Einwohnerzahl auf das Dreifache seit einem Jahrhundert nicht ein einziges neu hinzugekommen sei.

Aber beim Theater muß man stets auf allerlei Scenen- und Dekorationswechsel gefaßt sein. So hat sich denn auch das Theaterbild Wiens mit einem Schlage gründlich verändert. Dieselben Schauspielhäuser, deren Zuschauerraum man ehedem kaum mit einer Unmasse von Freikarten zu „wattieren“ vermochte, sind wieder allabendlich gefüllt, soweit es nur die seit dem Brande des Ringtheaters ängstlich gewordene Polizei gestattet. Das an Stelle des niedergebrannten Stadttheaters erbaute „Deutsche Volkstheater“ hat durch seine wohlfeilen Preise besonders in kleinbürgerlichen Kreisen die alte Theaterlust neu erweckt, und es findet hier jetzt ein Andrang statt wie etwa im neuen Kunstmuseum am Ring, dessen Schätze, bisher in dem fernen Belvedere fast versteckt, jetzt von Tausenden mit Begeisterung aufgesucht werden. Ferner ist geplant, dem prächtigen neuen Burgtheater ein zierliches allerneuestes Burgtheater für das leichtere Gesellschaftsstück zur Seite zu stellen, und im Herbste soll mit dem Baue eines Raimundtheaters begonnen werden, einer Stätte für das eigentliche Volksstück.

Wenn nun dieser Aufschwung des Wiener Theaterlebens auch mit gewissen äußeren Bedingungen, insbesondere mit einer wirthschaftlichen Besserung zusammenhängen mag, so darf doch nicht geleugnet werden, daß Wien seinen Ruf als Theaterstadt neuerdings auch moralisch bewährt hat durch Selbständigkeit und Sicherheit des Geschmacks in der Beurtheilung neuer Erscheinungen auf diesem Gebiet, durch die Leistungen seiner Kunstanstalten und Künstler. Denn wohl hat das Burgtheater manchen von seiner alten Garde verloren, aber das Spiel einer Wolter, eines Sonnenthal war niemals gewaltiger als in unseren Tagen; von den Jungen haben sich einige schon der Höhe der Alten genähert; und eben jetzt erholt sich der Ruf des Burgtheaters gründlich durch die mustergültige Wiederaufführung der Shakespeareschen Königsdramen und anderer klassischer Stücke. Aus einem so stark pulsierenden Theaterleben heraus, aus einer solch neubelebten Empfänglichkeit für alles, was mit Musik und Theater zusammenhängt, begreift sich, wie man gerade in Wien auf den Gedanken kommen konnte, eine internationale Ausstellung für Musik- und Theaterwesen zu veranstalten. Mancher Mann wäre wohl vor den Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens zurückgeschreckt, vor der Schwierigkeit namentlich, den in völliger Unbegrenztheit sich aufdrängenden Stoff in den doch mehr oder weniger bestimmten Rahmen einer Ausstellung zu zwängen; aber diese Wiener Ausstellung ist eben in der Hauptsache das Werk einer Frau, die mit einem scharfblickenden Geiste einen energischen Willen verbindet, und „ce que femme veut, Dieu le veut“, „was eine Frau will, das will Gott“. Die Fürstin Pauline

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_460.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2024)