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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

durch den Ausdruck des Augenblicks belebtes Bild zu geben, das frei ist von den Mängeln, welche den erst nachträglich vergrößerten Aufnahmen anhaften.

Die Brüder Grimm bei der Märchenerzählerin. (Zu dem Bilde S. 505.) Wer sollte ihn nicht kennen, den köstlichen Schatz der „Kinder- und Hausmärchen“, welchen die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm für uns gehoben und gesichert haben, wer sollte nicht in seinen Kindertagen mit namenlosem Entzücken der Geschichte vom Wolfe und den sieben jungen Geißlein, von Hänsel und Grethel, vom Rothkäppchen und Aschenputtel, vom „Tischchen deck’ dich“, vom Dornröschen, Sneewittchen, Daumerling, und wie sie alle heißen, gelauscht haben, wer sollte ihrer nicht noch in seinen reifen Jahren mit andächtiger Rührung gedenken! In jahrelanger treuer und eifriger Sammelarbeit haben die Brüder Grimm sie unmittelbar aus der Quelle, aus der mündlichen Volksüberlieferung geschöpft und so aus der schon schwindenden Fülle reiche Reste für uns gerettet.

Mancher günstige Zufall kam ihnen dabei zu statten. Als der erste Band ihrer Sammlung 1812 erschienen war, da haben auch verständige Freunde manches werthvolle Kleinod zugetragen. Ganz besonders ergiebig aber erwies sich eine Fundgrube: in dem bei Kassel gelegenen Dorfe Niederzwehren lernten die Brüder eine Bäuerin kennen, die in ihrem Gedächtniß eine ganz erstaunliche Fülle der schönsten Märchen barg. Es war eine Frau Viehmann. Lassen wir uns von den Brüdern selbst über diese Frau erzählen!

„Die Frau Viehmännin,“ so schreiben sie in der Vorrede zu ihrem Märchenbuch, „war noch rüstig und nicht viel über fünfzig Jahre alt. Ihre Gesichtszüge hatten etwas Festes, Verständiges und Angenehmes, und aus großen Augen blickte sie hell und scharf. Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedächtniß und sagte wohl selbst, daß diese Gabe nicht jedem verliehen sei und mancher gar nichts im Zusammenhange behalten könne. Dabei erzählte sie bedächtig, sicher und ungemein lebendig, mit eigenem Wohlgefallen daran, erst ganz frei, dann, wenn man es wollte, noch einmal langsam, so daß man ihr mit einiger Uebung nachschreiben konnte. Wer an leichte Verfälschung der Ueberlieferung, Nachlässigkeit bei Aufbewahrung und daher an Unmöglichkeit langer Dauer als Regel glaubt, der hätte hören müssen, wie genau sie immer bei der Erzählung blieb und auf ihre Richtigkeit eifrig war; sie änderte niemals bei einer Wiederholung etwas in der Sache ab und besserte ein Versehen, sobald sie es bemerkte, mitten in der Rede gleich selber.“

Durch den Krieg gerieth die Frau Viehmännin in Elend und Unglück. Der Vater ihrer zahlreichen Enkel starb am Nervenfieber, die Waisen brachten Krankheit und die höchste Noth in ihre ohnedies schon arme Hütte. Sie ward siech und starb am 17. November 1816. Das deutsche Volk aber darf ihr wohl ein dankbares Andenken bewahren für das kostbare Erbe, das aus ihrem Besitze in den seinigen, ja in den der ganzen gesitteten Menschheit übergegangen ist, ein dankbares Andenken aber auch den beiden genialen Brüdern, die ihres Amtes als Vermittler dieser Erbschaft so treulich gewaltet haben.

Die VI. internationale Kunstausstellung in München. Für die Münchener sowohl, als für den großen Strom der über München in die Alpen Reisenden ist die Kunstausstellung bereits zur alljährlich festen Nummer im Vergnügungsprogramm geworden. Der alte Glaspalast hat sich unter die Hauptanziehungspunkte der Sommermonate eingereiht, und seine Innenräume, zu deren Ausschmückung die ersten Künstler opferfreudig zusammenwirken, bieten jedes Jahr einen neuen und überraschenden Anblick. Wohl sind die Bilder und Skulpturen die Hauptsache, und keine noch so prunkvolle Umgebung könnte über einen Niedergang der Leistungen hinwegtäuschen. Wo aber eine so reiche Fülle schöner Werke von einem gefunden, hochstehenden und höchst mannigfaltigen Kunstleben Zeugniß ablegt, da erfreut sich das Auge gern auch an der vorzüglichen Aufstellung und der ruhigen Pracht des Hintergrundes. Man geht voll Wohlbehagen durch die langgestreckte Säulenhalle, wo das Oberlicht so angenehm über die prächtigen Bilderreihen fällt, man ersteigt den vom vorigen Jahre her so genannten „Prinzregenten-Pavillon“ und genießt von seiner Höhe aus einen reizvollen Niederblick in den anstoßenden Marmorsaal voll schöner Skulpturen. Und zum Schlusse, nach Durchwanderung der endlosen blumen- und teppichgeschmückten Räume, kann man sich ausruhen in dem von Lenbach persönlich eingerichteten und abgetönten „Saal alter Meister“, dessen dunkle Vorhänge, Gobelins und alterthümliche Möbel in so vollendeter Harmonie zu den darin aufgestellten Bildnißschätzen stehen. Daß man aber aus diesem zauberhaften Helldunkel gern und mit Interesse in das Tageslicht der heutigen Kunst zurückkehrt, das ist gewiß ein erfreuliches Zeichen für die Ausstellung von 1892, welche wohl in einzelnen Effektstücken, aber nicht an allgemeinem Werthe, von früheren Ausstellungen übertroffen werden mag. Bn.     

Die Leiden eines Buches. Bücher haben ihre Schicksale und gerade die guten nicht die freundlichsten – davon wäre manche Geschichte zu erzählen, aber kaum eine, die durch schlichte Geradheit, gehaltene tiefe Stimmung unmittelbarer zu Herzen ginge als „Phaläna“, eine neue Novelle von Karl Weitbrecht (Schröter, Zürich), für welche eben die Leiden eines Buches, die unverdienten eines guten natürlich, den Mittelpunkt abgeben – oder eigentlich nicht die Leiden des Buches selbst, sondern der ganzen idealen Anschauung, die darin lebt, des Dichters, der sich diese durch ein Dasein der Noth und Enttäuschung, der bitteren Einsamkeit hindurch nicht hat nehmen lassen und ihr, ein Sechzigjähriger, in seiner letzten Gedichtsammlung „Phaläna“ noch einmal ergreifenden Ausdruck gegeben hat. Die Schicksale eines Exemplars dieser Gedichtsammlung sind es nun, die uns erzählt werden, seine Wanderungen von der Buchhandlung der Stadt aus, in welcher der Dichter Paulus Wikram lebt. Ueberallhin wird es gesandt, wo ein Liebhaber dafür vermuthet wird, von überallher kommt es zurück, um endlich von Wikram selbst gekauft zu werden, der ein Geschenk damit machen will. Aber – das Buch ist von seiner Odysseusfahrt nicht unbeschädigt zurückgekehrt; als Wikram es daheim aus dem Futteral zieht und aufschlägt, blicken ihm schmutzige Flecken entgegen und ein Zettel, auf dem eine freundliche Schwester in Apoll „den Poeten bedauert, der es geschrieben. Verse bringen nichts.“ Da schleudert er erst den Band hinter den Ofen und läßt ihn dann säuberlich verbrennen: die Leiden des Buches sind zu Ende – nicht seine eigenen.

In diesen einfachen Rahmen, der nur Platz zu haben scheint für eine Anzahl getrennter, einzeln nebeneinanderstehender Skizzen, hat Weitbrecht ein einheitliches Bild voll wahrer dichterischer Kraft gestellt, auf dem eine Reihe der prächtigsten Gestalten sich abhebt, vor allem die des einsamen Doktor Wikram, des Telegraphisten Böhringer mit seiner ruhigen Pflichttreue, seiner verborgenen Gefühlswelt, des genialen Pferdezeichners Jakob Kleinknecht, dem es darauf ankommt, daß „einer ein Kerl ist“, und der sich als „Beduine zwischen seinen Pferden“ sehr auf seine eigene Weise mit Welt und Litteratur abfindet. Dabei wechselt Ernst des Gedankens und der Stimmung mit jenem echten Humor, der die schneidenden Gegensätze und Widersprüche des Lebens in stilles Lächeln aufzulösen weiß; nur auf handwerksmäßiges Streberthum und sinnloses, anmaßendes Wortgeklingel in der Litteratur der Gegenwart fällt ein scharf satirisches Licht, das in einem poetischen Anhang „Seefahrt“ in gesteigertem Maße funkelt. Die Erzählung selbst klingt mit dem Tode Paul Wikrams wehmüthig aus: Weib und Kind hat ihm der Tod schon vor einem Jahrzehnt geraubt, aber in Maja, der Tochter der Frau, welcher er einst seine erste große Liebe dargebracht hat, wird ihm am Abend seines Lebens noch einmal ein Gemüth, das ihm in treuer Freundschaft anhängt und ihn versteht, in dem sein hoher Sinn eine Heimath findet. Allein nur Monate dauert dieses Aufleben – Wikram wird von tödlicher Seuche ergriffen und stirbt in dem Spital, in das Maja als Krankenpflegerin eingetreten ist. Sie drückt „die erloschenen Dichteraugen zu, die sich satt getrunken hatten an Leid und Schönheit, an Gram und Liebe“, und wie sie nun die einsame Totenwacht hält, da ruht ihr Schmerz aus in dem ergreifenden Verse des Geschiedenen:

„Wenn ich Abschied nehme, will ich leise geh’n,
Keine Hand mehr drücken, nimmer rückwärts seh’n.
In dem lauten Saale denkt mir keiner nach,
Dankt mir keine Seele, was die meine sprach.
Morgendämmrung weht mir draußen um das Haupt,
Und sie kommt, die Sonne, der ich doch geglaubt.
Lärmt bei euren Lampen und vergeßt mich schnell!
Lösche meine Lampe! Bald ist alles hell.“

Damit schließt die Erzählung. Auch sie bringt da und dort etwas, was man gern ein bißchen anders haben möchte, aber nichts, was den Eindruck des Ganzen stören könnte, den Eindruck, der sich in den Wunsch kleidet: möchten diesem Buche, frisch und ehrlich und erquickend, wie es ist, die Leiden erspart sein!

Ein Bild der Frau Rath Goethe. Goethes Mutter ist eine der liebenswürdigsten und volksthümlichsten Frauengestalten, deren in der Geschichte unserer klassischen Litteratur Erwähnung geschieht. Es ist nur ein einziges Bild von ihr vorhanden, dessen Nachahmung sich in Goethes Geburtshause befindet. Das Urbild gehört einer Ururenkelin der Frau Rath, einer Frau Bertha Hauser, geb. Nikolovius in Köln, und sie hatte es vor einiger Zeit für eine Versammlung der Goethegesellschaft in Weimar hergeliehen. Im Junosaal des Goethemuseums war das Pastellbrustbild der Frau Rath auf einer Staffelei ausgestellt. Das Bild ist mit großer künstlerischer Feinheit ausgeführt; es zeigt uns die Mutter des unsterblichen deutschen Dichters in einer großen weißen Haube; auf die halbentblößten Schultern fällt ein schwarzes Spitzentuch; aus den großen hellbraunen Augen spricht in lebendiger Weise jene Schelmerei, die alle Freunde der Frau Rath stets so unwiderstehlich anzogen. In der That, so denkt man sich die Frau, deren „Frohnatur“ und „Lust am Fabuliren“ ein so glückliches Erbtheil des Sohnes geworden ist. Das Andenken an sie hat auch dem unnahbaren Jupiter Weimars, als welcher Goethe in seinen späteren Lebensjahren erschien, Zuneigung in den weiten bürgerlichen Kreisen des deutschen Volkes gesichert. †      

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KLEINER BRIEFKASTEN.

(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

D. C., Washington. Wir haben vor diesem Schwindel wiederholt gewarnt! Nehmen Sie bei derartigen Reklamen über Geheimmittel bis zum Beweis des Gegentheils immer getrost an, daß Sie es mit einem auf Ausbeutung des Käufers berechneten Unternehmen zu thun haben.

P. F. in Duisburg. Am besten ist’s, Sie legen sich ein Sammelbuch für die Bescheinigungen über ausgebrauchte Quittungskarten der Invaliditäts- und Altersversicherung an; Sie werden so am wenigsten der Gefahr ausgesetzt sein, eine der Bescheinigungen, auf welche sich später Ihr Rentenanspruch stützt, zu verlieren. Ein derartiges Sammelbuch hat z. B. der expedierende Sekretär und Kalkulator im Reichsversicherungsamt E. Götze zusammengestellt (Berlin, Carl Heymanns Verlag), welches neben einer reichlichen Anzahl Bescheinigungsformulare einen Auszug aus den hierher gehörigen Gesetzesbestimmungen enthält.

Türkei. Ein Cigarettenfabrikant, der seinen deutschen Namens ins Türkische übersetzen will, setzt sich einem bedenklichen Verdacht aus! Wir möchten also die Hände davon lassen.

H. M. in N. 1) Zum Supernumerariat der Reichs- und Staatseisenbahn berechtigt nur das Zeugniß eines einjährigen erfolgreichen Besuchs der Prima eines Gymnasiums. 2) und 3) Ja.

Ein Vogel- und Naturfreund. Der Verfasser des Artikels über „Deutsche Singvögel als Delikatesse“ ist gern bereit, Ihre Wünsche zu erfüllen und Ihnen sachgemäße Aufklärung über die obwaltenden Verhältnisse zu geben, wenn Sie Ihre Adresse mittheilen.

A. Ph. in Mülhausen. Der Roman „Der Graf von Monte-Christo“ ist von dem älteren Alexander Dumas. Wenn Sie diesen Roman übrigens gelesen haben, so wird es Sie interessiren, daß es in der That eine Insel Monte-Christo giebt, die in der Nähe der durch Napoleon berühmt gewordenen Insel Elba und zwar im Süden derselben liegt. Jetzt erfährt man, daß ein Marchese aus Florenz, der dem Helden des Dumasschen Romans in Bezug auf Reichthümer nahe kommt, die Insel angekauft hat und sich dort ein schönes Schloß bauen will. Die Insel soll in einen Garten umgewandelt werden, eine anmuthige Villa an der Meeresküste, eine melancholische Einsiedelei im Innern sollen für wechselnde Stimmungen einen Zufluchtsort gewähren. Es wird also jetzt zwar keinen leibhaftigen Grafen, aber einen Marchese von Monte-Christo geben.

W. A. in Altenburg. Es werden gegenwärtig in einzelnen Batterien der deutschen Artillerie Versuche mit Lafetten gemacht, die ganz aus Eisen sind. Von dem Ergebniß dieser Versuche wird es abhängen, ob eine allgemeine Einführung beschlossen wird oder nicht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_515.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2024)