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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

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Eine klassische Pflanzstätte der Musik.

Im südwestlichen Stadttheil Leipzigs, auf dem Grund und Boden des ehemaligen Botanischen Gartens, hat seit einigen Jahren das königliche Konservatorium der Musik ein neues Heim gefunden. In unmittelbarer Nähe vom „Neuen Gewandhaus“, dem musengeweihten Tempel edelster Instrumental- und Vokalkunst, nicht weit vom künftigen Reichsgerichtsgebäude, steht nunmehr die Musikanstalt, von der man mit einer Stelle aus Mendelssohns „Paulus“ singen kann: „in alle Lande ist ausgegangen ihr Schall.“ Apollo, der Gott mit der Leier, und die blind abwägende Göttin Themis, so wettig sie gemeinhin voneinander sich angezogen fühlen, haben hier fast nebeneinander ihre Altäre aufgeschlagen, bahnen ein friednachbarliches Verhältniß im buchstäblichsten Sinne an und bringen den Hauptruhm Leipzigs, eine Hochburg deutscher Kunst und Wissenschaft zu sein, nicht bloß zu heißen, aufs handgreiflichste zur Anschauung. Spricht der pleißathenische Volksmund von einem „Musikantenviertel“ und meint damit den Stadttheil, wo die Straßen getauft sind mit den Namen eines Sebastian Bach, Adam Hiller, Moscheles, David, Marschner, so lag es nahe, Leipzigs berühmtes Kunstinstitut in deren Nähe zu verlegen und beziehungsreich genug ist es die geweihte Klassikertrias Haydn, Mozart, Beethoven, die mit den nach ihnen benannten Prachtstraßen um das Konservatorium sich gruppiert und es mit schützendem Auge bewacht. Wer da weiß, mit welch bescheidenen, fast dürftigen Räumen sich diese musikalische Hochschnle vom Tage ihrer Begründung ab länger als vierzig Jahre behelfen mußte, wer das frühere Gewand, die unfreundlichen Lehrzimmer, die zum Theile recht schadhaft gewordenen Uebungsinstrumente und wenig ausreichenden Lehrmittel des alten Konservatoriums sich vergegenwärtigt und ihnen die neue Verfassung gegenüberstellt, der darf einer freudigen Ueberraschung Raum geben. Ein Gang vom alten Hause (im Hofe des alten Gewandhauses am Neumarkt und an der Universitätsstraße) in das neue Gebäude in der Grassistraße ist gleichbedeutend mit einem plötzlichen Schritte aus der Armuth zum Reichthum: dort die unscheinbare Hütte, hier ein stattlicher Palast; dort die Abwesenheit jeglichen verschönenden Ausschmuckes, hier die Gegenwart von allem, was die Musen anlocken kann, sich dauernd niederzulassen in ihrer würdigen Räumen; dort alles eng, luftarm, hier eitel Licht und Sonnenschein; dort die Anstalt inmitten des Getöses der Handelsstadt, hier ihrem Lärme entrückt und im Sommer gegrüßt von den Lerchen der Felder und dem Nachtigallenlaut eines nahen Haines. Wohl hat sich trotz ärmlicher Anfangsverhältnisse das Leipziger Konservatorium einen Weltruf zu verschaffen gewußt; ihn sich zu bewahren, muß ihm um so leichter gelingen, als es jetzt auch in seiner äußeren Erscheinung vollständig auf der Höhe der Zeit steht.

Mit gerechtem Stolze betrachtet nicht allein der Leipziger, sondern überhaupt jeder Kunstfreund das Prachtgebäude und preist den Hochsinn jenes Gönners, der durch ein großartiges Vermächtniß das Entstehen desselben ermöglicht hat.

Lange vor der Zeit, ehe von irgend welcher Seite an die Begründung einer musikalischen Akademie gedacht wurde, war Leipzig bereits eine hochangesehene musikalische Bildungsstätte. Die altehrwürdige Thomasschule, deren Mauern leider bald vom Erdboden verschwinden werden, wie viele gewaltige Lehrmeister der Tonkunst hat sie in ihren Kantoren aufzuweisen und wie groß ist die Zahl ihrer Schüler, die in der Kunstgeschichte einen glanzvollen Namen sich errungen haben! Wo ein Johann Sebastian Bach nicht nur seine Söhne unterrichtet, sondern noch manchen anderen strebenden Musiker freudig gefördert und damit einen Samen ausgestreut hat, der für die deutsche Kunst herrliche Früchte ersprießen ließ, da war in gewissem Sinne bereits ein Konservatorium erbaut, wie es in der Folgezeit, als der Kantor der Kantoren seine Augen für immer geschlossen hatte, nirgends wieder ins Leben treten konnte, einfach deshalb nicht, weil keiner wiederkam, der mit ihm sich messen durfte an Geistestiefe, Arbeitskraft und schöpferischer Urgewalt.

Der Umschwung der Zeiten brachte auch für die musikalische Erziehung nach und nach einen Wechsel in der Lehrmethode mit sich. Je mehr sich seit Beginn unseres Jahrhunderts die Herrschaft der Musik in Deutschland erweiterte, desto mehr wuchs das Verlangen nach musikalischen Anstalten, in welchen die Kunst in gleicher Vielseitigkeit gepflegt würde wie auf den Universitäten die Wissenschaft. In Italien hatte man schon in früheren Jahrhunderten ein ähnliches Bedürfniß empfunden. Die Musikschulen zu Neapel, Venedig, Bologna suchten es bestmöglich zu befriedigen. Auf den Konservatorien zu Paris und Prag begann man am frühesten, neuen Gesichtspunkten in Leitung und Lehrfächern Rechnung zu tragen. Im zweiten und dritten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts erfreute sich in Norddeutschland die von Friedrich Schneider, dem Schbpfer des „Weltgerichtes“, in Desau begründete Musikschule großen Ansehens, und es gereicht ihr gewiß zur besten Empfehlung, daß aus ihr einer unserer edelsten und geschätztesten Lyriker, Robert Franz, hervorgegangen ist. Trotz alledem konnte sie aus mancherlei Gründen nicht so voll und ausgiebig sich entfalten, wie es im Interesse der Kunstjünger wünschenswerth sein mochte. Eine Kunst- und Universitätsstadt von dem hohen Rufe Leipzigs erfüllte doch besser die Voraussetzungen, mit denen eine Musikakademie zu rechnen hat.

Mendelssohn hatte bereits seinen „Paulus“ geschrieben und sich als Komponist viele glänzende Ruhmeskränze errungen, als er im Jahre 1837 auf Anregung seines Freundes Conrad Schleinitz, Rechtsanwaltes in Leipzig, sich zum ersten Male mit dem Gedanken befaßte, eine Musikschule größeren Stiles in Leipzig zu gründen. Er stand auf der vollen Höhe seines Ruhmes, als er im Jahr 1843 den Plan zur Ausführung bringen konnte. Es scheint uns dieser Umstand bemerkenswerth, weil daraus ersichtlich ist, daß es ihm bei dieser That am allerwenigsten um Befriedigung persönlichen Ehrgeizes, sondern lediglich darum zu thun war, den werdenden Fachmusiker aus dem seitherigen Unterrichtsschlendrian herauszureißen und ihn den Segen einer anregenden Methode kosten zu lassen. In einer Bittschrift, die darauf abzielt, dem noch ungeborenen Kunstinstitut die Zuwendung eines für Kunstzwecke im allgemeinen von Dr. Heinrich Blumer ausgesetzten Legates von 20000 Thalern zu sichern, eröffnet er die Gesichtspunkte, von denen aus er die hochwichtige Angelegenheit betrachtet wissen will: „Bei der vorherrschend positiven, technisch materiellen Richtung der Zeit wird die Erhaltung echten Kunstsinnes und seinen Fortpflanzung zwar eine doppelt wichtige, aber auch doppelt schwere Aufgabe. Nur von Grund aus scheint die Erreichung dieses Zweckes erzielt werden zu können, und wie für jede Art geistiger Bildung die Verbreitung gründlichen Unterrichts das beste Erhaltungsmittel ist, so auch gewiß für die Musik. ... Durch eine gute Musikschule, die alle verschiedenen Zweige der Kunst umfassen könnte und sie alle nur aus einem einzigen Gesichtspunkte als Mittel zu einem höheren Zwecke lehrte, auf diesen Zweck alle ihre Schüler möglichst hinführte, wäre jener praktisch materiellen Tedenz, die ja leider auch unter den Künstlern selbst viele und einflußreiche Anhänger zählt, jetzt noch mit sicherem Erfolg vorzubauen.“

An einer anderen Stelle gedenkt er der vortheilhaften Einflüsse, die von Leipzigs wissenschaftlichen Bildungsstätten und vor allem von der Universität für die geplante Anstalt mit Sicherheit zu erwarten seien und betont außerdem: „Leipzig hat gerade für den Zweig der Kunst, der immer eine Hauptgrundlage des musikalischen Studiums bleiben wird, für höhere Instrumental- und geistliche Kompositionen, in seinen sehr zahlreichen Konzerten und Kirchenmusiken ein Bildungsmittel für angehende Tonkünstler, wie es wenig andere deutsche Städte in dem Maße aufzuweisen haben.“

Diesen Ausführungen hatte Mendelssohn noch den Grundriß eines Organisationsplanes beigefügt; am 16. Januar 1843 konnte das erste Programm der neuen, auf den Namen „Konservatorium der Musik“ getauften Musikschule der Oeffentlichkeit übergeben werden. Ohne das außerordentliche organisatorische Geschick und ohne die Ausdauer, die Mendelssohn besaß, würde das Unternehmen schwerlich zu erwünschtem Gedeihen gelangt sein. Mit scharfem Auge für alles Erlernenswerthe bewaffnet, war er keinen Augenblick über die Gestaltung und den Umfang seines Lehrplanes im Zweifel; um so sicherer durfte er auf eine durchgreifende Ausführung seiner pädagogischen Ideen rechnen, als ein günstiger Zufall ihm für die Hauptfächer eine Anzahl hervorragender Lehrkräfte in unmittelbarster Nähe zur Verfügung stellte.

Indem er sich selbst den Unterricht im höheren Klavierspiel, in Komposition und Sologesang vorbehielt, widmete er sich der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_603.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2022)