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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Der große Musiksaal im Konservatorium zu Leipzig.

von da ab bis heute – verdankt die Anstalt zum großen Theile die Stetigkeit ihrer Entwicklung. Treues Festhalten an den künstlerischen Grundsätzen seines Begründers Mendelssohn, der tüchtige, theilweise sogar vorzügliche Lehrerbestand, die nahen Beziehungen zwischen dem neuen Gewandhaus und dem Konservatorium, die zu einander in dem Verhältniß wie Mutter und Tochter stehen, die thatkräftige Unterstützung kunstsinniger Gönner und Freunde, das königliche Protektorat bilden die sichersten Bürgschaften für ein ferneres Gedeihen und fröhliches Weiterblühen des Leipziger Konservatoriums. Bernhard Vogel.     


Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Das Traumbuch.
Von Rudolf Kleinpaul.

In Schillers „Braut von Messina“ finden sich zwei Träume. Den einen hatte der Vater der unglückseligen Braut: er sah aus seinem Ehebett zwei Lorbeerbäume und zwischen ihnen eine Lilie erwachsen, die sich in eine Flamme verwandelte und das Haus verschlang. Den anderen hatte Donna Isabella: ihr deuchte, ein Löwe komme und lege einem engelschönen Kinde ein Lamm in den Schoß. Hierauf kam ein Adler geflogen, der ließ demselben Kinde ein Reh in den Schoß fallen, dann legten sich Löwe und Adler dem Kinde zu Füßen. Die Fürstin schloß, daß sich ihre Söhne in der Liebe zu ihrer Tochter begegnen würden – sie begegneten sich auch wirklich, aber anders als sie dachte. Daher ereifert sie sich nun über die Falschheit der Orakel und ruft zornig aus:

Vermauert ist dem sterblichen die Zukunft,
Und kein Gebet durchbohrt den ehrnen Himmel.
Ob rechts die Vögel fliegen oder links,
Die Sterne so sich oder anders fügen,
Nicht Sinn ist in dem Buche der Natur,
Die Traumkunst träumt, und alle Zeichen trügen.

Der Hang, über das Schicksal zu grübeln, in den tausend Zufälligkeiten des Lebens den vorausgeworfenen Schatten der Ereignisse zu sehen, die Dinge als Boten des heranziehenden Verhängnisses aufzunehmen – die Sucht, im Weltlauf Aehnlichkeiten, Beziehungen, eine unmittelbare Harmonie und Wechselwirkung zu entdecken, ist den Völkern angeboren und im allgemeinen ein Ausfluß ihrer Frömmigkeit und ihrer Eitelkeit. Sie leben der gewissen Zuversicht, daß sie unter der besonderen Obhut ihres Gottes stehen und daß ihnen derselbe Gott anzeige, was sie betreffen soll, und sie sinnbildlich, aber treulich über ihre Zukunft, namentlich wenn dieselbe trüb ist, unterrichte. In der Bewegung eines Kometen, in einem Regenbogen, einer Fluth, einem angetriebenen Walfisch; in dem Eintritt einer Sonnenfinsterniß, in dem Flug eines weisenden Vogels, in dem Angang eines Wolfes, eines Schweines, eines Heerwurms, eines alten Weibes; in ganz persönlichen kleinen Geschehnissen, sofern sie vom Willen unabhängig sind, zum Beispiel im Niesen, in alledem erblicken sie Gottes Finger, hören sie Gottes Stimme, er winkt ihnen, er ruft ihnen, er schickt ihnen diese Warnung. Als die Franzosen nach Rußland zogen und etwas Furchtbares in der Luft lag, da hieß es, sonst hätten die Rosse gewiehert, wenn sie aus dem Stalle kamen, damals hätten sie die Köpfe hängen lassen; sonst wären ihnen die Raben entgegengeflogen, jetzt begleiteten sie die große Armee nach Osten über den Niemen, den Leichengeruch witternd …

Wir sind nicht mehr in dem Grade darauf erpicht, die Zukunft abzulesen, wie es die Alten waren; aber stille Gemüther, tiefe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_605.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2024)