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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


sein, nicht aber wirkliche Meisterwerke, wie ich sie selber dem Schoße der Erde entrissen habe.

Auch auf dem Gebiet der Porträtmalerei auf Holz und Leinwand liefert der besprochene Gegenstand einen neuen Beweis für den alten Satz, daß es eigentlich nichts Neues unter der Sonne mehr giebt. Wer hätte es sich jemals träumen lassen, daß wenige Fuß unter dem Boden der Wüste Aegyptens eine ganze Auswahl antiker Porträtbilder verborgen liegt, welche die Kunst des Porträtierens zunächst etwa 2000 Jahre vor unserer eigenen Zeit als allgemein bekannt und ausgeübt bezeugen! Und das in einer abgelegenen Provinz des großen römischen Reiches, fern von der Weltstadt Rom mit ihrer Pflege der Kunst! Dazu bezeichnen die ägyptisch-griechischen Porträts nicht erst den Anfang dieser Kunst, sondern in einem gewissen Sinne das Ende derselben nach einer geschwundenen Blüthezeit der unmittelbar vorangegangenen Jahrhunderte. Da uns aus dieser Glanzperiode keine Probe erhalten ist, so schenken wir gern den begeisterten Schilderungen Glauben, welche uns klassische Schriftsteller von den Werken eines Zeuxis, Parrhasios, Apelles und anderer Meister hinterlassen haben.

Der Anblick der Bilder von Hawara rechtfertigt vollkommen unsere Voraussetzung, daß die Kunst der Alten auf ihrer Höhe vielleicht von keinem Maler der späteren Zeiten bis auf unsere Tage hin übertroffen worden ist.


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Heroinen der deutschen Bühne.

Es scheint, als ob eine wehmüthige Beleuchtung auf die Gruppe der Heldinnen fiele, welche in Deutschland noch das Banner der Tragödie hochhalten. Denn wie steht es mit dem deutschen Trauerspiel selbst? Nagt nicht schon der Holzwurm an seinem stolzen Baue? Erschallt nicht unkentönig sein Grablied? Brechen nicht alle seine Stützen zusammen unter dem Sturme und Drange hereindringender litterarischer Neuerung? Und, in der That, wenn man die neuen Lehren hört, so geht es jetzt zu Ende mit dem Trauerspiel, dessen Helden und Heldinnen auf dem Kothurn schreiten und sich groß abheben vom Hintergrund der Geschichte; so ist die Zeit gekommen, wo nur innere Seelenkämpfe alle auf dem Boden unserer gesellschaftlichen Verhältnisse berechtigt sein sollen, sich auf der Bühne abzuspiegeln und höchstens eine eingeteufelte Intrigantin oder eine leidenschaftliche Salondame, die das unterste zu oberst kehrt, noch von einem Abglanz des weiblichen Heldenthums aus früherer Zeit verklärt wird. Dann sähe es freilich schlimm aus mit den Heroinen unserer Bühne, und sie hätten nichts Besseres zu thun, als in den Charonsnachen zu steigen, den jene Kritik für sie bereit hält, und in der Schattenwelt zu verschwinden.

Doch die Aussichten sind nicht so trübe, wie es scheinen mag: noch ist ja unser Bühnenschiff fest verankert im Hafen unserer klassischen Dichter, noch wehen von seinen Masten die stolzen Flaggen eines Shakespeare, Schiller und Goethe, und es ist nicht zu befürchten, daß es so bald von diesen Ankern losgerissen werde, um ziellos auf den Wellen der neuen Sturm- und Drangzeit dahinzutreiben. Und immer wieder tauchen dichterische Talente auf, die nach den gleichen Lorbeeren streben wie jene unsterblichen Dichter. Sie werden sich wieder an Gestalten wagen wie diese, und wenn die hochgehende Brandung der Gegenwart sie zunächst in ihrem schaumspritzenden Wogenschlag begräbt, sie werden wieder auftauchen, und ihr Banner wird sich demjenigen der großen Dichter der Vergangenheit gesellen.

Damit soll indeß nicht gesagt sein, daß es der aus dem Leben der Gegenwart schöpfenden Dichtung, wenn sie von hervorragend Begabten gepflegt wird, versagt sei, Charaktere zu schaffen, deren Verkörperung eine Aufgabe ist für großangelegte dramatische Künstler. Es ist nur schwieriger, solche Gestalten von monumentaler Größe aus dem allzuweichen Material unseres bürgerlichen Lebens herauszuarbeiten, und es ist bisher nur in den seltensten Fällen gelungen.

Unter den Heldinnen unserer Bühne nimmt Charlotte Wolter vom Wiener Hofburgtheater einen hervorragenden Rang ein. Wir haben in der „Gartenlaube“ (Jahrg. 1876, Nr. 6) bereits ihr Bild gebracht, und zwar in einer ihrer Glanzrollen als Messalina in Wilbrandts Trauerspiel „Arria und Messalina“; sie ist also unseren Lesern keine Fremde mehr. Ein Kind der schönen Rheinlande, in Köln geboren, hat sie dort von der Pike auf gedient. Sie begann ihre Laufbahn als Choristin des Kölner Stadttheaters; dann erschien sie an der blauen Donau, ohne Ahnung davon, daß dort einmal ihre Lorbeeren wachsen sollten; denn am Karltheater in Wien war kein Boden für tragische Begabungen, und es war ein weiter Weg von der Leopoldstadt zum Burgtheater auf dem Michaelerplatz, ein Weg, den sie damals unmöglich zurücklegen konnte. Ihr Name wurde zuerst in weiteren Kreisen genannt, als Dingelstedt am Berliner Viktoriatheater seine Bearbeitung von Shakespeares „Wintermärchen" in Scene setzte. Mit so glänzendem Geschick auch diese Bearbeitung das so wenig einheitliche Stück mit seinen oft kindlichen Motivierungen theatralisch wirksam gemacht hatte, ohne das plötzlich auftauchende Talent der Charlotte Wolter würde der Erfolg doch kein so nachhaltiger gewesen sein. Das Schauspiel hat eine große Scene, die Gerichtsscene, und in dieser erhebt es sich zu dramatischer Bedeutung, wenn die Rolle der Hermione von einer berufenen Tragödin gespielt wird. Und als solche offenbarte sich Charlotte Wolter an diesen Abenden; an Shakespeare entzündete sich zuerst ihr Feuer und Dingelstedt war ihr erster dramatischer Mentor. Heinrich Laube hatte schon länger ein Auge auf sie geworfen; er hatte seine dramaturgischen „Detektives", welche sich an die Fersen der jungen Talente hefteten, und Lewinsky, den er nach Berlin geschickt hatte, berichtete von dort, daß die junge Künstlerin sich vielversprechend entwickle. Maurice hatte sie für das Hamburger Stadttheater engagiert, Laube wollte sie für die „Burg“ gewinnen, und es gelang ihm mit schweren Opfern. Hier endlich fand ihre große Begabung die Kunststätte, wo sie sich frei und bedeutsam entfalten konnte. Die ganze Eigenart derselben zeigte sich in leidenschaftlichen Rollen; der Affekt, die Leidenschaft wirkten bei ihr wie eine Naturkraft mit hinreißender, zündender Gewalt. Der unnachahmliche „Wolterschrei“, dieser stärkste packende Ausdruck der aufs höchste gesteigerten Gemüthsbewegung, ist für ihre ganze Darstellungsweise bezeichnend.

Charlotte Wolter ist niemals durch eine strenge Schule gegangen, so groß auch Laubes Einfluß auf sie gewesen sein mag; das Regelrechte, Schulmäßige, am Spalier Gezogene ist ihr stets so fremd geblieben, daß es ihrem Spiele nicht an einzelnen überwuchernden Ranken fehlte. Die harmonische schwungvolle Dichtersprache Schillers und Goethes mochte in ihrer ganzen Klarheit und Reinheit bei geringeren Talenten mehr zur Geltung kommen, wenigstens wo es sich um den ruhigen Vortragston handelte, und die Glanzrollen der Schillerschen Dramen waren nicht die ihrigen; aber Grillparzers Sappho, besonders in den späteren Scenen voll seelischer Erregtheit, seine Medea mit ihrer wilden Leidenschaftlichkeit, die Lady Macbeth, die Gräfin Orsina, die Deborah, die Phädra, die Krimhild und Maria Magdalena in Hebbels Dramen, die Messalina, das waren Gestalten, in denen sie mit ihrem ganzen Naturell aufging, Gestalten voll Lebensblut und, wo es darauf ankam, voll berauschender Liebesgluth, und keine neuere Darstellerin vermochte so wie Charlotte Wolter die Stürme der Leidenschaft zu entfesseln. Schöne ausdrucksvolle Züge, eine Gestalt von Ebenmaß und Fülle zugleich unterstützten ihre künstlerischen Triumphe, und was die gesellschaftliche Stellung betrifft, so konnte die frühere Kölner Choristin als Gräfin O’Sullivan in den Salons der Gattin des obersten Theaterleiters, des Prinzen Hohenlohe, einen bevorzugten Rang behaupten, denselben Rang, den sie in der Glanzepoche des Wiener Hofburgtheaters

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_632.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2024)