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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Summen gezahlt wurden. In Nottingham wurde die erste Werkstätte für Wirkwaren errichtet, und von hier aus verbreitete sich dieser Erwerbszweig rasch über die Grafschaften Derbyshire und Leicestershire, wo heute Hunderttausende von Wirkstühlen in Betrieb sind. Auch in London begann die Strumpfwirkerei sehr bald festen Fuß zu fassen, und schon im Jahre 1657 gewährte Cromwell den dortigen Inhabern von Stühlen die Privilegien einer gesetzmäßigen Zunft.

In Deutschland wurde die neue Industrie erst nach 1685 bekannt, in welchem Jahre Ludwig XIV. von Frankreich das Edikt von Nantes aufhob und damit die Protestanten aus seinen Staaten vertrieb. Die meisten derselben wendeten sich nach Deutschland und brachten dorthin ein reiches Kapital an Kunstfertigkeit auf gewerblichem und künstlerischem Gebiet. Auch zahlreiche Strumpfwirker befanden sich unter ihnen, und von der Noth getrieben, begannen sie sofort ihre Thätigkeit, die für Deutschland um so bedeutungsvoller wurde, als um diese Zeit der Verkauf englischer Wirkstühle nach dem Ausland verboten wurde, da die dortigen Wirkwarenfabrikanten den reichen Gewinn, den der neue Erwerbszweig abwarf, ausschließlich in ihre Taschen einstreichen wollten.

Ein rascher und ungeahnter Aufschwung der deutschen Wirkerei erfolgte, und insbesondere war es das gewerbfleißige Sachsen, welches sich mit Eifer der Sache annahm. Die Großartigkeit und Mannigfaltigkeit des von Lee begründeten Fabrikationszweiges erhellt am besten daraus, das es mehr als fünftausend verschiedene Gegenstände sind, welche derselbe gegenwärtig umfaßt, und noch immer wird diese Industrie nicht müde, neue Luxus- und Bedarfsartikel in den Bereich ihres Herstellungsgebietes zu ziehen, so daß sie längst zu den entwickeltsten und bedeutungsvollsten aller, im großen betriebenen Erwerbszweige gehört.

Das Wappenschild, welches Cromwell der Londoner Strumpfwirkergilde zugleich mit den zünftigen Körperschaftsrechten verlieh, zeigt den Erfinder des Wirkstuhles, William Lee, im Priesterornate, mit der Hand auf einen fertigen Strumpf deutend; ihm zur Seite steht eine Frau, die Stricknadeln unthätig in der Hand haltend, zum Zeichen, daß dieselben jetzt überflüssig seien. Es ist das einzige Denkmal, welches die Erinnerung an den genialen Erfinder wach erhalten hat; die Nachwelt hat diesen Märtyrer der Industrie vergessen, wie sie so viele Förderer des Menschheitswohles vergaß. Und darum ist es eine Pflicht der Dankbarkeit, den Hunderttausenden, denen seine Erfindung Lohn und Brot gewährt, und den ungezählten Millionen, welche die Erzeugnisse des Wirkstuhles nicht entbehren mögen, den Namen William Lee wieder ins Gedächtniß zurückzurufen. Moritz Lilje.


Aus Deutschlands Industriewerkstätten.

Die Glashütte am Schliersee.
Von Arthur Achleitner. Mit Abbildungen von Alois Eckardt.

Mit vollem Rechte wird der blau-grüne Schliersee als der lieblichste See in den deutschen Vorbergen der Alpen gepriesen, und nicht umsonst übt er alljährlich auf die erholungsuchende Menschheit eine mächtige Anziehungskraft aus. Der Reiz dieses Alpenbildes entzückt den Beschauer mit jeglicher Stunde aufs neue, ein stiller süßer Traum liegt über dem Gefilde, eine ungekannte Ruhe überkommt den Menschen, die Ruhe des geläuterten reinen Naturgenusses.

Die Pforte zu dem Paradies bildet das reizend gelegene Dörfchen Schliersee oder Schliers, wo die Eisenbahn endet und das sauber gehaltene Sträßlein vorüber am schwach gekräuselten See bergeinwärts führt. Tausende und Abertausende pilgern den Weg zu Füßen des Hohenwaldeck, den Blick auf die herrlichen Bergspitzen des Jägerkamp und der Brecherspitze gerichtet. Was jenseit des Wassers liegt, kümmert die eiligen Wanderer weniger, kaum ein achtloser Blick fliegt hinüber, wo der Freudenberg tannenumfangen sein Haupt erhebt. Jetzt steht ein Hotel auf dem Hügel, in nichts daran erinnernd, daß der Ritter von Hohenwaldeck zum Gedächtniß an seine bewaffnete Pilgerfahrt nach Jerusalem und sein Verweilen auf „Neby Samuel“, von wo er die Heilige Stadt erblickte, den Hügel mit dem Thurme in der trauten Heimath „Freudenberg“ genannt hatte. Später freilich war der Berg für ihn kein Berg der Freude mehr, bösen Einflüsterungen folgend, glaubte der Ritter an die Untreue seiner Gemahlin, warf sie, mit dem Freunde in den Thurm, wo die Opfer seines Jähzornes elend verhungerten. Kein Stein von diesem Thurme ist mehr zu finden. Vorbei ist die Zeit des Ritterthumes! Dafür erstand auf altgeschichtlichem Boden eine Pflegstätte emsiger Arbeit, gewerblichen Fleißes. An der Buchtung des westlichen Seeufers, verdeckt durch den Freudenberg und den Rücken des Schwaigerötz, liegt idyllisch eingebettet eine Glashütte, deren Erzeugnisse sich einen guten Platz auf dem Weltmarkt erobert haben. Angelehnt an den saftgrünen Bergrücken, umrahmt von Fels und See, liegt die Hütte da, nachbarlich umgeben von den sauberen Arbeiterhäusern, überragt von des Besitzers Wohnhaus, aus dessen selbsterzeugten Fenstern man hinüberblickt auf die Stätte, wo einst die stolze Burg und Feste Hohenwaldeck die Grafschaft beherrschte. Dem Holzüberfluß und der Schwierigkeit, den Holzreichthum nutzbringend hinaus in das Flachland zu schaffen, verdankt die Glashütte am Schliersee ihre Gründung, während ihre Entwicklung zur ersten Hütte in Deutschland, welche Antikglas fabrizierte, in den Anfang der siebziger Jahre fällt.

Die Glashütte in Schliersee.

Die Erzeugung des Antikglases, d. h. in verschiedenen Farben und Tönen schattierter Tafeln für die Glasmaler, gewann große Bedeutung, als in den glücklichen Zeiten Ludwigs I. von Bayern die Glasmalerei wieder zu herrlicher Blüthe erstand. Zu Benediktbeuern und Wolfratshausen gelang es zwar, zur Glasmalerei brauchbares Glas herzustellen, doch waren die Ksten zu groß; man mußte deshalb das nöthige Glas aus Frankreich und Belgien beziehen, bis sich die englischen Hütten den Weltmarkt eroberten. Als 1853 die Wolfratshausener Glashütte einging, bestand in Deutschland keine Fabrik mehr, welche Antikglas fertigte.

Aber der Aufschwung der Glasmalerei machte die Fabrikation eines brauchbaren deutschen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_654.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)