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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Augenblick deutlich von unten herauf, von Schmerzensrufen unterbrochen.

Hans sank in die Knie. „Mein Verhängniß! Hörst Du es, Claire? Er spricht die volle Wahrheit!“

„Sein Vater – sein Vater – ein alter Dieb, ein Schuft!“ tönte es aus der Nacht herauf.

Leute mit Lichtern kamen, durch den Lärm geweckt. Herr Berry selbst trat halb angekleidet aus dem Hause. Hinter Claire erschien die Gestalt der Mutter im Zimmer, das ganze Haus war wach.

„Hörst Du es, Claire? Er spricht die volle Wahrheit!“ wiederholte Hans, auf nichts achtend.

„Und das soll uns trennen – ein blindes Verhängniß? Nein, Hans, ich lasse Dich nicht, allen Dämonen zum Trotz, die sich zwischen uns drängen!“ Sie klammerte sich fest an ihn.

Aus dem Zimmer rief es entsetzt: „Claire! Claire!“ Zitternd am ganzen Körper sah die Mutter ihr Kind aus dem Fenster gebeugt, von den Armen eines Unbekannten umschlungen.

„Frei! Frei!“ jubelte Hans und stürzte ungestüm davon.

Die Leute, die sich unten versammelt hatten, wußten sich den ganzen Auftritt nicht zu deuten. Der sterbende Mann, der offenbar vom Gerüst gefallen war, war schon still geworden, als sie kamen und Berry hatte ihn ins Haus schaffen lassen. Die Scene mit Claire war ihnen durch das Gerüst verdeckt, sie hatten nur unverständliche Stimmen gehört, die bei dem allgemeinen Lärme nicht auffielen. Und jetzt erschien zu alledem noch Hans Davis unter ihnen, verstört, die Kleider beschmutzt und zerrissen, und fragte athemlos nach Berry. Man stellte von allen Seiten Fragen an ihn, er beantwortete sie nicht und verschwand eilig im Hauseingang, nachdem man ihm gesagt hatte, der Kommerzienrath sei in einem kleinen Raume zu ebener Erde, wohin man den Sterbenden gebracht habe.

Hans folgte dem Lichte, das aus einer halb geschlossenen Thür fiel, und trat in das Zimmer, wo Holzmann lag, den Stempel des Todes im Gesicht; Berry stand vor ihm. Ein wildes Lächeln zuckte um die Lippen des Verbrechers, als er Hans erblickte.

„s’ hat doch nicht gelangt zum Vertuschen ... er weiß alles, der Herr Berry ... Gesegnete Mahlzeit zu der Suppe, Herr Davis!“

Hans blickte auf den Kommerzienrath, dessen finsteres Antlitz ihn das Schlimmste befürchten ließ. „Herr Berry,“ sagte er düster, „man entrinnt seinem Schicksal nicht. Ich werde Ihnen die Räthsel dieser Nacht morgen erklären, soweit es der freche Mund dieses Gesellen nicht schon gethan hat.“

Berry machte eine abwehrende Bewegung. „Es sind mir keine Räthsel. Es handelt sich jetzt nur um eines. Ich habe Licht im Zimmer meiner Tochter gesehen. War sie Zeugin dieser Scene?“

„Ja ... und ich sprach – sie weiß alles!“

„Und sie war gebrochen?“

„Sie schwor, auszuharren bei mir, allen Dämonen zum Trotz.“

„Wohl ihr! Sie hat die Feuerprobe bestanden, der ich sie nicht auszusetzen wagte. Komm’, Hans, auch uns soll diese Nacht nicht trennen.“ Er breitete die Arme aus, und Hans warf sich ihm wortlos an die Brust. Da ertönte vom Bette her ein wilder Aufschrei – Holzmann hatte geendet.

„Komm’, mein Sohn,“ sagte Berry, „Dein Verhängniß ist tot. Morgen beginnt ein neues Leben, über das die Vergangenheit keine Macht haben soll.“

*  *  *

Das Gericht hatte die Untersuchung über den Einbruch bei Berry bald wieder eingestellt. Hans hatte den Hergang wahrheitsgetreu zu Protokoll gegeben, nur den Namen des zweiten entflohenen Einbrechers hatte er verschwiegen. Trotz aller Nachforschungen war über dessen Person und Verbleib kein Anhalt zu gewinnen. Viel hatte zur raschen Erledigung der Sache auch der Einfluß des Kommerzienraths beigetragen, der dringend gebeten hatte, ihn und die Seinigen, die von dem vorhergegangenen Familienunglück schwer genug getroffen seien, mit allen Weiterungen zu verschonen, die ja diesem Thatbestand gegenüber doch eigentlich zwecklos seien.

In der Stadt liefen eine Zeitlang die verschiedensten Lesarten um über die Ereignisse jener Nacht, dann verschwand der willkommene Gesprächsstoff, der alle Kreise beherrscht hatte, spurlos in dem rastlosen, aus unergründlicher Tiefe immer Neues zur Oberfläche tragenden Lebensstrom der Großstadt.

Erst nach einem Jahre wurde man wieder nachhaltiger an die alte Geschichte erinnert, als im Berryschen Hause die Hochzeit Claires mit Hans Davis stattfand. Man hatte viel Wichtiges und Unwichtiges darüber zu reden. „Eine rührende Illustration zu den Leitartikeln, die gegenwärtig die Presse des ganzen Landes füllen – die Einigung des Kapitals mit der Arbeit!“ spottete man in den Kreisen, welche nachgerade dem Kommerzienrath die Schuld beimaßen, daß eines der angesehensten Glieder der Gesellschaft, Graf Maltiz, ruiniert und mit Hinterlassung einer ungemein standesgemäßen Schuldenlast nach Amerika geflohen war. „Wieder einmal ein Beweis, diese Hochzeit, daß das Kapital doch nicht so hartherzig ist, wie man täglich hören muß, daß der richtige Mann den Weg zur Anerkennung und sogar zu glänzendem Lose noch immer sich bahnen kann!“ so hieß es bei anderen.

Die beiden aber, um die sich alle diese Gespräche drehten, Hans und seine Gattin, bekümmerten sich nicht um die Welt und ihre Meinung; still, ganz der Arbeit und sich selbst gewidmet, lebten sie in dem einfachen Hause, das der Kommerzienrath für den neuen Direktor seiner Werke, Hans Davis, seiner Villa gegenüber hatte bauen lassen. Die Ketten eines dunklen Verhängnisses – sie waren zerrissen, aus ihnen hatten die beiden Glücklichen mit starker Hand eine neue ewige Fessel geschmiedet – die Fessel inniger Liebe und Treue.


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Verbrannte Papiere.

Handschriften, Urkunden, Geschäftsbücher können gegen Feuersgefahr nicht versichert werden, man muß sie darum ebenso wie das Geld besonders schützen. Man thut dies, indem man sie in die bekannten feuerfesten Schränke einschließt. Sind aber diese lange Zeit der Gluth ausgesetzt gewesen, so werden die Papiere in ihrem Innern durch die gewaltige Hitze verändert, und wenn sie auch nicht verbrennen, so verkohlen sie doch zum Theil. Sie befinden sich alsdann in einem eigenartigen Zustand, der für ihre Erhaltung gefährlich werden kann.

Man hat diese Gefahren erst nach und nach kennengelernt. Zu ihnen gehört vor allem ein zu frühzeitiges Oeffnen der Schränke nach stattgehabtem Brande. In den siebziger Jahren hat man in Berlin bei dem großen Brande einer Wollwarenfabrik eine trübe Erfahrung in dieser Beziehung gemacht. Man grub einen Geldschrank aus dem rauchenden Schutt hervor und fand ihn stark erhitzt, durch kräftiges Bespritzen mit Wasser wurde er zwar, wie man glaubte, in kurzer Zeit gehörig abgekühlt, und man schritt zur Oeffnung, die jedoch nur mit Anwendung großer Gewalt möglich war, kaum aber hatte man die Thür aufgebracht, so schlug aus dem Innern des Schrankes eine Flamme hervor, welche alle darin befindlichen Bücher und Papiere verzehrte.

Die Erklärung dieser Erscheinung ist ganz leicht. Die Doppelwände solcher Schränke sind mit schlechten Wärmeleitern ausgefüllt, welche die Gluth von dem Innern abhalten sollen. Ist nun der Brand ein bedeutender und steht der Schrank lange im Feuer, so wird trotz der schlechten Wärmeleiter das Innere des Schrankes stark erhitzt. Wird dieser schließlich aus dem Schutt hervorgezogen, so kühlen sich die äußeren eisernen Theile leichter ab, während das Innere noch lange heiß bleiben muß, da die schlechten Wärmeleiter in den Zwischenräumen der Wände die Wärme nicht herauslassen. Die Papiere im Inneren befinden sich aber in einem mehr oder weniger angesengten Zustande. Sind sie im Augenblick der Oeffnung noch heiß, so genügt schon ein frischer Luftzug, ein reichlicherer Zutritt sauerstoffhaltiger Luft, um sie zu entflammen. Darum ist die Regel aufgestellt worden, daß man Geldschränke, die im Feuer gestanden haben, erst nach gehöriger Abkühlung und nach einer geraumen Zeit öffnen soll.

Außer Verbrennungsgefahr ist freilich das Papier dann noch keineswegs. Das beweist ein anderer Vorfall, der in Amerika sich ereignete. Dort wurden Papiere und Bücher nach gehöriger Abkühlung der Schränke aus denselben herausgenommen, sie waren zwar, namentlich an den Rändern, angekohlt, befanden sich aber sonst in einem ganz leidlichen Zustande, so daß man die Schrift gut lesen und die einzelnen Blätter auseinanderfalten konnte. Froh, die Geschäftsbücher und -papiere gerettet zu haben, legte sie der Besitzer in seiner Privatwohnung auf einen Marmortisch. Als er aber am andern Morgen das Zimmer betrat, fand er anstatt der Bücher und Papiere nur einen Haufen Kohle und Asche, der zwar genau die Form der Bücher beibehalten hatte, jedoch bei der leisesten Berührung in Staub zerfiel. Die eingeleitete Untersuchung erwies, daß eine nachträgliche Brandstiftung ausgeschlossen war.

Dieser sonderbare Vorgang läßt sich ebenfalls auf Grund der physikalischen und chemischen Gesetze erklären.

Wir müssen dabei an die Selbstentzündungsprozesse in der Natur denken. Die Holzkohle z. B. besitzt die Eigenschaft, in ihren Poren gas- und dampfförmige Körper zu verdichten. Frische Buchsbaumkohle saugt das 35- bis 40-fache ihres Raumgehalts an Kohlensäure auf. Wo aber Gase verdichtet werden, da wird Wärme frei, und so kann sich auch frische Holzkohle an der Luft erhitzen, ja sich selbst entzünden. In Fabriken, die viel Holzkohle brauchen, sind derartige Selbstentzündungen schon öfters vorgekommen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_695.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2024)