Verschiedene: Die Gartenlaube (1892) | |
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Halbheft 23. | 1892. | |
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Jahrgang 1892. Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.
Julia ging nicht getröstet von Therese Krautner heim; sie
wäre am liebsten zornig auf die Freundin geworden und
schalt sich selbst darüber aus. Aber ihre Stimmung ward nicht
besser. Leise wie ein Dieb schlüpfte sie hinauf in den einzigen
Winkel, der ihr eigen gehörte, das kleine Stübchen unter dem
Dache. Es war ganz finster hier, allein sie fand doch den
alten Lehnstuhl und kauerte sich fröstelnd hinein. Unverdrossen
troff der Regen hernieder; sie hörte deutlich das Rieseln und
Glucksen des Wassers auf den Ziegeln über sich, aber das Dach
war gut und fest, es ließ kein Tröpfchen durch. Hier war sie
geborgen, hier konnte sie sich ungestört den finsteren trotzigen
Gedanken überlassen, die ihre Seele mit scharfen Krallen packten,
so daß sie selbst erschrak vor der Menschenverachtung und der
ätzenden Bitterkeit, die sie erfüllte und die durch keine süße Erinnerung,
durch keine Hoffnung auf späteres Glück zu bannen
war. Monatelang hatte diese Hoffnung geholfen, ihr die öde
Gegenwart zu erhellen, heute vermochte ihr Herz auch nicht an
ein bißchen Glück mehr zu glauben. Sie saß da, mit geballten
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_709.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2019)