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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

hatte, weil er keine selbständigen Kunstwerke lieferte, sondern Stiefel und Schuhe nur zu flicken und zu besohlen pflegte. Dafür war er ein gewaltiger Redner vor dem Herrn und nach dieser Seite hin zollten ihm alle Zünfte ohne Ausnahme begeisterte Anerkennung.

Mit dem Beischuster schloß nun Morgenstern innige Freundschaft; er gab sich zunächst Mühe, Stimmung zu machen und das Volk einzunehmen für den jungen König von Preußen, dessen Vorzüge er in das hellste Licht zu setzen wußte. Und wenn die beiden im Breslauer Rathskeller ihre feurigen Reden hielten, so vergaßen alle, auf die „Lümmelglocke“ zu hören, welche das Zeichen gab, den Keller zu schließen. Der Hofrath und der Beischuster standen auch an der Spitze der Volksmenge, die, ins Rathhaus eindringend, den hohen Rath nöthigte, den Einmarsch österreichischer Truppen abzulehnen und die Selbständigkeit der gemeinen und freien Stadt Breslau aufrecht zu erhalten. Friedrich unterschrieb den Vertrag der Neutralität, aber mit dem Zusatz „unter den jetzigen Konjunkturen und so lang sie dauern werden“, ein Zusatz, auf den die Weisheit der Breslauer Rathsmänner nicht sonderlich achtete. Dr. Morgenstern hatte inzwischen über die Stimmung der Breslauer dem König genauen Bericht erstattet, und dieser hielt bald darauf als Gast des Rathes seinen Einzug in die Stadt, auf schnaubendem Schimmel, im blausamtenen Kleide mit weißen Achselbändern, mit dem silbernen Sterne geschmückt, über all dem Glanze einen schlichten blauen Mantel. Das war der erste Triumph des kleinen Morgenstern, denn hinter diesem harmlosen Einzug und der Gastfreundschaft der neutralen Stadt lauerten ganz andere Dinge!

Doch es bedurfte zum völligen Triumphe vor allem eines Sieges: das österreichische Heer mußte geschlagen werden, und das geschah in der ruhmreichen Schlacht bei Mollwitz. Nun brauchte der König Geld und schrieb eine Steuer aus für ganz Schlesien — die Beredsamkeit Morgensterns und seines Genossen Döblin brachte es dahin, daß die Breslauer Zünfte sich aus freien Stücken erboten, diese Steuer mit aufzubringen. Darauf konnte sich der kleine Doktor viel zugute thun; denn es gehört zu den seltensten Ereignissen der Geschichte, daß sich eine Bürgerschaft dazu drängt, eine freiwillige Steuer zu zahlen und als dann nach der Schlacht bei Mollwitz die Oesterreicher sich durch Hinterlist der schlesischen Hauptstadt zu bemächtigen suchten, wobei Intriguen der Nonnen und der adeligen Damen, jene bekannte „Verschwörung der Frauen“, mitspielten, da war Morgenstern mit seiner feinen Spürnase wieder auf dem Platze und half nach Kräften diese geheimen Gespinste entwirren und den Einzug der preußischen Truppen, der jetzt eine politische Nothwendigkeit geworden war, vorbereiten. So hatte dieser „Hofnarr als Demagoge“ nicht geringen Antheil daran, daß Breslau eine preußische Stadt wurde.

Morgenstern verscherzte auch später nicht die Gunst des großen Königs, der ihn zum Vicekanzler von Schlesien ernannte. 1756 wurde er von Friedrich nach Potsdam berufen, wo er bis zu seinem Tode am 16. November 1785 blieb. Der kleine Mann hatte ein Alter von fast 80 Jahren erreicht.

Das nachgelassene Werk von Hofrath Morgenstern „Ueber Friedrich Wilhelm I.“ erschien im Jahre 1793. Es ist eine sehr beachtenswerthe Schrift, denn Morgenstern war wie wenige in der Lage, ein Charakterbild dieses eigenartigen Fürsten zu entwerfen, dessen Vertrauen er bis zuletzt genoß; er verschweigt seine Fehler nicht, aber er entschuldigt sie und rechnet am Schlusse den König zu den wahrhaft großen Fürsten, die für das Glück ihrer Völker regiert haben.

Der Verfasser selbst, eine der buntscheckigsten Persönlichkeiten des vorigen Jahrhunderts – Gelehrter, Diplomat und Hanswurst, je nachdem die eine oder die andere dieser Schubladenrollen angebracht war oder auf höheren Befehl gespielt werden mußte, gehört weder zu den Zierden der deutschen Wissenschaft, noch zu den Staatsmännern von Ruf und Bedeutung; sein Charakter war nicht makellos; er war geizig, eigensinnig und Anhänger einer cynischen Denkweise; für die Stellung der Gelehrten jener Zeit aber ist dieser närrische Kauz neben Gundling in hohem Maße bezeichnend, er ist überhaupt eines der eigenartigsten und drolligsten Exemplare, welche die deutsche Professorengeschichte aufzuweisen hat.



Blätter und Blüthen.


Distanzritt und Humanität. In den ersten Oktobertagen hat sich zwischen Berlin und Wien ein Schaustück abgespielt, das die Augen von ganz Europa auf sich lenkte und die öffentliche Aufmerksamkeit, insbesondere in Deutschland und Oesterreich-Ungarn, lebhaft beschäftigte.

Es war ein Wettreiten veranstaltet zwischen deutschen und österreichisch-ungarischen Offizieren, und zwar in der Weise, daß die Deutschen von Berlin nach Wien, die Oesterreicher von Wien nach Berlin zu reiten hatten. Hohe Preise waren für die Flinksten ausgesetzt, und zu dem Sporn, der in diesen respektablen Summen und in zwei Ehrenpreisen lag, trat noch der landsmannschaftliche Ehrgeiz – wer reitet besser, der Deutsche oder der Oesterreicher?

Ein tapferes Reiterstück, männliche Kraft, Geistesgegenwart und Ausdauer wissen auch wir zu schätzen, und wenn es bei dem geblieben wäre, was anfangs wohl mit diesem Distanzritt in Aussicht genommen war, nämlich zu zeigen, was ein tüchtiger Reiter mit seinem guten Rosse leisten kann, ohne das letztere zu Schanden zu reiten, so hätten die Sieger allgemeinen Beifalls sicher sein dürfen. Aber es ist leider ganz anders gekommen!

Es wurde geritten, schneidig und scharf, Tag und Nacht, mit spärlicher Ruhe und spärlicher Nahrung, erst wohl in fröhlichem Trab, zuletzt in hastigem Voranhetzen – und sie kamen an, die edlen Renner, todmüde und abgetrieben, mit sporenzerfetzten Flanken und striemenbedecktem Leib, mit hängender Zunge und stumpfen verglasten Augen, wenige Stunden am Ziele, und sie mußten elend verenden, wenn sie nicht schon unterwegs auf der Strecke geblieben waren, einer um den anderen ein Opfer für – ja, was war’s, wofür sie geopfert wurden?

Wollspinne.

Es gehört zu den Obliegenheiten unserer Heeresleitung, sich über die Leistungsfähigkeit des ihr zu Gebote stehenden Materials an Menschen und Thieren Klarheit zu verschaffen. Es ist dies von höchster Bedeutung für den Krieg, also für die Vertheidigung des Vaterlandes. Hätte sich der Ritt in dem durch diese Pflicht gegebenen Rahmen gehalten, hätte man sich, wie es zweifellos der schon angedeutete ursprüngliche Gedanke der Veranstalter war, darauf beschränkt, festzustellen, wieviel ein geübter Reiter auf gut eingerittenem, sorgfältig trainiertem Pferde im Dauerritt zu leisten vermöge, ohne dabei samt seinem Rosse dienstunfähig zu werden, so hätte sich dagegen nichts einwenden lassen.

Leider ist die Ausführung diesem Gesichtspunkt nicht treu geblieben. Die Idee des Distanzritts Berlin-Wien verwandelte sich während der Ausführung in eine reine Sportsidee, und diese Ausartung des ursprünglichen Plans ist es, welchem von rund zweihundert edlen Pferden an die dreißig zum Opfer gefallen sind, derer nicht zu gedenken, die infolge der ubermäßigen Anstrengungen zu elenden Krüppeln herabgesunken sind, kaum noch fähig, als Droschkengäule traurigster Sorte ihr Dasein zu beschließen.

Und darum hat sich mit Recht die öffentliche Meinung empört über die Scenen, die sich in diesen Oktobertagen zwischen dem Tempelhofer Steuerhäuschen und Floridsdorf abgespielt haben! Wie, dürfen wir künftig mit pharisäischem Gesittungshochmuth auf die Stiergefechte der Spanier herabschauen? Wie, dürfen wir auch künftig dem armen Karrenführer die Polizei auf den Hals schicken, wenn er um seines kümmerlichen Erwerbes willen sein kläglich verkommenes Thier einmal übermäßig anstrengt und es mit grausamen Peitschenleben vorwärts treibt? Wahrlich, zwischen Wien und Berlin ist Schlimmeres geschehen in diesen Tagen, und die, welche die Verantwortung dafür tragen, können nicht die Entschuldigung für sich beanspruchen, daß sie nicht wußten, was sie thaten.

Man sage nicht: wer konnte ahnen, daß es so gehen würde! Wir können nicht annehmen, daß die Theilnehmer an dem unheilvollen Ritte sich über die Leistungsfähigkeit ihrer Pferde so sehr im Unklaren befunden haben, daß sie die Folgen nicht hätten voraussehen können; jedenfalls mußten sie im Verlauf des Ritts die unzweideutigste Aufklärung gewinnen, wohin die Ueberspannung sie führen würde, und sie mußten die Aufregung, welche sie dem Ziele entgegentrieb, bemeistern.

Nun das Unglück geschehen ist, bleibt uns nur noch übrig, die Hoffnung auszusprechen, daß ein derartiger Versuch in diesen Formen nicht wiederholt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_738.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2023)