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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


August Essenwein †. Mit Bildniß. Auf dem mittelalterlichen Friedhof zu St. Johannis, wo schon eine Reihe bedeutender Männer der deutschen Kunst und Wissenschaft die letzte Ruhestätte gefunden hat, begrub die Stadt Nürnberg am 16. Oktober einen ihrer besten Bürger, den Geheimerath August v. Essenwein, der über ein Vierteljahrhundert an der Spitze des Germanischen Museums stand und dieser Anstalt erst ihre Größe, ihre Bedeutung für das ganze deutsche Vaterland gab.

Als Essenwein, von Hause aus Architekt, nach einer mehrjährigen Wirksamkeit zu Wien und an der technischen Hochschule zu Graz 1866 als Leiter des Germanischen Museums nach Nürnberg berufen wurde, lag schon eine reiche Arbeit auf dem Gebiet der deutschen Kunstgeschichte hinter ihm, namentlich war er einer der ersten gewesen, der durch Sammlung und Veröffentlichung mustergültiger Vorbilder aus der Blüthezeit des deutschen Handwerks das Wiedererwachen unseres Kunstgewerbes fördern half. Es war keine leichte Aufgabe, die er jetzt übernahm. Die Anstalt war überall noch in höchst bescheidenen Anfängen und litt unter einer Schuldenlast von mehreren hunderttausend Mark, dazu setzte der ausbrechende Krieg jeder umfassenden Agitation zu ihren Gunsten ein Ziel. Aber die Thatkraft des neuen Direktors überwand alle Schwierigkeiten, vollends seitdem auch Deutschlands politische Lage sich zum besten gewandt hatte; er wußte, auf der von Freiherrn v. Aufseß geschaffenen Grundlage weiterbauend, die Opferwilligkeit unseres ganzen Volkes, den Sinn für die Denkmäler der deutschen Vergangenheit in weitgehendem Maße für die Zwecke des Museums wachzurufen und so eine archäologische Anstalt zu schaffen, die als die erste Deutschlands bezeichnet werden darf.

Und nicht nur, daß Essenwein auf diese Weise des „Deutschen Reiches Generalkonservator“ wurde, der ein unendliches Material für die Geschichte unserer Kultur zur Belehrung der Laien, zum Studium für Künstler und Gelehrte zusammentrug – er wußte das Gesammelte auch harmonisch zu ordnen, vielfach in neuen Räumen, die er unter Benutzung architektonisch werthvoller Ueberreste von da und dort unter eigener Leitung nach eigenen Plänen errichten ließ. Nebenher fand er noch Zeit, ausgezeichnete Entwürfe für die stilgerechte Erneuerung hervorragender kirchlicher Bauten zu liefern, sowie eine Reihe kunsthistorischer Werke zu verfassen und mit stets gleicher Freundlichkeit aus dem reichen Borne seines Wissens heraus den Tausenden zu rathen, die sich an ihn wandten.

August Essenwein.
Vorstand des Germanischen Museums in Nürnberg,
† am 13. Oktober 1892.
Nach einer Photographie von W. Biede in Nürnberg.

Allein auch seine staunenswerthe Arbeitskraft war auf die Dauer den geistigen und körperlichen Anstrengungen, die an ihn herantraten, nicht gewachsen. Obwohl schon längere Zeit leidend und der Ruhe dringend bedürftig, wollte er doch noch den Verhandlungen beiwohnen, welche die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches, die Sicherstellung der Zukunft des Germanischen Museums, zum Ziele hatten, aber kurz vor Beginn dieser Verhandlungen erlag er am 13. Oktober, noch nicht ganz 61 Jahre an – er war am 2. November 1831 zu Karlsruhe geboren – unerwartet schnell seinem Leiden. Er hat sich in dem Museum, das wesentlich als seine Schöpfung betrachtet werden darf, ein dauerndes Denkmal gesetzt. H. B.     

Ophelia. (Zu dem Bilde S. 760 und 761) Eine der lieblichsten Mädchengestalten Shakespeares ist Ophelia im „Hamlet“. Sie hat etwas Zartes, duftig Verschleiertes, und dieser Schleier, der über ihrem Seelenleben liegt, hat sogar zu verschiedenen Auffassungen desselben Anlaß gegeben. Namentlich über ihr Verhältniß zu Hamlet gehen die Ansichten auseinander, da auch die große Scene zwischen dem Dänenprinzen und ihr, am Anfang des dritten Aktes, darüber keine Klarheit bringt, weil der Prinz mit genialem Humor Tollheit heuchelt und an den Grenzen derselben sich bewegt. Auch über den Wahnsinn der Ophelia finden sich nur Andeutungen. Als ihr Hamlet den berühmten Rath ertheilt: „Geh’ in ein Kloster, Ophelia!“ da jammert sie über die Geistesstörung des Prinzen:

„O welch ein edler Geist ist hier zerstört!“

und als sie wieder auftritt, da ist ihr eigener Geist vollkommen zerrüttet. Was dazwischen liegt, muß der Leser, der Zuschauer aus den Anhaltspunkten in ihren irren Reden ergänzen.

Das Bild von J. Hamza zeigt uns die Scene im vierten Akt des Shakespeareschen Trauerspiels, den Augenblick, in dem das arme Mädchen, phantastisch mit Kräutern und Blumen geschmückt, vor der Königin erscheint und ihr Blumen überreicht, Vergißmeinnicht und Rosmarin. Geisterhaft blaß erscheint die Wahnsinnige, aber der Maler läßt uns doch die Worte des Laërtes verstehen:

„Schwermuth und Trauer, Leid, die Hölle selbst
Macht sie zur Anmuth und zur Artigkeit.“

Der hitzköpfige Bruder Laërtes steht im Hintergrunde, voll tiefen Schmerzes; er ist eben mit bewaffnetem Gefolge in das Königsschloß eingedrungen, um von dem König Rechenschaft zu fordern wegen der Ermordung des Vaters, und auch jetzt ruht sein scharf beobachtender Blick auf dem Herrscher, der zusammengeknickt und düster brütend im Vordergrunde sitzt. Die Königin faltet, erschüttert durch den schmerzlichen Vorgang, die Hände, sie hat nichts Gebieterisches, eher etwas sinnlich Weichliches in ihrem ganzen Wesen, wodurch ja auch die Schuld ihrer Vergangenheit erklärlich gemacht wird. Jedenfalls hat der Maler die Charakterköpfe der Shakespeareschen Dichtung treffend wiedergegeben.G.     

Etymologische Enthüllungen. „Was ist ein Name?“ fragt geringschätzig Shakespeares Julia, und: „Name ist Schall und Rauch!“ tönt es gleicherweise aus dem Munde von Goethes Faust zurück. Auch Lessing, dem das Wort entstammt: „Ach, Namen sind nur Töne!“, schlägt ihre Bedeutung offenbar gering an. Und Uhland giebt mit der ihn als Schwaben wie als deutschen Volkstribunen gleich sehr kennzeichnenden kurzen Bündigkeit die Erklärung ab: „Namen sind uns Dunst!“ Jean Paul wiederum, dessen Familienname Richter muthmaßlich zuweilen im Sinne des „nomen et omen“ als Zielscheibe des Witzes gedient haben mag, bekennt in seinen „Palinginesien“ unumwunden: „Ich war, gleichsam ahnend, von jeher allen Geschlechtsnamen, die etwas bedeuten, feind.“ Anders hat freilich über diesen Gegenstand das Volk der alten Griechen geurtheilt. Ihm dünken Namen unter Umständen als hochbedeutsame Merkmale der Person und Anspielungen darauf als keineswegs müssige Erfindungen. Und unter den Neueren spricht sich der Philosoph Hegel geradezu dahin aus: „Im Namen ist’s, daß wir denken.“

Freilich, wenn wir an der Hand der Sprachforschung den Ruhmestempel der Geschichte durchwandeln, fühlen wir uns oft weniger zur Bewunderung als vielmehr zum Lachen gereizt. Mit schalkhaftem Griffe pflegt da unsere Führerin die Maske gewisser „berühmter Namen“ zu lüften, und was sich dann zeigt, wirkt verblüffend. Wie durch einen Zauberschlag verschwindet plötzlich die gefeierte Kulturgröße, um einem meist sehr alltäglichen, mitunter geradezu fragwürdigen Geschöpfe Platz zu machen. So erscheint beispielsweise statt des erhabenen Corneille eine gemeine Krähe, statt des schwärmerischen Tasso ein lichtscheuer Dachs, statt des weisen Bacon gar ein stumpfsinniges Mutterschwein!

An den Wänden der großen Galerie des Louvre hat sich nicht Poussin sondern ein Küchlein verewigt, und die Hebung der deutschen Poesie aus dem Zerfall des Dreißigjährigen Krieges haben wir nicht zuletzt einem Affen (Opitz, slawisch) zu verdanken. Ein Kaninchen (Kohlhaas) wird wegen Landfriedensbruch verfolgt, ein Bär (Orsini) geht dem Kaiser Napoleon III. zu Leibe und ein Bock (Kossuth) versucht die Kraft seiner Hörner am Königsstuhl des heiligen Stephan. Ein friedlicher Enterich (Drake) überbringt den Hungernden unseres Erdtheiles die Kartoffel, eine geschwätzige Elster (Pyat) fliegt den Sturmvögeln der Kommunisten voran. Zur Zeit der napoleonischen Kriege hört das ganze sächsische Heer auf den Schrei eines Hahns (Lecocq). In einem Töpflein (Euler, von ollarius, lat.) vollzieht sich die Lösung wichtiger, selbst von Newton unbeantwortet gelassener Fragen über das Weltsystem. Frankreichs Traum, England den Welthandel zu entreißen, begräbt schonungslos eine Grube (Pitt), während die idealste Verkörperung Hebes einem Weinkeller (Canova) entsteigt. Der thönerne Ruhm manches Dichterlinges unserer Tage geht an den kritischen Kanten eines Eckstein jämmerlich in Brüche. Hingegen gruppiert sich das neue englische Ministerium um einen Fröhlichstein (Gladstone). Die ptolemäische Weltordnung muß sich durch einen Hutmacher (Kopernikus, litth. Kepurnikas) eine völlige Umkrempelung gefallen lassen, und unsere Kunde von der polynesischen Welt erfährt durch einen Koch (Cook) wesentliche Erweiterung. In Frankreich schwingt sich ein Schlächter (Boucher) zum „Maler der Grazien“ auf und in Italien ein Töpfer (Vasari) zum Plutarch der Künstler! Während das Rom des Alterthums sein „pater patriae!“ einem Erbsenhändler (Cicero) zujauchzt, betraut das Spanien der Neuzeit mit seiner Herrschergewalt einen Binsenverkäufer (Espartero). Ebenso unbegreiflich erscheint, daß sich ein Kurzbein (Gambetta) zum Sprunge auf den Präsidentenstuhl der französischen Republik gerüstet hat. Dagegen überrascht es minder, zu hören, daß die flammenden Träume des „Contrat social“ einem Rothkopf (Rousseau) entsprungen sind. Auch daß wir manche der vorstehenden Namensableitungen aus einem Weingefäß (Pott) geschöpft haben, wird schließlich jeder am Platze finden, dem das alte in vino veritas noch als beweiskräftig gilt.E. U.     

Ein Ofen für zwei Zimmer. Die Hausfrauen kommen oft in die Lage, daß sie zwei Zimmer durch einen Ofen heizen müssen. Wenn der Ofen nicht gerade in die Wand eingemauert ist, daß er die Wärme in beide Zimmer ausstrahlt, dann ist der Erfolg zumeist ein sehr unzulänglicher; die Thür zwischen den beiden Zimmern steht immer offen, aber das ofenlose Zimmer bleibt kalt, während das, in welchem der Ofen steht, überheizt ist. Es ist aber sehr leicht, diesem Uebelstand abzuhelfen und eine bessere Vertheilung der Wärme in beiden Zimmern herbeizuführen. Es sind nur in der Wand, welche die beiden Räume verbindet, zwei Oeffnungen anzubringen, eine unmittelbar an der Decke und eine zweite unmittelbar am Fußboden. Dann dringt die warme Luft durch die obere Oeffnung in das ofenlose Zimmer ein, während die kalte durch die untere Oeffnung dem Ofen in dem anderen Zimmer zuströmt. Durch Anbringen einfacher Klappen an den Oeffnungen kann man den Wärmeaustausch zwischen den beiden Räumen nach Belieben regeln. Dieses einfache Hilfsmittel, das sich stets ausgezeichnet bewährt, ist leider zu wenig bekannt. *      

Uhlands Werke in neuen Ausgaben. Neben Schiller und Goethe ist Uhland noch heute der volksthümlichste unserer Dichter. Die ungekünstelte Innigkeit und die poetische Tiefe seiner Empfindung, die ihn Lieder voll schlichter Größe finden ließen, dieses Leben und Aufgehen in der Natur, die ihm doch sofort wieder zum Spiegel des eigenen Inneren wird, die Kraft seiner Balladen, der edle Mannesstolz seiner „Vaterländischen Gedichte“ – das alles hat dem deutschen Volke das Herz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_771.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2023)