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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Wissen erregten damals den Neid, sondern das goldene Korn, das am heiligen Nil so reichlich gedieh. Sahen doch die Söhne Israels mit staunenden Blicken das Getreide an, welches Joseph vor ihnen ausbreitete, „über die Maßen viel, wie Sand am Meere“! Später war Aegypten eine der Kornkammern der Weltbeherrscherin Rom, und unter den drei Getreideflotten, welche die Stadt versorgten, der sicilischen, ägyptischen und pontischen, war die ägyptische die reichste und wichtigste.

Zwei Jahrtausende sind seit jenen Zeiten dahingerauscht, das Volk der alten Aegypter ist in der Flut anderer Völker untergegangen, die Götter, die Sitten und die Sprache der Vorväter sind den heutigen Aegyptern fremd, aber sie hängen wie diese an der Scholle und machen sie urbar just wie die fleißigen Ahnen vor fünftausend Jahren.

Wir stehen in der Ebene von Unterägypten in dem Ueberschwemmungsgebiet des Nils; scharf heben sich die Palmen von dem blauen Himmel ab und vor ihnen sehen wir den ägyptischen Bauer im Schweiße seines Angesichts das Feld bestellen. Ein Kamel und ein Ochse ziehen im Joche den Pflug, ein trauriges Geräth, das kaum drei bis vier Zoll tief in die Erde greift. Und doch ist ihm schon vor vielen tausend Jahren die Ehre der Abbildung zu theil geworden! Wir finden ihn schon unter den ägyptischen Hieroglyphen wo zwei Ochsen im Joch ihn wie heute noch an einer Deichsel bewegen. Er besteht aus zwei im spitzen Winkel vereinigten, einen Haken bildenden Hölzern. Das untere ist an der Spitze mit Eisen vorgeschuht und bildet die dürftige Pflugschar.

Wir würden jedoch irren, wenn wir annehmen wollten, daß alle Ackerbauer Aegyptens den Boden so bestellen wie der schlichte Bauer auf unserem Bilde. Aegypten giebt zwar noch heute Korn an andere Völker ab und viele Engländer leben von Brot, das aus ägyptischem Mehl gebacken wurde, aber seine Hauptausfuhr besteht heute in Spinnstoffen, in Baumwolle, und auf den Pflanzungen der Regierung und der großen Besitzer wühlt bereits seit Jahrzehnten der Dampfpflug den alten, vom Nil stets neu befruchteten Boden auf.

Der schlichte Mann Aegyptens aber geht noch jetzt hinter demselben einfachen Pfluge wie die Erbauer der Pyramiden und seufzt vielleicht noch mehr unter Fron und Lasten als die Unterthanen der Pharaonen.

Eine gefährliche Künstlerin. (Zu dem Bilde S. 788.) Von jeher haben die kunstreichen Werke der Spinnen die Aufmerksamkeit der Forscher wie der Laien aufs lebhafteste beschäftigt. Eine der verblüffendsten Leistungen ist wohl das Nest der in Spanien und im südlichen Frankreich vorkommenden Minierspinne (Cteniza fodiens), dessen Abbildung und Beschreibung wir dem soeben erschienenen 13. Jahrgang des „Neuen Universums“ entnehmen. Die Minierspinne bohrt sich eine runde Röhre etwa 10 cm oder tiefer in die Erde und tapeziert diesen Schacht mit einem feinen sammetartigen Gewebe aus. Hierauf baut sie von Erde einen Deckel, welcher genau auf das an seinem oberen Rande etwas schräg erweiterte Loch paßt. Die untere Seite des Deckels wird gleichfalls besponnen und dieses Gespinst mit dem in der Röhre in Verbindung gebracht, derartig, daß an dem Deckel ein Band als Scharnier angebracht wird. Dieses Scharnier ist kräftig genug, den aufgeklappten Deckel zu halten damit er nicht nach hinten über fällt.

Die Oberseite des Deckels ist nicht besponnen, sondern gleicht der die Röhre umgebenden Erde, so daß die Wohnung der Spinne nicht leicht aufzufinden ist. An seinem inneren Rande befinden sich viele Löcher, in welche das Thier die Krallen steckt, sich einhängt, um den Deckel geschlossen zu halten, wenn es sich in der Röhre befindet. Will die Spinne ein Insekt fangen, so öffnet sie den Deckel und schließt ihn, sobald ein unvorsichtiges Thier in die Falle gegangen ist, jedenfalls in der Weise, daß sie das Scharnier anzieht. Der Deckel soll so fest schließen, beziehungsweise von der Spinne so fest zugehalten werden, daß man Mühe hat, ihn mit Hilfe eines Messers zu öffnen.

Wir machen bei dieser Gelegenheit wieder auf das „Neue Universum“ aufmerksam, das auch in seinem neuesten Jahrgang eine Fülle von Anregung und Belehrung, insbesondere für die reifere Jugend, bietet.

Die „Amateur-Photographen.“ Die gewaltigen Fortschritte auf dem Gebiet der Photographie haben zur allgemeinen Verbreitung einer „Kunst“ geführt, die vordem nur von Zünftigen als Erwerb betrieben wurde. Die Einfachheit des Verfahrens, die Billigkeit der Apparate setzen jedermann instand, Lichtbilder anzufertigen, Augenblicksaufnahmen, die mit aller Schärfe und Naturtreue die flüchtigsten Erscheinungen im Bilde festhalten.

Besonders im Freien, in den Sommerfrischen, im Bade und am Strand sieht man den meuchlerischen Liebhaber-Photographen sein Handwerk treiben – wenn man ihn überhaupt erkennt! Denn die Apparate verrathen sich infolge ihres geringen Umfangs und ihrer unauffälligen Gestalt – man giebt der Camera die harmlose Form einer Cigarrenkiste, eines Buches u. s. w. – nur selten als das, was sie sind, und der „Momentverschluß“ setzt außerdem eine so kurze Expositionszeit voraus, daß wir, selbst bei einiger Achtsamkeit, ein paarmal hintereinander aufgenommen werden können, ohne es zu merken.

Das mag für den Amateur-Photographen recht hübsch sein und ihm zu einer interessanten Bildersammlung verhelfen, denn zu Hause lassen sich leicht saubere Kopien und Vergrößerungen anfertigen, – allein die Sache hat ihre Kehrseite.

Die Gelegenheit zu einem Mißbrauch, ja vielleicht zu einer frivolen Benutzung dieser neuen Kunstübung liegt nahe, und wenn es sich auch nur um die unfreiwillige Aufnahme etwa eines jungen Mädchenantlitzes handelte, das dem betreffenden Bilderfänger kein Porträt von sich schenken oder anvertrauen würde. Es kann sich dann jeder rühmen, ein Bild von der und der Dame zu besitzen, denn jeder Berufsphotograph kann nach einer solchen Vorlage ein Bild herstellen, dem nichts mehr anhaftet, was auf „Liebhaber“–Photographie schließen läßt.

Und dann – es giebt noch ernstere Fälle. Ich war in diesem Jahr auf der Waldquellen-Promenade in Marienbad Zeuge des folgenden Vorgangs: Ein junger Herr hatte neben zwei ihm bekannten Damen – Mutter und Tochter – infolge deren Aufforderung Platz genommen. Die Unterhaltung zwischen den Dreien war sehr belebt, als plötzlich der Arzt vorüberkam, der die Mama behandelte. Die Dame hatte ihm etwas zu sagen, es war ihr offenbar erwünscht, den vielbeschäftigten Mann wenigstens einige Minuten sprechen zu können, darum erhob sie sich rasch, um ihn anzuhalten.

In diesem Augenblick bemerkte ich einen „Liebhaber“-Photographen, allerdings einen sehr harmlosen Jüngling, welcher seinen Apparat gegen die auf der Bank Zurückgebliebenen richtete und die kleine Gruppe. Herr und Dame in heiterem Gespräch, ohne Zeugen, einsamer Waldhintergrund – auf seiner Platte festhielt. Dieser Fall zeigt ohne weitere Erläuterung, daß auf diese Weise sehr bedenkliche und verhängnißvolle Mißverständnisse entstehen können und daß hier eine Gefahr für den Ruf und den Frieden einzelner Personen und ganzer Familien drohen kann.

Man befindet sich – die geschilderte Scene ist nur ein Beispiel dafür – hundertmal in Lagen, welche, in Wirklichkeit schnell vorübergehend, nicht im entferntesten etwas Bedenkliches haben, die aber, im Bilde verewigt, sehr verfänglich erscheinen können. Es entsteht daher die ernste Frage, inwiefern sich ein anderer das Recht herausnehmen darf, unsere Person zu photographieren ohne unser Wissen und ohne unsere Zustimmung. Ist das nicht auch „Unfug“? Wer weiß, ob das künftige Strafgesetzbuch, dort wo von persönlicher Freiheit und Sicherheit die Rede ist, nicht auch einen Paragraphen enthalten wird, der sich gegen den Mißbrauch der Amateur-Photographie richtet! P. v. S.     

Eine Aeußerung Moltkes. Der fünfte Band der „Gesammelten Schriften und Denkwürdigkeiten“ des Grafen Hellmuth von Moltke (Berlin, Mittler und Sohn), welche eine so überaus reiche Ausbeute liefern für das Charakterbild des Mannes und für die Geschichte seiner Zeit, deren bedeutsamer Träger er gewesen, enthält die zweite Sammlung Briefe und Erinnerungen an ihn, Familienbriese, darunter das rührende Schreiben, in welchem er sich über den Tod seiner Gattin ausspricht, die ihm in der Fülle des Lebens, in Kraft und Schönheit dahingeschieden war. Doch auch gewichtige Briefe aus dem französischen Feldzug werden mitgetheilt, darunter einer vom 11. September 1870 aus Rheims, welcher eine sehr eindrucksvolle Wendung enthält: „Die Opfer,“ schreibt Moltke, „die der Krieg fordert, sind entsetzlich, und da wollen die Engländer uns mit Geld abgefunden wissen! So Gott will, sind wir binnen vierzehn Tagen in der Lage, 200 000 Mann jedem unberufenen Vermittler entgegenzustellen und mit dem Reste doch noch mit Frankreich fertig zu werden Die Leute haben noch nicht gelernt, was das sagen will, ‚Deutschland!‘, aber was das Wichtigste ist, Deutschland selbst hat es jetzt gelernt!“

Diese Aeußerung verdient unter die geflügelten Worte des deutschen Volkes aufgenommen zu werden. †      

Zur Geschichte des Dachziegels Der rothe Dachziegel ist der Vertreter einer Kulturepoche. Wo er so stolz und vornehm zwischen einfachen Stroh- und Schindeldächern die Häuser schützt und schmückt, da gilt er als ein Zeichen des Fortschritts. Im Osten Europas kann man ihm noch heute als einer erobernden Macht begegnen. In den Sitzen der Kultur sind ihm dagegen viele Nebenbuhler erwachsen, auf den Dächern der Großstädte erblickt man oft anderes Material: Schiefer, Zink, Pappe u. dgl.

Der Dachziegel ist aber nicht überall von derselben Form; denn er hat eine Geschichte, und im Laufe derselben wurde er von den Menschen umgemodelt.

Den alten Trojanern war er noch unbekannt, wenigstens hat Schliemann bei seinen Ausgrabungen in Ilios keine Dachziegel gefunden. Der älteste Dachziegel im Kreise der althellenischen Kultur stammt aus der Zeit um 1000 v. Chr., er wurde unter den Trümmern des Heratempels in Olympia gefunden. Er war ein Hohlziegel, wie wir ihn noch heute in Europa auf älteren Gebäuden sehen können. Die Hohlziegel bestehen aus leicht gewölbten Ziegelplatten; dort, wo diese sich mit ihren Längsseiten berühren, wird auf sie noch ein halbröhrenförmiger Ziegel gesetzt, der das Eindringen von Regenwasser in die Fugen verhindern soll. Die Ethnographen haben ihn den „Normaldachziegel“ genannt, da er allem Anschein nach die älteste Form darstellt. Er scheint in China erfunden worden zu sein und wird noch heute in Korea, China und Japan gebraucht; wie die Ausgrabungen lehren, war er auch der älteste Ziegel Westasiens, und von hier aus bürgerte er sich in den Mittelmeerländern ein. Bemerkenswerth ist es, daß die Japaner ihn „hongavara“, d. h. den „echten“ Dachziegel, nennen.

Im Laufe der Zeit versuchten die Menschen, die zwei Stücke des Hohlziegels zu einem Ganzen zu verschmelzen, und bildeten den sogenannten „Pfannenziegel“, dessen Durchschnitt die Form eines liegenden lateinischen S hat (∾). Die Geburtsstätte dieser Neuerung waren die Niederlande, von wo sie sich nach Skandinavien und England, sowie nach Nordwestdeutschland bis Pommern ausbreitete. Andererseits hat man den Dachziegel vereinfacht, ihn der Holzschindel ähnlich gestaltet, und so entstand die dritte Form, der einfache, flache Ziegel mit einer Nase am hinteren Ende zum Aufhängen an den Latten des Dachstuhls.

Der amerikanische Forscher E. Morse, der mit besonderem Eifer die Geschichte des Dachziegels studierte, bemerkt, daß diese drei Formen auch in Nordamerika auf Dächern alter Häuser vorkommen und andeuten, von wem die einzelnen Gebiete zuerst besiedelt wurden. In Kalifornien, in dem sich zuerst Spanier niederließen, ist der Normaldachziegel wie am Mittelmeer zu finden, am Delawarefluß, an dem die Holländer als erste Ansiedler auftraten, deckt der Pfannendachziegel die alten Häuser und in Pennsylvanien, das den deutschen Einwanderern so viel verdankt, wiegt

auf alten Gebäuden der flache Dachziegel vor.*      

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_802.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2024)