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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

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Im Ballon.

Von Hermann Meyer.

Es ist zehn Uhr vormittags. Eine leichte Brise läßt den Ballon sachte sich hin und her wiegen. Am Himmel zeigen sich vereinzelte Haufenwolken in verschiedenen Größen. Kein bewunderndes Publikum steht schaulustig um uns herum, kein Musiktusch wird unsere Abfahrt verherrlichen; nur die wenigen Freunde, welche uns behilflich sind, werden uns vielleicht mit neidischen Blicken nachsehen. Wozu auch eine Bewunderung? Wir fühlen uns wegen der beabsichtigten Fahrt keineswegs als Helden, die einer großen That entgegengehen.

Die Hülle unseres Ballons ist von erprobter Festigkeit und sorgfältig gedichtet, das Netzwerk ist aus den besten Leinen, der Korb dauerhaft und den Anstrengungen einer Schleppfahrt gewachsen, das Ventil schließt nach dem Gebrauch wieder vollkommen ab. Auf die Mitnahme eines Ankers haben wir verzichtet und dafür unseren Korb mit einem 100 Meter langen und zwei Finger starken rauhen Gleitseil ausgerüstet. Ein solches Tau schmiegt sich überall dem Boden an, ob hart oder weich, bedeckt oder unbedeckt, und bringt, wenn es in seiner vollen Länge auf der Erde liegt, den Ballon noch bei einer Windstärke zum Halten, bei welcher ein Anker, gleichviel von welcher Art, in großen Sätzen wie toll hinter dem Ballon herkollert. Für besonders windiges Wetter besitzt unser Ballon eine Zerreißvorrichtung, durch welche wir imstande sind, vom Korbe aus die Hülle von oben bis unten aufzureißen. Durch den Riß entströmt das Gas mit großer Schnelligkeit, und der Ballon, der, kurz vorher zu einem mächtigen Segel aufgebauscht, den Korb nebst seinen Insassen unbarmherzig durch dick und dünn schleppte, liegt in 3 bis 4 Sekunden entleert auf dem Boden. Die Tagesarbeit einer fleißigen Näherin heilt die klaffende Wunde wieder vollkommen.

Mit der Ausrüstung unseres Ballons sind wir fertig. Wir nehmen in dem Korbe Platz. Jetzt geht es noch an ein Hauptgeschäft vor der eigentlichen Abfahrt, an das sogenannte Abwägen unseres Fahrzeuges, d. h., es wird der Korb soweit entlastet, daß der Ballon ganz wenig Auftrieb zeigt; es geschieht dies, um über die Menge des mitzunehmenden Ballastes Aufschluß zu bekommen.

Bei ruhiger Luft macht das Abwägen nicht die geringste Schwierigkeit. Bei Wind dagegen ist es infolge des seitlichen Winddruckes sehr zeitraubend und ungenau. Doch alles nimmt ein Ende, auch das Abwägen!

Auf „Los!“ lassen unsere Freunde den Korbrand aus den Händen, und der Ballon, der eben noch unruhig an den Korbstricken gezerrt hat, steht kerzengerade über der Gondel. Vollkommene Ruhe ist um uns eingetreten; nicht die geringste Spur einer Bewegung macht sich uns bemerkbar. Nur unsere Gehilfen bei der Abfahrt und mit ihnen der Erdboden versinken unter uns. Die Aussicht wird weiter. Jetzt sehen wir in die Nachbargärten, jetzt in die Straßen der Stadt, nun auf die nächsten Dörfer, den weitgestreckten Wald, ja schon über diesen hinaus auf die hellglänzende Fläche des Sees, und nur das Hügelland jenseit desselben begrenzt noch auf eine kleine Weile unseren Ausblick.

Wir treiben langsam nach Westen. Bald erblicken wir auch in der Ferne das Silberband des breiten Stromes. Hinter uns liegt die Stadt mit ihren rauchenden Essen und dem dunklen Gewimmel von Menschen und Wagen auf den Plätzen und in den Straßen; dort unten breiten sich die mannigfach gefärbten Felder aus, dazwischen ziehen hellschimmernde Straßen und Wege. Der kleine Teich, über den wir eben hinwegtreiben, scheint gar kein Wasser zu haben, so klar sehen wir das Bild seines Grundes. Auf der leichtgekrümmten Eisenbahnlinie strebt ein langer Güterzug hinaus ins Freie. Deutlich klingt das Rollen seiner Räder und jetzt ein kurzer Pfiff seiner Maschine zu uns herauf.

„Ein Ballon! Ein Ballon!“ hört man drüben in dem kleinen Dorfe die Kinder schreien, dazu schnattern die Gänse und bellen die Hunde.

Das Barometer zeigt 700 Meter Höhe, und da es in dieser Stellung auch fernerhin bleibt, so haben wir ein sicheres Zeichen, daß unser Ballon seine Gleichgewichtslage erreicht hat.

Es vergeht einige Zeit. Aber während wir in das schon so oft gesehene Schauspiel unter unseren Füßen von neuem versunken sind, lehrt uns ein zufälliger Blick auf das Barometer, daß die Nadel desselben ihre vorige Stellung nicht mehr innehat, sie zeigt kaum mehr 500 Meter. Kein Zweifel, wir fallen. Wir werfen Sand aus, zuerst nicht viel, 1 bis 2 Kilogramm; da diese Menge aber nicht die gewünschte Wirkung hervorruft, erhöhen wir die Ballastausgabe auf 8 Kilogramm; jetzt hält das Barometer still, nun kehrt es langsam auf seinen früheren Stand bei 700 Metern zurück und geht hierauf noch um 100 Meter darüber hinaus. Da in demselben Augenblick auch die Sonne, welche uns für einige Minuten durch eine dichte Wolke entzogen war, unseren Ballon wieder erwärmt, so ist ein erneutes Fallen vorläufig nicht zu befürchten. Wir haben Muße, über das soeben stattgehabte Sinken unseres Fahrzeuges sowie über die senkrechten Bewegungen eines Ballons überhaupt uns Rechenschaft zu geben.

Nehmen wir an, wir hätten bei der Abfahrt unseren Ballon vollkommen genau abwägen können und hätten dann 10 Kilogramm Sand ausgeworfen. Wie hoch wäre der Ballon, dessen Kugel einen Inhalt von 1500 Kubikmetern besitzt, gestiegen? So hoch, bis er in eine Luftschicht kommt, in welcher die von ihm verdrängten 1500 Kubikmeter Luft um 10 Kilogramm weniger wiegen als unten am Boden. Die Luft ist ja nicht überall gleich dicht, sondern die unteren Schichten werden durch die oberen zusammengepreßt, nehmen also auch an Gewicht zu. Je höher nun der Ballon steigt, um so geringer wird das Gewicht der von ihm verdrängten 1500 Kubikmeter Luft, er wird also nicht bis an die Grenze des Luftmeeres empordringen, sondern nur soweit steigen, bis er in eine Schicht kommt, in welcher die verdrängte Luftmasse um so viel weniger wiegt, als er vorher entlastet worden ist. In unserem Falle wären wir auf ungefähr 150 Meter über den Boden emporgestiegen; denn hier wiegen 1500 Kubikmeter Luft um 10 Kilogramm weniger als die gleiche Masse auf dem Boden.

Wie geht nun das Steigen selbst vor sich? Entflieht der Ballon rasch in die Höhe? Prellt er nicht infolge dieser Schnelligkeit über die Grenze hinaus, in welcher er seine Gleichgewichtslage wieder erhalten sollte?

Im allgemeinen kann man sagen, daß die senkrechten Bewegungen des Ballons sowohl auf- wie abwärts nie sehr rasch werden können. Leute, welche einen Ballon pfeilschnell steigen oder fallen gesehen haben wollen, haben sich, vorausgesetzt, daß der Ballon in letzterem Falle nicht beschädigt war, getäuscht oder nahmen eben einen sehr langsamen Pfeil zum Vergleich. Wird die Belastung eines Ballons vermindert, so leitet dieser sofort die Aufwärtsbewegung ein; dieselbe nimmt stetig an Raschheit zu, bis der Luftwiderstand, welcher beim Steigen von oben her auf den Ballon wirkt, so groß ist wie der durch den ausgeworfenen Ballast hervorgerufene Auftrieb. Es ist leicht ersichtlich, daß für die Stärke dieses Luftwiderstands das größere oder kleinere Maß, das der Querschnitt des Ballons aufweist, von wesentlicher Bedeutung ist. Bei einer plötzlichen Erleichterung um 80 Kilogramm – das Gewicht eines Menschen – würde unser Ballon mit seinem Querschnitt von 150 Quadratmetern immerhin erst eine größte Geschwindigkeit von 4 Metern in der Sekunde nach aufwärts erhalten.

Diese größte Geschwindigkeit, welche ein Ballon infolge von Entlastung erlangt, erreicht er sehr bald. Aber trotz dieser kurzen Zeit ist er währenddessen bereits in eine leichtere Luftschicht eingetreten; er besitzt also schon nicht mehr den anfänglichen Auftrieb, seine Bewegung wird wieder langsamer, und diese Erscheinung geht so fort, bis er seine neue Gleichgewichtslage erreicht, in welchem Augenblick auch seine Schnelligkeit gleich Null wird. Es ist also einleuchtend, daß ein Hinausprellen des Ballons über die Gleichgewichtslage nicht stattfinden kann.

Während des Steigens dehnt sich das Gas in dem Ballon aus infolge des geringer werdenden Luftdruckes, ähnlich einem Gummiball, welcher, vorher in der Hand fest zusammengedrückt, sich vergrößert, wenn wir mit dem Drucke nachlassen. Da aber der Ballon schon bei der Abfahrt auf dem Erdboden vollständig gefüllt war, so würde das Gas bei längerem Steigen die Hülle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 855. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_855.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2024)