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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Sonne mit mächtigem Glanze, rings um uns her eine heilige Stille! Wahrlich, man fühlt sich recht klein in solchen Augenblicken! Sogar unser lieber Freund, der sonst immer sofort mit einem schlechten Witze bei der Hand ist, schaut trunkenen Auges hinaus auf das göttliche Schauspiel.

So treiben wir fast eine ganze Stunde dahin, immer in der gleichen Höhe von 2500 Metern, ohne nur ein Korn Sand auswerfen zu müssen. Als endlich der Ballon leicht zu fallen beginnt, hindern wir ihn nicht daran. Wir hätten zwar noch Ballast genug, um noch einige Zeit fahren zu können; allein da uns jeder Ausblick auf die Erde versperrt ist, so müssen wir uns nach dem Austreten aus den Wolken noch auf einige kleine Ueberraschungen bei der Landung gefaßt machen. Deshalb ist es immerhin vortheilhaft, mit möglichst viel Ballast im Korbe zum Landen zu schreiten.

Schon ist der Korb wieder in die Wolken eingetaucht; da erhebt sich der Ballon von neuem und schwimmt über eine Nebelbank hinüber, um dann wieder auf die Wolkendecke herabzusinken und zum zweiten Male in die Höhe zu gehen. Die Sonne hat eben den Ballon bedeutend erwärmt; wenn sich derselbe dem Anschein nach auch in der freien Luft nicht mehr halten kann, in der kälteren Wolkenschicht hat er doch noch zuviel Auftrieb, um durch dieselbe hindurchzusinken. Wenn wir nicht abwarten wollen, bis er sich soweit abgekühlt hat, daß er durch die Nebelmasse hindurchfällt, so müssen wir das Ventil öffnen und etwas Gas herauslassen. Wir thun dies auf die Dauer von 10 Sekunden. Jetzt versinken wir wirklich in die graue Masse. Das gleiche Bild wie vor einer Stunde! Doch erscheint uns nach all dem Glanze über den Wolken der dichte Nebel noch düsterer und undurchdringlicher als bei der vorigen Durchfahrt. Neugierig schauen wir nach unten, ob nicht bald die Erde sichtbar wird. Schon bemerkt man dunkle Flecken durch den Nebel hindurch, anscheinend kleine Waldparzellen. Jetzt wird der Ausblick klarer: wir erkennen einzelne Dörfer, kleine Wasserlinien, gleichzeitig eine Eisenbahn, welche in großen Windungen durch das Gefilde zieht. Wo sind wir? Ja, wer das sagen könnte! Wenn uns die Gegend nicht schon zufällig bekannt ist oder so auffällige Punkte zeigt, daß man dieselben nach der Karte erkennen kann wie z. B. bedeutendere Wasserläufe, größere Städte, Eisenbahnknotenpunkte etc., so ist nichts herauszubringen. In unserem Falle hat aber auch die Frage, wo wir sind, weniger Bedeutung, als die: eignet sich die Gegend unter uns zur Landung?

Nun, darüber können wir uns beruhigen. Es sind wohl kleinere Wälder, einzelne Bauernhöfe, auch Dörfer zahlreich über das Gelände hingestreut, aber dazwischen ist überall noch genügend freier Raum.

Da wir uns noch auf 1500 Meter Höhe befinden, so lassen wir unsern Ballon weiter fallen, ohne einen ganz bestimmten Landungspunkt ins Auge zu fassen; nur das nehmen wir uns vor, noch diesseit eines etwa 4 Kilometer entfernten Flüßchens zu landen; und erst wenn wir uns auf 500 bis 600 Meter dem Boden genähert haben, suchen wir uns einen bestimmten Platz heraus.

Aufmerksam betrachten wir die Erde. Jetzt befinden wir uns noch 1000 Meter von ihr entfernt und treiben gerade über ein ausgedehntes Waldstück, dann kommt ein kleiner Bauernhof, und hieran schließen sich abgemähte Getreidefelder und Wiesen bis zu jenem Flüßchen, nur unterbrochen von einzelnen Büschen, also ein recht annehmbares Landungsgebiet. Aber ohne eine kleine Ueberraschung sollte es doch nicht abgehen, denn während wir bis jetzt die Richtung nach Norden einhielten, schwenkt auf einmal unser Ballon und treibt in derselben Richtung weiter, welche wir schon heute morgen beim Abfahren hatten; der Unterwind hat also seine Richtung bis jetzt beibehalten. Ueber die Bewegungsrichtung der unteren Luftschichten hätten wir uns allerdings gleich nach dem Austreten aus den Wolken leicht überzeugen können, wenn wir ein großes Blatt Papier hätten vorausflattern lassen. Diese Versäumniß ist jetzt nur noch auf eine kleinere Entfernung nachzuholen. Wir beeilen uns, dies zu thun; je weiter das Blatt sinkt, um so strenger hält es sich in der bereits erkannten Richtung.

Nach Westen zu ist die Sache schon etwas verwickelter. Denn gerade vor uns in der neuen Bahn legt sich ein nicht besonders breiter, aber weit nach rechts und links sich hinziehender Waldstreifen vor. Das Barometer zeigt noch 600 Meter. Von dem Gehölz sind wir noch etwa 1 Kilometer entfernt. Entweder müssen wir durch Ventilziehen noch vor dem Walde herunter oder wir hemmen durch Ballastauswerfen den Fall des Ballons und trachten über das Gehölz hinüberzukommen. Zu langem Ueberlegen ist keine Zeit. Der Wind wird immer stärker, das Barometer steht auf 400 Meter. Da! eine neue Ueberraschung! Das 100 Meter lange Gleitseil schleift bereits mit seinem Ende auf dem Boden! Wir landen also in einer Gegend, die um 300 Meter höher liegt als unsere Abfahrtsstelle. Darum ist uns auch gegenüber den Barometerangaben der letzten Viertelstunde der Erdboden unverhältnißmäßig nahe erschienen! Gleichzeitig erweist sich die vermeintliche Wiese vor dem Walde als ein überschwemmtes und sumpfiges Gelände. An ein Landen vor dem Walde ist also nicht zu denken. Durch Auswerfen von 15 Kilogramm Sand bringen wir den Ballon wieder etwas in die Höhe. Bald geht es lustig über die Wipfel des 20 bis 30 Meter hohen Tannengehölzes. Die letzen Baumwipfel streift das Ende unseres Gleitseiles. Im nächsten Augenblick haben wir das Stoppelfeld hinter dem Wald erreicht; vor uns ist mindestens 600 Meter freier Raum, dann wieder kleine Baumgruppen und ein einzelnes niedriges Haus. Auf diesem Felde wollen wir unsere Fahrt beschließen. Wir öffnen das Ventil; in seiner ganzen Länge legt sich das Gleitseil jetzt auf die Erde, die Geschwindigkeit des Ballons wird bereits langsamer; gleich darauf stößt der Korb zum ersten Male auf dem Boden auf. Mit einem kräftigen Klimmzug an den Korbstricken parieren wir diesen nicht besonders heftigen Stoß. Doch vollkommen vermag das Gleitseil bei dem starken Winde den Ballon nicht zu halten, langsam, aber stetig, unterbrochen von kleinen Aufstößen auf den Boden, rückt der Korb immer näher dem Bauernhaus zu, dessen Bewohner ängstlich der Dinge harren, die da kommen sollen, und bereits Miene machen, Reißaus zu nehmen. 300 Meter ist das Haus noch entfernt. Doch nun ist auch der Kampf zwischen Gleitseil und Wind beendigt. Wieder stößt der Korb auf; ein kräftiger Zug an der Zerreißleine, wenige Sekunden vergehen und der Ballon, kurz vorher eine große Kugel, liegt platt gedrückt wie ein Kuchen auf der Erde, und geärgert fegt der Wind über die Stoppeln.


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Die Marquise von Custine.

Ein Frauenbild aus der französischen Revolutionszeit.
Von Schmidt-Weißenfels.

Bei dem freundlichen Dorf Anisy in der Normandie, nicht sehr weit von Paris, hatte Monseigneur von Sabran, Bischof von Laon und erster Almosenier der Königin Marie Antoinette, ein Landhaus mit schönem Garten und Park. Einen großen Theil der Sommerzeit pflegte dort seine Schwägerin zu wohnen, die Gräfin Eleonore von Sabran, deren um fünfzig Jahre älterer Gemahl wenige Jahre nach der Verheirathung mit ihr gestorben war. Die junge Witwe betrauerte ihn nicht lange, dazu hatte er ihrem Herzen nicht nahe genug gestanden, und dazu war auch ihr Charakter ein viel zu lebensfreudiger. Mit zwanzig Jahren Witwe zu sein, verlieh ihr einen Reiz mehr zu denen, welche ihr die Natur und eine feine Erziehung gegeben hatten. Denn sie war eine anmuthsvolle Erscheinung mit einer Fülle seidenweicher blonder Haare, mit schwarzen Augen, schönem Gesicht, von lebhaftem und geistsprühendem Wesen. Am Hofe von Versailles, in der Gesellschaft von Paris, die unter Ludwig XVI. noch so berückenden Glanz entfaltete, spielte sie eine große Rolle, nicht bloß durch ihre vornehme Familie, sondern auch durch die Fülle von Eigenschaften, welche sie in den Salons ihrer Zeit zum Muster einer feinen Dame machten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 859. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_859.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2024)